Toter Offiziersanwärter in Munster: Friendly Fire nach dem Marsch
Die Soldaten, die nach einer Übung kollabierten, mussten Strafmärsche absolvieren. Die Sepsis, an der einer starb, könnte damit zusammenhängen.
Am Ende der Woche sieht die Sache komplizierter aus. Ermittler der Bundeswehr haben Soldaten befragt, Spinde durchsucht und Blutproben untersucht – und dabei keine Hinweise auf verbotene Substanzen gefunden. Dafür fanden sie heraus, dass die Marschübung am 19. Juli härter war als bisher bekannt. Das geht aus einem Zwischenbericht des Verteidigungsministeriums an den Bundestag hervor, über den am Donnerstag zunächst die Rheinische Post berichtete und der auch der taz vorliegt.
Vier Soldaten seien bei leichten Eingewöhnungsmärschen kollabiert, hatte die Bundeswehr bisher angegeben. Die Übung sollten sie mit leichtem Gepäck und ohne Zeitvorgabe absolvieren. Ziel sei es wie üblich gewesen, sie schrittweise an körperliche Belastungen heranzuführen.
Tatsächlich steht für die Offiziersanwärter am 19. Juli ein Eingewöhnungsmarsch auf dem Dienstplan. In der Grundausbildung ist eine solche Übung über wenige Kilometer für den ersten Ausbildungsmonat vorgesehen. Das Pensum soll für den Anfang reichen, nach wenigen Wochen in der Armee sind schließlich noch nicht alle Soldaten richtig fit.
In Munster soll der Marsch im Gelände beginnen, etwas mehr als drei Kilometer von der Kaserne entfernt. Nach dem Transport zum Startpunkt stellen die Ausbilder aber fest, dass 29 der 43 Offiziersanwärter nicht ihre komplette Ausrüstung dabei haben. Um die fehlenden Gegenstände zu holen, müssen sie „stellenweise im Laufschritt“ zurück marschieren.
Zusammenbruch vor der Kaserne
150 Meter vor der Kaserne bricht der erste Soldat zusammen. Die Vorgesetzten lassen ihn in erst in den Sanitätsbereich der Kaserne fahren, von dort kommt er ins Krankenhaus. Zehn Tage später stirbt er dort.
Die restlichen Soldaten marschieren am 19. Juli die drei Kilometer zurück ins Gelände, einige müssen zwischendurch Liegestütze machen. Eine Offiziersanwärterin ist währenddessen „kurzzeitig benommen und nicht ansprechbar“, läuft aber trotzdem weiter. Später am Tag passiert ihr das noch zwei Mal.
Im Gelände angekommen, machen die Soldaten in den nächsten Stunden weitere Übungen und Pausen. Am Nachmittag beginnt dann der ursprünglich vorgesehene, reguläre Eingewöhnungsmarsch. Zwei weitere Offiziersanwärter „fallen aus“ und kommen ins Krankenhaus. Dort müssen sie zwei Wochen lang bleiben, inzwischen absolvieren sie mehrwöchige Rehamaßnahmen.
Der nächste Soldat bricht ganz am Ende des Marsches zusammen. Im Hubschrauber kommt er ins Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg. Sein Zustand ist einen Monat später immer noch kritisch.
11 von 43
Ein weiterer Soldat sitzt nach der Übung auf einem Stuhl in der Unterkunft und ist kurzzeitig nicht ansprechbar, kann seinen Dienst danach aber fortsetzen. Fünf andere Offiziersanwärter klagen während der Märsche über Schmerzen und Beschwerden an den Knien, Unterschenkeln, Füßen oder am Bauch.
11 von 43 jungen Soldaten, ein Viertel des Ausbildungszuges, sind angeschlagen, benommen, leicht verletzt, schwer verletzt oder tot – nach einer Übung, die die Ausbilder zur Strafe für vergessene Gegenstände deutlich verschärft haben. Durften sie das?
