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Tourismus im Norden läuft wieder anVor der Seebrücke wird's eng

St. Peter-Ording musste wegen der Coronapandemie in den Ruhemodus schalten. Montag wird wieder hochgefahren. Eine Ortsbegehung.

Wird eng: Die Seebrücke in St. Peter-Ording ist ein Nadelöhr auf dem Weg zum Strand Foto: Esther Geißlinger

Neumünster taz | Vasen mit roten Tulpen stehen auf den Tischen des Cafés, aber niemand sitzt dort. An der Tür des geschlossenen Heimatmuseums werben Plakate für Veranstaltungen, die nie stattgefunden haben. Rot-weißes Markierungsband sperrt die Bänke vor der Eisdiele. Überlaut schallt der Gesang der Amseln über die leeren Straßen. Der Ort sieht aus wie eine Filmkulisse in einer Drehpause: Die Gebäude, die Straßen, die Dünen, der Himmel und das Meer sind da, nur die Menschen fehlen. Am Montag sollen sie zurückkehren. Wird dann alles wie früher in St. Peter-Ording – und wäre das überhaupt gut?

Vor 60 Jahren, als ihre Eltern noch Kühe hielten und gelegentlich einen Raum in ihrem Reetdachhäuschen als „Fremdenzimmer“ vermieteten, musste Frauke Petersen immer erklären, was SPO bedeutet. „Heute beneidet mich jeder, dass ich hier leben darf“, sagt Petersen. Denn SPO, St. Peter-Ording, gilt als einer der beliebtesten Ferienorte in Schleswig-Holstein. Der Grund dafür ist der Strand, der dank einer Sandbank so breit ist wie nirgendwo sonst an der Festlandküste. Dazu kommt eine Schwefelquelle, die mit der salzhaltigen Luft den Ort zum „Nordseeheil- und Schwefelbad“ adelt.

Neben Familien und dem Rollatoren-Publikum reisen SportlerInnen an, für die St. Peter-Ording ein riesiger Spielplatz ist. Der Seewind schafft beste Bedingungen zum Wind- oder Kitesurfen, Strandsegler sausen über den Sand. Neben der Seebrücke stehen Strandbars auf Stelzen, im Ort lösen sich Fischbrötchen- und Eisläden mit Nippes- und Bekleidungsgeschäften ab. 2,5 Millionen Übernachtungen zählt die Nordseegemeinde mit ihren 4.000 EinwohnerInnen in einem normalen Jahr. Doch in diesem Jahr ist nichts normal.

Constanze Höfinghoff läuft mit schnellen Schritten über die Straße „Am Kurbad“ zum Platz vor der Seebrücke. Dieser Bereich wird ein Problem werden, es ist das engste Nadelöhr der Gemeinde. Wer zum Meer will – und das wollen alle – muss einen der Übergänge über die Dünen und Salzwiesen nutzen. Und die Seebrücke erschließt den breitesten, schönsten und belebtesten Teil der Sandbank. Selbst bei kühlem Wetter drängen sich hier Hunderte.

An diesem Tag kurz vor dem Neustart lassen sich die Menschen noch an einer Hand abzählen: Ein Mann mit Rad, eine Frau mit Hund, ein Pärchen in Windjacken, das über die Brücke in Richtung See schlendert. Kein Kite-Segel stört den Blick in die Ferne, Wolken treiben am Himmel, der Wind bringt Salz und Frische mit.

Die Tourismuszentrale hat Millionen verloren

Höfinghoff hat für die Natur keinen Blick, nicht in diesen verrückten Wochen. Die 49-Jährige ist seit 2014 Tourismus-Direktorin in SPO, Herrin über einen Jahresetat von 17 Millionen Euro und Chefin von 160 Angestellten in der Tourismuszentrale und der Therme mit Wellenbad, Sauna, Gesundheits- und Wellnessangeboten.

