Trans Kandidat bei Hamburg-Wahl: „Wir sind zu wenige in der Politik“

Der Grüne Adrian Hector möchte der erste trans Mann in der Hamburger Bürgerschaft werden. Die taz begleitete ihn beim Haustürwahlkampf.

Kämpft für bessere Gesetze für transgeschlechtliche Menschen: der Grünen-Politiker Adrian Hector Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Ein Mann mit Kleinkind am Knie ist in Plauderlaune. Er lehnt in seiner offenen Wohnungstür und setzt gerade an, seiner Tochter die Grundzüge der Demokratie zu erläutern; praktisch, dass ein echter Grünen-Politiker im Treppenhaus steht – da hat sich Adrian Hector schon umgedreht und klingelt an der Tür gegenüber. Seine Flyer ist er losgeworden: Job erledigt. Hector ist kein Mann vieler Worte. Trotzdem stellt er sich dem Altonaer Haustürwahlkampf.

Adrian Hector ist 36 Jahre alt und möchte der erste transgeschlechtliche Mann in der Hamburgischen Bürgerschaft werden. Dafür nimmt er in Kauf, dass er die Grenzen seiner Komfortzone dehnen muss. „Die Gesetze sind einfach zu schlecht“, sagt Hector.

Wer seinen Personenstand und Vornamen ändern lassen will, muss nach dem deutschen Transsexuellengesetz (TSG) zwei psychiatrische Gutachten über sich ergehen lassen, beide selbst bezahlen und damit dann in einem Gerichtsverfahren beweisen, dass sich „das Zugehörigkeitsempfinden des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird“. Bis 2011 verlangte der Staat gar eine Zwangssterilisation, bevor er Namen und Personenstand änderte. „Eine Tortur“, sagt Hector.

Das Bürgerliche Gesetzbuch definiert Mutterschaft so: „Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat.“ Ein trans* Mann, der auf die Genital-Operation verzichtet, weil er ein Kind gebären möchte, erhält für dieses Kind also eine Geburtsurkunde, in der er als Mutter eingetragen ist. In der sein Mädchenname steht, der „Deadname“. Der Name einer Person, die er nicht ist. „Menschenfeindlich“, sagt Hector.

Mehr geschlechtliche Vielfalt im Landesrecht

Die Bundesgesetzgebung allerdings ist für ihn noch in weiter Ferne, aktuell ist er Abgeordneter der Bezirksversammlung Altona. Seine Politikerkarriere begann vor etwa vier Jahren, nicht lange nach seinem Outing. „Mich hat aufgeregt, dass man in den Selbsthilfegruppen immer von den gleichen Rückschlägen hört“, sagt er. Er stieg beim Bundesverband trans* ein, war dort bis Herbst Vorstand. „Aber Gesetze werden in Parlamenten gemacht“, sagt Hector, „und dort sind zu wenige von uns.“

Falls es klappt mit dem Bürgerschaftsmandat, möchte er sich dafür einsetzen, dass das Hamburger Landesrecht geschlechtliche Vielfalt besser abbildet. „Es kann doch nicht sein, dass überall von Frauen und Männern die Rede ist statt von Menschen“, sagt er. Auch will er sich dafür einsetzen, dass Menschen, die im Rahmen des TSG-Verfahrens zwangssterilisiert wurden, entschädigt werden. Die Belange queerer Geflüchteter liegen ihm am Herzen – und, klar, das Klima.

Am nächsten Haus knackt die Gegensprechanlage. „Hallo, ich bin Adrian von den Grünen“, sagt Hector. Signalwort. Noch bevor er sein Anliegen vorbringen kann, wird der Türsummer betätigt. Hier in Altona gaben fast 36 Prozent der Wählenden bei der Europawahl im Mai den Grünen ihre Stimme, keine Partei erhielt mehr im Bezirk.

Im vierten Stock stehen ihm Schweißperlen an den Schläfen. „Mir ist eigentlich immer warm“, sagt er, „das liegt sicher auch am Testo.“ Testosteron nimmt er seit dreieinhalb Jahren. Den Beginn seiner Transition hat er immer wieder aufgeschoben, er wollte seine Sportkarriere nicht vor dem Höhepunkt beenden: Erst hat er geboxt, dann kam er zum Brazilian Jiujitsu. „Körperschonender“, sagt er, Bodenkampf ohne Schläge und Tritte. Eine Woche bevor er seinen Personenstand ändern ließ, gewann er, schon geoutet, Bronze bei Weltmeisterschaften – im Frauen-Tableau.

Kampfgeist beweisen musste er auch im Anschluss. „Der Beginn der Transition ist das Härteste“, sagt Hector. Anders als Homosexuelle hätten transgeschlechtliche Menschen keine Wahl, wem gegenüber sie sich outen und wem nicht. „Man kann sich nirgends verstecken. Auch im Urlaub hat man keine Pause.“ Inzwischen sieht man Hector seine Transgeschlechtlichkeit nicht mehr an, an den Haustüren macht er sie nicht zum Thema. Wenn er seltsam angeschaut wird, dann deshalb, weil da überhaupt ein Fremder klingelt.

Erniedrigende Zwangsbegutachtung

In Hamburg haben letztes Jahr 31 Menschen ihren offiziellen Geschlechtseintrag ändern lassen. Acht davon haben die „dritte Option“ gewählt, den Eintrag „divers“. Anders als bei der Personenstandsänderung nach dem TSG ist dafür nur ein einfaches ärztliches Attest notwendig. Transgeschlechtlichen Menschen war dieser Weg bisher versperrt, erst im Juni hatte das Bundesinnenministerium die Standesämter in einem Rundschreiben ermahnt, nur intergeschlechtliche Personen als „divers“ zu registrieren.

Ein neues Rechtsgutachten, gefördert vom Bundesfamilienministerium, stellte allerdings im Dezember fest, dass auch bei Transgeschlechtlichkeit eine Bescheinigung über eine „Variation der Geschlechtsentwicklung“ ausgestellt werden darf, „ohne dass dieses Attest nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand unrichtig wäre“.

„Damit wäre das TSG endlich tot“, sagt Adrian Hector. Er erwartet, dass Menschen wie er in Zukunft lieber die dritte Option wählen, als das quälende Gerichtsverfahren nach TSG auf sich zu nehmen. „Es wäre endlich vorbei mit der erniedrigenden Zwangsbegutachtung“, sagt er – aber auch: „Das ist noch lange nicht genug.“ Also weiter im Wahlkampf.

In einem dritten Stock schellt er an einer Tür mit „Atomkraft? Nein danke“-Aufkleber. Er entspannt die Schultern. „Heimspiel“, sagt er.

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