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte am Freitag, es sei nicht ungewöhnlich, dass Soldaten in der Grundausbildung zurück zur Kaserne marschieren müssen, um vergessene Ausrüstung zu holen. „Das ist ein Vorgang, der sicherlich nicht alleine steht in der Bundeswehr.“ Von einem Strafmarsch wolle er dabei nicht sprechen, lieber von einer „erzieherischen Maßnahme“.
Wann solche Maßnahmen zulässig sind, regelt die Bundeswehr in einem speziellen Erlass. Die Maßnahmen sollen „Gleichgültige anspornen, sowie Unwillige wirksam an ihre Pflichten erinnern“. Vorgesehen sind Zurechtweisungen, Meldungen an die Vorgesetzten, schriftliche Strafarbeiten oder die „Verlängerung eines einzelnen Teilabschnitts der Ausbildung“. Alles steht aber unter der Vorgabe, die „Unversehrtheit der Person“ und die „Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten“ zu beachten. Haben die Ausbilder in Munster das berücksichtigt?
Organversagen wegen Sepsis
Der Sprecher des Verteidigungsministeriums sagt, er warne vor voreiligen Schlüssen. Ob der Extramarsch für die Erkrankungen „kausal war, ob er mitursächlich war oder einer von vielen Faktoren“, sei noch nicht klar.
Entscheidende Details sind tatsächlich noch offen. Worunter die Soldaten im Krankenhaus und in der Reha genau leiden, ist zum Beispiel nicht öffentlich bekannt. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg, die den Vorgang prüft, teilte bisher nur ein erstes Obduktionsergebnis mit. Eine Sprecherin der Behörde sagte der taz, die Todesursache des verstorbenen Soldaten sei ein „Multiorganversagen in Folge einer Sepsis“.
Was passiert bei so einer Erkrankung? Michael Bauer ist Professor am Sepsis-Zentrum der Uniklinik Jena und sagt: „Bei einer Sepsis reagieren das Immun- und andere Abwehrsysteme nicht angemessen auf eine Infektion. Sie sollen eigentlich den Erreger bekämpfen, übertreiben es aber und machen sozusagen Friendly Fire: Sie greifen auch eigene Organe an.“ Wenn das erste Organ versagt, beginnt eine Abwärtsspirale. Eines nach dem anderen fällt aus – bis zum Tod des Patienten.
Besonders anfällig seien Menschen mit ohnehin geschwächtem Abwehrsystem: kranke, junge oder alte. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die Abwehrsysteme nicht mehr richtig reagieren können, steigen aber auch, wenn man sich bei einem Marsch komplett verausgabt hat und den Körper damit einem extremen Stress ausgesetzt hat“, sagt Bauer.
Eilmarsch zur Strafe
Drei Kilometer in Uniform und in Laufschritt, bei Höchsttemperaturen von rund 28 Grad und einer relativ hohen Luftfeuchtigkeit über 50 Prozent: Ob das ausreichte, um eine Sepsis auszulösen ist noch nicht geklärt. Die Staatsanwaltschaft hat bei der Rechtsmedizin weitere Untersuchungen in Auftrag gegeben, die Bundeswehr setzt ihre interne Untersuchung fort.
Vielleicht lohnt es sich, wenn sie dabei einen Blick in ihre eigenen Archive wirft. Schon im Jahr 2010 bemängelte der Wehrbeauftragte des Bundestags einen Eingewöhnungsmarsch, bei dem „die erlaubte Marschlänge von fünf Kilometern verdoppelt“ und „ein Marschgepäck von bis zu zehn Kilogramm befohlen wurde, obwohl die entsprechende Ausbildungsvorschrift bei einem Eingewöhnungsmarsch ausdrücklich kein Gepäck vorsieht“.
Weil im Gepäck der Rekruten bestimmte Kleidungsstücke fehlten, mussten sie die letzten 600 Meter zur Strafe schneller laufen. „Dieser abschließende Eilmarsch“, so heißt es im Bericht, „führte zum Ausfall von sieben Soldaten, von denen drei im Krankenhaus behandelt werden mussten.“
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