Rund 2,6 Millionen Euro an Einnahmen hat die Tourismuszentrale durch Corona bereits jetzt verloren, dafür ein Mehrfaches an Arbeit geleistet, sagt Höfinghoff: Alle Sorgen, alle Fragen landeten in der Zentrale. „Das Lustige ist, dass wir oft auch gar nicht viel mehr wissen als das, was gerade über die Medien transportiert wird.“

Das gilt auch für diese letzten Tage vor dem Neustart. Eigentlich freut sich Höfinghoff darauf, dass Lokale und Hotels wieder öffnen und Fremde anreisen dürfen: „Ich als Tourismus-Chefin musste den Gästen sagen: Bitte kommt nicht. Wie absurd ist das denn!“ Aber Einzelheiten stehen immer noch nicht fest, es fehlen detaillierte Verordnungen. Also „tappen alle im Dunkeln“.

Einige Gäste kommen nicht mehr, weil sie finden, der Ort sei überlaufen und zu rummelig

Frauke Petersen, Ferienwohnungsvermieterin

Weil Höfinghoff aber lieber regelt als abwartet – „Klar bin ich eigentlich nicht zuständig, aber wer soll’s sonst machen?“ –, hat sie ein „Lenkungskonzept“ entworfen. Der sichtbarste Teil sind blaue Aufkleber auf den Straßen, die Kernaussage lautet „Abstand“.

Zusätzlich werden die TouristInnen über Plakate, Broschüren und Mails über die Regeln zum Reisen in Coronazeiten informiert. „Auf freundliche und charmante Weise, denn wir sind freundliche Gastgeber und wollen die Gäste hier haben – aber wir appellieren an den gesunden Menschenverstand.“

Einfach werde es nicht, die Regeln durchzusetzen: „Es ist den Leuten manchmal schon schwer begreiflich zu machen, dass auch im Urlaub die Straßenverkehrsordnung gilt“, sagt Höfinghoff. Vor allem die Tagesgäste bereiten ihr Sorgen. Darunter die Gruppe der Sport­lerInnen: „Dass Sport im Freien wieder erlaubt ist, macht es für uns schwierig.“ Denn die Kiter und Surfer, die wie die meisten Gäste mit dem Auto anreisen, können zwar auf einen der Strandparkplätze fahren, aber viele landen trotzdem am Nadelöhr vor der Seebrücke.

Lässt sich etwas lernen aus der Krise, kann oder muss etwas anders werden? Höfinghoff schüttelt energisch den Kopf: „Mit Nachhaltigkeit befassen wir uns schon lange. Und über Verkehr wird auch seit Jahren gesprochen.“ Das Problem liegt in der Struktur des Ortes, in dem nur eine zentrale Straße die Ortsteile Ording, Bad, Dorf und Böhl verbindet. In der Saison drängen sich die Wagen hier Stoßstange an Stoßstange.

Ja, es wird gesprochen, nur geändert hat sich wenig. „Es wird allmählich zu viel mit dem Tourismus“, sagt Frauke Petersen. Ihr Hof liegt außerhalb des Ortskerns, umgeben von Wiesen, auf denen Kühe grasen. „Unsere Gäste suchen genau diese Ruhe“, sagt die 70-jährige Künstlerin. Sie ist vor einiger Zeit aus Hamburg zurück in ihr Elternhaus gezogen, hat im ehemaligen Kuhstall ihr Atelier eingerichtet.

Statt des möblierten Fremdenzimmers von früher gibt es zwei Ferienwohnungen im Haus, weiß gestrichen, mit modernen Möbeln und wenigen alten Stücken eingerichtet, die Petersens Mutter auf den Dachboden verbannt hatte.

Vermieten ist in SPO normal: 12.000 der insgesamt 17.000 Gästebetten im Ort werden privat angeboten. In dieser Saison fehlen den Einheimischen schon jetzt die Einnahmen einiger Wochen, und die strengen Hygiene-Auflagen mit Pausen zwischen den Vermietungen bedeuten Mehrarbeit und Umsatzverlust.

