Traditionelles Totengedenkfest in China: Digitale Räucherstäbchen

Beim Qingming-Fest am Sonntag galten in Wuhan weiche Ausgangssperren. Viele Familien erstellen virtuelle Gräber für ihre Verstorbenen.

Ein Mann mit einer Mundschutz weint

Tränen in Wuhan: China trauerte zum Qingming-Totengedenkfest am Sonntag um die Verstorbenen Foto: Aly Song/reuters

PEKING taz | Kurz vor 10 Uhr begannen am Samstagmorgen die Autos vor dem Eingang des Pekinger Arbeiterstadions zu hupen. Wenig später setzten auch die Luftschutzsirenen ein. Die Passanten hielten inne, Verkehrspolizisten standen mit gesenktem Kopf, und die Ampeln blieben drei Minuten auf Rot geschaltet. In kollektiver Einigkeit gedachte die Volksrepublik China am 4. April ihrer über 3.000 Virustoten. Zum ersten Mal, seit im Jahr 2010 rund 1.500 Menschen bei einem Erdrutsch in der nordwestlichen Provinz Ganzu umgekommen sind, hat die Regierung einen nationalen Trauertag ausgerufen.

Der Gedenktag fühlt sich fast schon wie das symbolische Ende der Virusepidemie in China an: Auch am Sonntag meldete die Nationale Gesundheitskommission nur 30 Neuinfektionen, wobei 25 davon sogenannte „importierte Fälle“ aus dem Ausland waren.

Auch wenn China das Coronavirus seit mehreren Wochen erfolgreich unterdrückt hat, droht jedoch weiterhin die Gefahr einer zweiten Infektionswelle. In den letzten Tagen hat die Regierung daher viele Lockerungen der Bewegungsfreiheit wieder zurückgenommen. In der 11-Millionen-Metropole Wuhan etwa, deren Anwohner seit letzter Woche bereits ihre Wohnungen nach zwei Monaten Quarantäne verlassen durften, wurde nun für nicht essenzielle Tätigkeiten eine weiche Ausgangssperre erneuert. Das galt auch für das traditionelle Qingming-Fest vom 4. April, an dem die Chinesen Gaben an ihre Familiengräber niederlegen und Räucherstäbchen anzünden.

So verlagert sich das Totengedenken in den digitalen Raum: Etliche Bestattungsinstitute und Friedhöfe ermöglichen Trauernden auf ihren Webseiten, „virtuelle Gräber“ zu erstellen. Dort können Familienangehörige Fotos hochladen, digitale Kerzen anzünden und Gaben wie Reiswein und Früchte niederlegen. Über 300.000 solcher virtuellen Gräber wurden allein bei einem Anbieter seit Januar eröffnet.

In Wuhan konnten die meisten Angehörigen auf dem Höhepunkt der Epidemie ihren an Covid-19 verstorbenen Verwandten nicht die letzte Ehre erweisen. Die Behörden konfiszierten die Leichen und äscherten sie umgehend ein. Als schließlich die Bestattungsinstitute Ende März wieder öffneten, bildeten sich davor lange Schlangen von Anwohnern, die nun die Asche abholen konnten.

Wut gegen die Regierung

Am Samstag legten Anwohner Wuhans Blumenbouquets vor dem Zentralkrankenhaus nieder. Dort hatte auch der am Virus verstorbene Arzt Li Wenliang gearbeitet, der als einer der ersten Mediziner vor den Gefahren eines „Sars-ähnlichen Virus“ gewarnt hatte, jedoch von den Behörden einen Maulkorb verpasst bekam. Sein Tod am 7. Februar löste nicht nur Trauer aus, sondern auch Wut gegen die Regierung, die keine Meinungsfreiheit zulässt.

Li Wenliang wurde jetzt offiziell zum Märtyrer erhoben. Aber geändert hat sich nichts: Bis heute werden Aussagen von „Whistle­blower“-Ärzten über das Versagen der offiziellen Stellen weitgehend zensiert. „Wir Bewohner Wuhans haben kein Kurzzeitgedächtnis“, sagte eine trauernde Anwohnerin aus Wuhan den Reportern vor dem Zentralkrankenhaus: „Wir haben uns im Februar erinnert, wir erinnern uns jetzt im April und werden uns auch in der Zukunft daran erinnern“.

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