Trainer-Comeback in Darmstadt: Aktiv und attraktiv
Mit neu erlernter Demut hat Florian Kohfeldt Darmstadt an die Spitze der zweiten Bundesliga geführt. Und sehenswerten Fußball lässt er auch spielen.
Dazu laden die Südhessen als Tabellenführer der zweiten Bundesliga. Die Vorstellung beim Aufstiegskandidaten Fortuna Düsseldorf (3:0) am vergangenen Sonntag sah schon erstligareif aus, weil von hinten bis vorne durchdacht. Früher hätte Florian Kohfeldt danach im Lob gebadet. Heute fällt dem Trainer nur eine Kindheitserinnerung ein. „Ich habe mit zwölf aufgehört mit der Kicker-Stecktabelle.“
Ein Spruch, der auf eine neue Demut hinweist. In seinen besten Zeiten beim SV Werder mit dem Klassenerhalt 2018 und der Beinahe-Europapokalteilnahme 2019 neigte der zum DFB-Trainer des Jahres 2018 gekürte Fußballlehrer ja dazu, die Geschehnisse sehr durch die Bremer Brille zu bewerten. In die grün-weiße Welt war er nach der A-Jugend als Torhüter der dritten Mannschaft eingetaucht, bald war das Trainertalent jedem im Verein bekannt. Da gab es kaum einen, der beliebter gewesen wäre im Klub. Das hat es in Krisenzeiten erschwert, kritische Distanz zu wahren.
Es soll in der Branche sogar ein bisschen Schadenfreude geherrscht haben, als der eloquente Fußballerklärer Kohfeldt im Mai 2021 mit Bremen aus der Bundesliga purzelte. Bis zum letzten Spieltag hatte man an ihm festgehalten, ehe Vereinslegende Thomas Schaaf übernahm. Da war es schon zu spät. Dass der Coach vergleichsweise früh wieder eine Anstellung beim VfL Wolfsburg fand, wo er ebenso wenig glücklich wurde wie beim Gastspiel bei KAS Eupen in Belgien, war im Rückblick nicht verkehrt.
Wichtige Überzeugungsarbeit
Kohfeldt konnte vieles reflektieren. Auffällig: Seitdem überzieht er nicht mehr. Da hat sich einer zurückgenommen, ohne seine Stärken zu verraten. Noch immer ist die Rhetorik dieses intelligenten Fußballlehrers ein wichtiges Stilmittel. Und der Coach hat viel sprechen müssen, um das Umfeld zu überzeugen. Denn rund ums Böllenfalltor hat man ihn nicht mit offenen Armen empfangen.
Skepsis spielte mit, als der Nachfolger von Torsten Lieberknecht am 7. September 2024 anfing. Seitdem stehen in der Kohfeldt-Tabelle 15 Siege, 9 Unentschieden, 12 Niederlagen. Und doch sind die Lilien dem Mittelmaß entflohen, weil ihr Coach aufgeblüht ist. Darmstadt 98, sagte der zuletzt, sei „wirklich ein besonderer Verein: Eine solch emotionale Verbundenheit habe ich seit der Zeit in Bremen nicht mehr gespürt.“ Eng ist die Zusammenarbeit mit Sportdirektor Paul Fernie.
Man funkt auf einer Wellenlänge und findet sich hinter denselben Direktiven wieder, die Fernie gerade so beschrieb: „Wir wollen die Umschalt-Kings in beide Richtungen werden.“ Der frühere Scout der Blackburn Rovers und von Nottingham Forest hat beim Zweitligisten vieles auf den Prüfstand gestellt – und auch die Spielweise beeinflusst.
Dieser Zweitligist spielt aktiv und attraktiv. Die Offensivkräfte Isac Lidberg, Fraser Hornby, Kilian Corredor und Marco Richter sind sich für keinen Weg nach hinten zu schade. Vorne beeindruckt die Intensität, hinten die Konsequenz. Erst fünf Gegentore sind der Beleg. Der mit perfekten Flugbällen aufwartende Verteidiger Patric Pfeiffer gibt ebenso eine herausragende Stütze wie Marcel Schuhen als einer der reaktionsschnellsten Keeper des deutschen Profifußballs. Der meinungsfreudige Torwart gilt seit Jahren als das inoffizielle Sprachrohr des Klubs.
Dennoch sollte niemand erwarten, dass jemand aus dem Klub öffentlich den Aufstieg als Ziel ausgibt. Doch natürlich hätte gewiss niemand was dagegen, wenn die tabellarischen Aussichten so fröhlich stimmen wie die Klubhymne zu Beginn jedes Spiels.
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