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Trainerabschied in FreiburgNoch einmal spielen

Bei seinem letzten Heimspiel mit dem SC Freiburg wird Christian Streich gefeiert. Der kann noch nicht loslassen. Es geht schließlich noch um etwas.

Winkewinke! Christian Streichs letzter Abgang über den Freiburger Rasen Foto: dpa

Freiburg taz Große Abschiede sind Momente des Innehaltens, der Rührseligkeit und Sentimentalitäten. Und sie sind Momente der mitunter weitschweifigen Rückschau. Doch wie soll das gehen, wenn dem zu Verabschiedenden die letzten zwei Stunden so schwer und unverdaut im Magen liegen und ihn schon die Sorgen um das nächste Spiel in einer Woche umtreiben, das vorläufig sein letztes nach 29-jähriger Trainertätigkeit im Verein sein wird?

Eine gewisse Ratlosigkeit machte sich nach dem Remis des SC Freiburg gegen den 1. FC Heidenheim breit. Gefühlt verbrachte Christian Streich eine halbe Ewigkeit auf der Bank, während beide Teams und Honoratioren auf den großen Moment des offiziellen Abschiednehmens warteten. „Weil ich gedacht habe, warum können wir das Spiel nicht gewinnen, warum kriegen wir den Ball nicht aus vier Metern über die Linie. Das war alles, was ich gedacht habe“, erklärte Streich hinterher.

Nach einer ausgeglichenen ersten Halbzeit und den Treffern von Ritsu Doan und Heidenheims Kevin Sessa, mühten sich die Freiburger mit schon verzweifelter Leidenschaft, aber ohne Fortune um das geeignete Abschlussgeschenk im eigenen Stadion für ihren Trainer. Obendrein verlängerte sich die eh schon lange Verletztenliste mit Manuel Gulde um einen weiteren Spieler (Muskelfaserriss).

Vor der Partie wäre in dieser so unausbalancierten Bundesligasaison sogar noch eine Champions-League-Teilnahme des SC denkbar gewesen, obwohl der Verein mehr Spiele verloren als gewonnen hat. Und trotz der riesigen Enttäuschung von Streich am Samstag könnte es nächste Woche doch noch ein Happy End geben. Freiburg könnte sich bei Union Berlin, die um den Klassenerhalt kämpfen, zum dritten Mal in Folge für einen europäischen Wettbewerb qualifizieren. „Dann wäre ich der glücklichste Mensch“, sagte Streich.

Hamsterrad Fußball

Er schwankte bei seinem letzten Auftritt in Freiburg zwischen Frust und Hoffnung. Es ist nicht einfach, aus dem Hamsterrad Fußball-Bundesliga auszusteigen, zumal wenn es am Ende noch einmal so an Fahrt aufnimmt.

Aber als Christian Streich endlich so weit war, die Ehrerbietungen der Vereinsführung entgegenzunehmen und den Rasen zu betreten, da versuchte die Südtribüne ihm feinfühlig über die Pein des aktuellen Spiels hinwegzuhelfen, indem sie ganz in Streich-Manier den Blick nach unten richtete und anstimmte: „Zweite Liga, nie mehr, nie mehr …“

Es gab die üblichen, aber kurz gehaltenen Dankesreden, auch für den ebenso scheidenden Assistenztrainer Patrick Baier, Qualitätsweine in Jahrgängen von besonders denkwürdigen Spielzeiten, die obligatorischen Portraitfotos der Geehrten in XXL-Rahmen. Tief hatte aber die Vereinsführung bei der Verabschiedung nicht in die dramaturgische Trickkiste gegriffen.

Die ganz großen Gefühle sollten vermutlich Streich zuliebe gar nicht erst losgetreten werden. So konnte die knappe Zeitreise, die bildlich unterlegt über die Stadionbildschirme flimmerte, Streich gar nicht groß anfechten. Kaum hatte er das Mikrofon in der Hand, gratulierte er Heidenheim erst einmal zum Punktgewinn und wollte auch „nimmer so viel sagen“.

Wirklich emotional wird es dann vermutlich am letzten Bundesliga­spieltag in Berlin, wenn alle Entscheidungen gefallen sind. Darauf angesprochen antwortete Streich: „Ja, aber bis jetzt, muss ich sagen, habe ich es echt gut im Griff.“

Streich ist nah am Wasser gebaut, weil er, wie er einmal bekannte, schon beim Bücherlesen Probleme hat, Distanz zwischen sich und dem Gelesenen aufzubauen. So hat er in diesen letzten Wochen auch noch seine eigene Emotionalität zum Gegner. Als er seine Stadionehrenrunde antrat, wurde der emotionale Spagat sichtbar. Die Augen glänzten leicht vor Feuchtigkeit. Das Publikum und er bedachten sich gegenseitig mit warmem Applaus.

Applaus vom Gegner

Im Gästeblock brandete ebenfalls Applaus auf, als Streich vorbeikam. Das komplette Heidenheimer Team war bis zum Schluss der Ehrung auf dem Rasen geblieben. Die Anerkennung, die Christian Streich in der ganzen Bundesliga genießt, trugen die schwäbischen Gäste besonders intensiv vor. Als Streich wiederum seine Sympathie für Heidenheim bekundete, war er für deren Anhang sogleich „der beste Mann“. Mehr Harmonie war an diesem späten Nachmittag nun wirklich nicht mehr möglich.

Wäre da nur nicht noch dieser letzte Bundesligaspieltag. Christian Streich sagte: „Auch wenn wir es nicht schaffen, war es dann trotzdem eine tolle Saison, mit all den Schwierigkeiten. Dann ist nicht alles schlecht gewesen.“

Und vielleicht ist dann Streich für Zeitreisen bereit, die weiter reichen als nur über ein Spiel oder eine Saison.

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