Transfercoup in Russlands zweiter Liga: Lenin kommt über rechts
Akron Togliatti erlangt mit der Verpflichtung eines Fußballers weltweite Aufmerksamkeit. Kein Wunder: Der neue Spieler heißt Marx Lenin.
G anz unten beginnt sie nicht, die Revolution im russischen Fußball. Sie nimmt ihren Anlauf von der zweiten Liga aus. In Togliatti, 800 Kilometer östlich von Moskau an der Wolga gelegen, scheint man sich Großes vorgenommen zu haben. Der in der Stadt beheimatete Fußballklub Akron hat kundgetan, nun einen „Revolutionär“ verpflichtet zu haben. Dabei handelt es sich um einen 20 Jahre alten Brasilianer mit Namen Marx Lenin. Die Fußballwelt war außer sich. Marx Lenin wechselt nach Russland! Auf Twitter wurde gewitzelt, dass sich die Balken gebogen hätten, wenn es im Internet welche gäbe.
Wahrscheinlich ist international noch nie so viel über einen Transfer in die zweite russische Liga geschrieben und vor allem gelacht worden wie über den Wechsel dieses jungen Mannes, der mit vollem Namen Marx Lênin dos Santos Gonçalves heißt, von Flamengo Rio de Janeiro zum FC Akron Togliatti. Bei dem Retortenklub, der so etwas wie die Marketingidee einer Industrieholding ist, die sich der Altmetallverwertung verschrieben hat, nahm man das weltweite Interesse mit Freuden zur Kenntnis. Ein PR-Gag sei die Verpflichtung aber nicht, stellte der Pressesprecher des Klubs Dmitri Guskow klar. Immerhin habe man dem Spieler einen Dreijahresvertrag gegeben.
Der Klub spielt die PR-Karte trotzdem offensiv aus und teilt auf seiner Website Artikel mit den schönsten Fotomontagen, die seit der Bekanntgabe der Verplichtung von, nun ja, Lenin gemacht wurden. Die rote Fahne mit den Köpfen von Karl Marx, Wladimir Lenin und Marx Lenin wird dabei besonders gern gezeigt.
Dass der brasilianische Jungprofi selbst gar keine Ahnung haben will, was es mit seinem Namen auf sich hat, auch das wird allenthalben berichtet. Marx heiße er, so hat er es vor einiger Zeit einer brasilianischen Sportpublikation verraten, nach seinem Vater Antonio Marques. Und Lenin? Nun das habe sich einfach gut angehört, habe ihm seine Mutter gesagt.
PR-Termine für den Fußball-Lenin
Offensivmann Lenin, von dem es heißt, er komme vorzugsweise über die rechte Seite, wird diese Geschichte noch oft erzählen. Und er wird sich noch oft vor einem Marx- oder Lenindenkmal fotrografieren lassen müssen. Klubsprecher Guskow meint zwar, man werde ihn nicht unbedingt gleich zum Lenin-Mausoleum nach Moskau karren, aber einen Besuch Marx Lenins in Uljanowsk, der Geburtsstadt von Wladimir Lenin, das könne er sich schon vorstellen. Uljanowsk und Togliatti liegen keine 200 Kilometer voneinander entfernt.
Bleibt noch die Frage, wie es kommt, dass sich ein junger Brasilianer, der eine veritable Juniorenkarriere beim Traditionsklubs Flamengo hingelegt hat, für einen Wechsel in die Industriestadt an der Wolga entschieden hat. Viel mag einem da nicht einfallen, außer dass Akron und Flamengo mit Rot und Schwarz die gleichen Klubfarben haben. Die schillernde Geschichte von Akron kann es auch nicht gewesen sein, die Lenin zum Wechsel veranlasst hat. Die gibt es nämlich nicht. Der Klub wurde erst vor drei Jahren gegründet. Sportlich ist die Lage auch nicht gerade gut. Togliatti rangiert nach 16 Spielen auf Rang 17, einem Abstiegsplatz.
War es die Schönheit der Stadt, der Lenin verfallen ist? Wohl kaum. Togliatti ist, nachdem sich dort in den 1960er Jahren die russische Automobilindustrie angesiedelt hat, schnell auf 700.000 Einwohner angewachsen und alles andere als eine Perle der Säkularbaukunst. Deutsche Partnerstadt ist übrigens Wolfsburg. Lada baut in der Stadt seine Fahrzeuge, was auch nicht unbedingt die Automarke ist, von der ein herkömmlicher Jungprofi träumt, wenn er seinen ersten Vertrag unterschreibt. Es gibt also wenig gute Gründe für einen Wechsel nach Togliatti. Aber wie sagte schon Lenin, also Genosse Lenin? „Lieber weniger, aber besser.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Der alte neue Präsident der USA
Trump, der Drachentöter
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby