Tourismus in Tunesien: Trotz Rekordjahr droht Hotelpleite
Tunesien leidet schon lange unter dem Massentourismus. Die Thomas-Cook-Pleite wirbelt die Branche durcheinander. Jetzt kämpfen Hotels ums Überleben.
Die Pleite eines der drei großen Reisemonopolisten trifft das 11-Millionen-Einwohner-Land in der wichtigsten Umbruchphase seit der Revolution vor acht Jahren. Am 6. Oktober wird ein neues Parlament gewählt. Und demnächst steht auch die Stichwahl für das Präsidentenamt an. Die Kandidaten wollen vor allem die armen Regionen umkrempeln. Aus Orten wie Sidi Bou Said oder Kasserine kommen viele der Hotelangestellten, die sich mit schlecht bezahlten Saisonverträgen zumindest ein halbes Jahr lang aus der Arbeitslosigkeit retten.
Vor dem Check-Schalter in Enfidha stehen britische Botschaftsbeamte und organisieren die größte Rückholaktion der zivilen Luftfahrt seit dem Zweiten Weltkrieg. „Wir wissen noch nicht genau, wie die nächsten Tage ablaufen werden“, sagt einer der beiden der taz. Am Montag läuft alles nach Plan, auch wenn niemand weiß, wer den Flieger aus Manchester eigentlich geschickt hat.
Mindestens 25 Hotels in Tunesien sind von den Gästen des größten britischen Reiseveranstalters abhängig. Sechs Hotels der Sentido-Gruppe, Jet Tours- und Tui-Hotels werden von den Thomas-Cook-Bussen vom Flughafen Enfidha aus angefahren. Einigen droht trotz Rekordsaison die Pleite.
Monatelang auf den Lohn warten
Denn die Zusammenarbeit mit großen Reiseveranstaltern beruht auf einem Kreditgeschäft: Jeden März erhalten die Hotels eine Anzahlung, um sich die nötigsten Anschaffungen leisten zu können. Die erste Zahlung für die gebuchten Gäste erfolgt dann im Juli, so lange müssen auch viele Hotelangestellte auf ihren Lohn warten.
Kredite gewähren tunesische Banken meist nur mit den entsprechenden Verbindungen in den Präsidentenpalast. „Viele Hoteliers können wegen der von den großen Veranstaltern knallhart berechneten Preise im All-inclusiv-Segment keine Kredite bedienen und sind froh, dass die Banken stillschweigend auf die Rückzahlung der Kredite verzichten“, sagt der Manager des Dar-El-Marsa-Hotels in Tunis.
Nach Schätzung von Branchenkennern schuldet Thomas Cook seinen Vertragspartnern mindestens 60 Millionen Euro, die zweite Tranche, die üblicherweise für den Zeitraum Juli bis Oktober jetzt überwiesen werden muss.
Vielleicht war es die Angst um seinen eigenen Lohn, der den Rezeptionschef des 5-Sterne-Hotels „Les Orangers Beach Resort“ an einem der schönsten Strände am Samstagabend dazu brachte, drastische Maßnahmen zu ergreifen. Nachdem drei hünenhafte Hotelwächter die Außentore und dann die Lobby abgeriegelt hatten, forderte er die abreisenden britischen Urlauber auf, ihre über Thomas Cook gebuchten Zimmer selbst und sofort zu zahlen.
Rund 3.000 Euro waren offen, eine ältere Urlauberin gab dem Druck nach und zahlte mit ihrer Kreditkarte, berichtet Ryan Farmer aus Leicester. Die Britin sprach gegenüber der Zeitung Daily Mail von einer Art Geiselnahme.
Aufgebrachte Urlauber
Die mit Mobiltelefonen gedrehten Aufnahmen der aufgebrachten Urlauber wurden schnell zur Ikone des Tsunamis, der mit der Cook-Pleite über Länder mit einem großen Pauschaltourismus wie Tunesien schwappt. „Vor allem die Macht über den Charterflugmarkt durch Thomas Cook, Tui und anderen macht uns Sorgen“, sagt Fahrhat Tanfous, der Manager des Apartment-Hotels Jardin de Toumana auf Djerba.
Individuelle Hotels wie das Jardin de Toumana sind abhängig von den Charterflügen der Reiseveranstalter, da Tunesien noch nicht dem Open-Sky-Abkommen beigetreten ist, weil die staatliche Airline Tunis Air die Konkurrenz von Billiglinien fürchtet.
„Die Pleite von Thomas Cook könnte das Ende des Massentourismus einläuten“, sagt Hotelmanager Fahrhat Tanfous. Der Individualtourismus wäre für Touristen und Einheimische ohnehin besser. „Doch Tunesien ist auf dieses Erdbeben nicht vorbereitet.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Protest gegen Kies- und Sandabbau
Der neue Kampf gegen Gruben