Der Massentourismus hat auch eine Kehrseite

Petersens Tochter Martje hilft ihrer Mutter bei der Verwaltung des Hauses aus dem 19. Jahrhundert. Zurzeit bauen die 35-Jährige und ihr Mann sich die Scheune zur Wohnung aus. Sie findet das Leben in SPO für junge Familien ideal, unter anderem wegen der Infrastruktur mit Läden, Kita, Schulen, Freizeitangeboten, die der Ort dank seiner Millioneneinnahmen vorhalten kann.

Trotzdem sieht auch sie die Kehrseite des Massentourismus. Und ihre Mutter erzählt, dass Kritik auch von Gästen kommt: „Einige kommen nicht mehr, weil sie finden, der Ort sei überlaufen und zu rummelig“, so Frauke Petersen. Sie wünscht sich, dass der Coronaschock etwas an den Strukturen ändert.

Constanze Höfinghoff sieht dagegen keine Alternative zum heutigen Urlaubsbetrieb: „St. Peter-Ording lebt zu 125 Prozent vom Tourismus.“ Wobei sie Änderungen durchaus befürwortet: Weniger Tagesgäste und damit weniger Verkehr, dafür mehr professionelle Unterkünfte seien wünschenswert. Zurzeit gibt es 2.000 Hotelbetten, 3.000 seien „durchaus zu vertreten“.

Aktuell wird im Ort über das sogenannte „Ufo-Hotel“ gestritten, ein Bau, der in den Dünengürtel gesetzt werden soll. Optisch soll das Haus darin verschwinden, aber der Naturschutz hat Bedenken. Die Gemeindevertretung ist uneinig, die Einheimischen ebenfalls.

Karsten Werner, Geschäftsführender Vorstand des „Strandgut Ressort“, sitzt im leeren Hotel-Restaurant „Deichkind“ und wirkt ex­trem entspannt dafür, dass sein Haus zurzeit täglich Geld verliert. Die meisten seiner 85 Beschäftigten waren in Kurzarbeit, ihr Chef freut sich, dass sie nun wieder zu vollen Bezügen, Schichtzuschlägen und Trinkgeld zurückkehren. In der Zwangspause ist einiges saniert worden in dem 2007 eröffneten „Lifestyle-Hotel“: „So ungestört können die Techniker sonst nie arbeiten“, sagt Werner, der 2013 in die Geschäftsleitung eingestiegen ist.

Gäste sollen nicht nur an die Ansteckungsgefahr denken

Eine neue Terrasse mit Meerblick wird helfen, die Abstandsregeln im Lokal einzuhalten – auf den Tischen liegen schon Warnzettel aus, die Zahl der Plätze wird reduziert. Aber noch sind viele Fragen offen: Nach den neusten Regeln dürfen zwei Familien gemeinsam essen, aber wie viele Personen könnten das sein, und wie soll ein Kellner herausfinden, wer zu einer Familie gehört?

Eine Antwort ist, dass Gäste platziert werden, statt sich selbst einen Platz zu suchen. Werner hofft darauf, dass die Menschen vorsichtig bleiben und Abstand halten, aber dennoch nicht ständig an die Ansteckungsgefahr denken: „Sie sollen schließlich ihren Urlaub auch genießen.“

Auch er findet, dass SPO durchaus noch mehr Hotels vertragen könnte, wobei es auf das Konzept ankäme: „Ein Familienhotel fehlt noch.“ Aber auch Werner wünscht sich, dass der Ort mehr auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz setzt, vielleicht auch deshalb, weil das bei seiner urbanen Klientel gut ankommt. So schlägt er vor, die Autos aus dem Zentrum zu verbannen und die Gäste mit Elektrobussen zu transportieren.

Die Ruhe in der Woche vor dem Neustart sei übrigens nur relativ, sagt er: „Die Zweitwohnungsbesitzer sind wieder da, das bringt schon einiges.“ Im April dagegen „liefen die Rehe auf den Straßen herum“.

Mehr darüber, wie sich der Norden wieder für Tourist*innen öffnet und sich dabei vor der Ausbreitung des Coronavirus schützen will, lesen Sie in der taz am wochenende oder in unserem eKiosk.

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