Tour de France: Kalkuliertes Risiko

Vor 40 Jahren fiel Profi Tom Simpson randvoll mit Amphetaminen leblos vom Rad. Der Tross rollte, davon beinahe ungerührt, weiter.

Leblos vom Rad gefallen: Britischer Fahrer Tom Simpson 1967 Bild: dpa

AUTUN taz Der 13. Juli 1967 war der Tag, an dem Hans Blickensdörfer das Hassen lernte. Wann immer der legendäre Tour-Reporter bis zu seinem Tod an jenen heißen Julifreitag zurückdachte, verspürte er Ekel. Es war der Tag, an dem der englische Radprofi Tom Simpson mit einer Überdosis Amphetaminen im Leib beim Anstieg auf den Mont Ventoux leblos aus dem Sattel kippte.

Selbst die Landschaft war Blickensdörfer im Rückblick widerlich. Der Ventoux, schrieb er, sei ein "hässliches Ungetüm" gewesen. Das ganze Rennen kam Blickensdörfer mit einem Mal "nutzloser als Brotbacken" vor, und auch die Fans riefen bei ihm Abscheu hervor, mit ihrem "morbiden Appetit auf das Schauspiel der Strapaze". Am meisten hasste Blickensdörfer jedoch nun das eigene Gewerbe, die "Journalisten, die sich für die Nöte der Rennfahrer weniger interessieren als für eine schnelle Verbindung mit der Redaktion".

Der Tod von Tom Simpson löste allerdings nur bei wenigen eine solch klare Einsicht aus. Eine vorübergehende Debatte in den französischen Zeitungen darüber, ob die Anforderungen der Tour nicht unmenschlich seien, wurde rasch wieder erstickt. Tour-Direktor Jacques Goddet verwies auf das Autorennen als Disziplin, bei der wesentlich mehr Sportler ums Leben kamen als im Radsport.

Die Fahrer zeigten sich ähnlich dickhäutig. Der fünffache Tour-Sieger Jacques Anquetil erneuerte seine häufig vorgetragene Forderung, kontrolliertes Doping unter ärztlicher Aufsicht freizugeben. Und auch den meisten von Anquetils Kollegen blieben die Pillen nicht im Hals stecken. Bei den Dopingkontrollen während der Tour 1968 fiel zwar kaum ein Fahrer auf. Das lag aber nicht etwa daran, dass die Fahrer etwas aus Simpsons Tod gelernt hatten, sondern vielmehr an der Laxheit der Tests.

Der Historiker Christopher Tompson beschreibt in seinem Tour-de-France-Buch, wie einfach es damals war, "eimerweise" Fremdurin zu den zumeist angekündigten Kontrollen zu tragen. Wenn doch einmal jemand erwischt wurde, konnte er ohne Schwierigkeit die Strafen abwenden. So erwirkte der Sieger der 67er-Tour, Roger Pingeon, vor Gericht, dass seine nur vier Monate kurze Sperre wegen Amphetamin-Missbrauchs wieder ausgesetzt wurde.

Simpsons Tod blieb weitgehend ohne Konsequenzen. Der französische Staat, der 1965 ein Anti-Doping-Gesetz erlassen und 1966 unter lautem Protest der Fahrer die ersten Tests bei der Tour durchgeführt hatte, wollte sich nicht unbeliebt machen, indem er eine populäre Veranstaltung torpediert. Er übergab die Dopingkontrollen dem Radsportverband, der seinerseits wenig Interesse daran zeigte, schlechte Publicity durch positive Fälle zu erzeugen.

Ein Jahr zuvor hatte Gaston Plaud, der Direktor von Tom Simpsons Mannschaft, nüchtern gesagt: "Wer bei der Tour an den Start geht, weiß, worauf er sich einlässt." Simpson wusste, was er tat. Vor der Ventoux-Etappe hatte er mehr als acht Minuten Rückstand auf den Gesamtführenden. Eine gnadenlose Attacke war seine letzte Chance auf Gelb. Er tat, was er tun musste, und war sich der Risiken voll bewusst. Simpsons Tod war ein einkalkulierter Betriebsunfall. Dass so etwas im Prinzip beim Spektakel Tour jederzeit vorkommen kann, war schon immer allen klar. Der tödliche Sturz des Spaniers Francesco Cepeda 1935 am Galibier etwa schlug bis auf eine kurze Meldung unter dem Rennbericht des Tages kaum Wellen. Die Zeitung LAuto schrieb, dass Cepeda bei der treuen Erfüllung seiner Pflicht gestorben sei - wie ein tapferer Soldat.

Der Radsport tolerierte den Tod auf der Landstraße als Berufsrisiko. Um das Risiko auszuschließen, hätte er nach 1967 zu etwas völlig Harmlosem mutieren müssen, zu etwas, das mit Sicherheit auf alle Beteiligten eine deutlich geringere Anziehung ausübt. Das ist nie geschehen. Vor seiner Großattacke im vergangenen Jahr, nach der er positiv auf Testosteron getestet wurde, lag Floyd Landis beinahe exakt so im Rennen wie sein Kollege Simpson vor jenem 13. Juli 1967. Landis tat exakt das Gleiche, das Simpson 39 Jahre zuvor auch getan hatte: Er dopte und attackierte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.