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Traditions-Duell Braunschweig gegen HSVHarte Landung für die Eintracht

Zwei Traditionsclubs in der Zweiten Liga: Nur kurz konnte Aufsteiger Eintracht Braunschweig dem Herbstmeister HSV Paroli bieten.

Freudensprung im Sitzen: der Braunschweiger Torschütze Marcel Bär Foto: Swen Pförtner/dpa

Braunschweig taz | Die Fußballer des Hamburger SV haben einen Gesamtmarktwert von mehr als 35,5 Millionen Euro. Eintracht Braunschweig erreicht dagegen als einziges Team der Zweiten Fußball-Bundesliga nicht mal die Zehn-Millionen-Marke, wenn man den Schätzungen des Fachdienstes Transfermarkt.de traut. HSV-Torwart Sven Ulreich etwa ist exakt zehn Mal so viel Ablöse wert wie sein Gegenüber Jasmin Fejzić.

Diese Fakten bilden sich auch in der Tabelle ab, wo der HSV ganz oben steht, aber im dritten Zweitligajahr auch unbedingt aufsteigen muss, während die Braunschweiger irgendwie die Klasse halten wollen. Jeder hat also auf seine Art Druck.

Diese Voraussetzungen nahm Eintracht-Trainer Daniel Meyer schon vor dem Anpfiff zum Anlass für verbales Trommeln: Er bemühte den einst von Oliver Kahn gesellschaftsfähig gemachten Spruch von den dringend benötigten Testikeln. Und die zeigt die Heimmannschaft in der ersten Halbzeit.

Der große HSV rennt an, Braunschweig verteidigt richtig clever und nutzt gleich die erste Chance durch Felix Kroos zu einem Stochertor. Hamburg versucht eine Antwort zu geben – und fängt sich nach einer viel zu kurzen Rückgabe von Toni Leistner auf Ulreich das zweite Gegentor durch Marcel Bär.

Die Sensation scheint möglich

„Das sieht ja mal richtig nach Fußball aus“, entfährt es dem Radiokollegen mit blau-gelbem Braunschweig-Schal um den Hals. Ja, das stimmt. Und die Sensation scheint tatsächlich möglich. Bis zur Nachspielzeit der ersten Hälfte, als David Kinsombi den Anschlusstreffer ins Tor wuchtet.

Was danach passiert, ist selbst mit reinem Druck, fehlender Klasse oder Unkonzentriertheit kaum mehr zu erklären. Denn Braunschweig entscheidet sich, dem nicht sonderlich gut aufgelegten HSV unter die Arme zu greifen. Innerhalb von nicht mal 15 Minuten macht der arme Zweitligaaufsteiger den reichen Kollegen aus dem Norden drei wertvolle Geschenke.

Erst lässt Behrendt seinen eigenen Keeper ins Leere rutschen und legt lieber Simon Terodde auf, dann schiebt der eingewechselte ­Aaron Hunt die Kugel aus spitzem Winkel Torwart Fejzić durch die Beine, und schließlich dreht der gebürtige Hamburger Lasse Schlüter am linken Eck des eigenen Strafraums lieber drei Pirouetten, als die Kugel Richtung benachbartes Wolfenbüttel zu bolzen. Kinsombi macht den Deckel drauf.

Erstaunlicherweise bleiben die ganz in Weiß spielenden Hamburger danach in der eigenen Abwehr wackelig, jede Standardsituation scheint Gefahr zu schaffen. Aber die Eintracht hat sich mit der Rolle des tragischen Underdogs, der seine Erfolge mit dem Hintern selbst wieder einreißt, längst arrangiert. Neun Ecken segeln in die gegnerische Gefahrenzone, nicht ein Ball kommt im Anschluss auf das Tor.

„Keine Eier, ey“

Ein weiteres Beispiel liefert die 83. Minute, als der Ball im Hamburger Strafraum von Spieler zu Spieler weitergereicht wird und Bär erst abschließt, als wirklich alle Hamburger den Weg Richtung Tor verstellen. Torhunger? Oder die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen?

Nie gehört. Trainer Meyer dreht sich in diesem Moment resigniert um und stellt fest, dass es mit den geforderten Fortpflanzungsorganen doch nicht so weit her ist: „Keine Eier, ey.“ Es ist nur einer der Nachteile dieser Geistersaison, dass man die Äußerungen des sportlichen Personals in all ihrer Schlichtheit eins zu eins mitverfolgen kann.

So endet diese Geschichte erwartungsgemäß. Der HSV bleibt weiter Spitzenreiter der Zweiten Liga, feiert die Hinrundenmeisterschaft und kann von der Champions League im übernächsten Jahr träumen (mindestens), während Braunschweig die ums Überleben kämpfende Kirchenmaus gibt, die stets auf den niedrigen Etat verweist.

Fazit: Geld schießt vielleicht nicht zwangsläufig Tore, aber kein Geld macht eindeutig mehr Fehler.

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