Tote Hosen, Wells und Polt auf Tour: Punk mit Harfe
Die Toten Hosen, Gerhard Polt und die Gebrüder Well sind gute Freunde – und mal wieder auf Tournee. Die Geschichte einer angekündigten Zumutung.
Da stehen sie also am Freitagabend auf der Bühne des Schlierseer Bauerntheaters: neun alte Männer, die den Zenith ihrer Karriere längst überschritten haben. Der Kabarettist Gerhard Polt hat sogar die 80 schon hinter sich gelassen, die anderen sind allesamt klassische Boomer: die Toten Hosen und die Well-Brüder Stofferl, Michael und Karli. Mitgebracht haben sie ein paar ihrer Evergreens: „Wünsch dir was!“ oder „Liebeslied“ von den Punks aus Düsseldorf, den „Willi“ oder „’s Lawinderl“ von Polt und dazwischen das eine oder andere Gstanzl der Stubnmusiker aus Günzlhofen. Natürlich muss man da mit Polt fragen: Ja, brauchts des?
Karten gibt es für die Tour eh kaum mehr, deshalb sei den oberflächlichen Lesern, die an dieser Stelle schon ausgestiegen sind, das gute Gefühl gegönnt, sie hätten nichts verpasst. Aber jetzt, wo sie weg sind, mal ganz unter uns: Natürlich braucht’s des! Natürlich handelt es sich nicht um eine allenfalls etwas schräge, genre-übergreifende Kompilation des Besten aus den Achtzigern, Neunzigern und von heute. Es ist die Fortsetzung einer langen Freundschaft, die hier auf der Schlierseer Bühne zelebriert wird – und das mit durchschlagendem Erfolg.
Eine kulturelle Zumutung soll es sein
Und Boomer? Ok. So what? Auch Bruce Springsteen rockt dieser Tage mal wieder die deutschen Stadien. Der Mann ist 73. Und zumindest eines hat er mit den neun Männern in Schliersee gemein: Sie haben’s alle noch drauf. Wobei diese recht spezielle Tour, auf die sich die Hosen-Polt-Well-Gang da begeben hat, ja nur deshalb zustande gekommen sein soll, weil Polt und die Well-Brüder unbedingt noch mal Nightliner fahren wollten. Behaupten sie zumindest in der Ankündigung. „Forever“ heißt die Tour und trägt den Untertitel „Eine kulturelle Aneignung“, wobei das Wort „Aneignung“ durchgestrichen und durch „Zumutung“ ersetzt wurde.
Dennoch hat man sich für das Programm kulturell allerhand angeeignet: Tote-Hosen-Schlagzeuger Vom und sein Gitarristenkollege Kuddel etwa Lederhosen. Breiti tauscht einmal die Gitarre gegen die Zither, Andi den Bass gegen das Hackbrett ein, und Campino spielt Alphorn. Polt wiederum trägt in einer fiktiven afrikanischen Sprache seinen Klassiker „Mambele“ vor, und Karli Well führt einen Bauchtanz auf. Geht’s noch? Darf man das denn?
Hosen und Brüder im Einklang
Während die Toten Hosen sogleich „Entschuldigung, es tut uns leid“ singen, schimpft Polt los, wild mit einer Breze gestikulierend: Man dürfe ja heute überhaupt nix mehr sagen. Er entschuldige sich nicht. Stattdessen legt er dar, wie sehr ihm das Verständnis fehlt für eine Minderheit, die die Mehrheit schikaniert.
Mit der Minderheit sind natürlich die „Kerndlfresser“ gemeint, also diejenigen, von denen CSU & Co. fürchten, dass sie uns bald alle zwangsveganisieren. Oder auch „die, wo sich hinbappen“ – im CSU-Sprech ist damit die sogenannte „Klima-RAF“ gemeint – aber keine Ahnung haben, „dass es in unserem Land Tausende und Abertausende gibt, denen es pressiert“. Und klar – der Kormoran, der Wolf, der Bär: Was wollen die alle hier? Und die Preißn! Überall sind sie, und „behaupten auch noch frech, sie wären wir“. Dabei sei es doch so einfach, erklärt Polt in bestechender Logik: „Kein Mensch ist bei uns gezwungen, eine Minderheit zu sein. Jeder kann sich der Mehrheit anschließen.“ Auch so ein Klassiker.
Springen, johlen, tanzen
Doch es ist keine Aneinanderreihung des Bewährten, die Nummern werden neu interpretiert, arrangiert. Polts „Willi“, eine seiner frühesten Nummern, ist fast nicht wiederzuerkennen, offenbart aber einmal mehr Polts einzigartiges Talent als Darsteller des Menschen in all seiner Tief- und Abgründigkeit. Hosen und Brüder ihrerseits spielen fast immer miteinander, nicht – wie in der Vergangenheit mitunter – gegeneinander. Harfe und Tuba bereichern den Punk, Gitarre und Schlagzeug die Stube.
Gemeinsam spielen sie „Du lebst nur einmal“ oder „You’ll Never Walk Alone“, aber auch den Schlager „Lass uns träumen am Lago Maggiore“. Und wo wir gerade bei Seen sind: Aus „Wannsee“, klar, wird Schliersee: „Schliersee, Schliersee, wann sehe ich dich endlich wieder?“ Ein Höhepunkt auch ein vermeintliches Mozartstück, das der Komponist in Hausen, dem ebenso vermeintlichen Heimatort der Wells, geschrieben haben soll, als er dort nach einer Kutschenpanne festsaß. Merke: Auf dem Weg von Wien nach Paris kommst du an Hausen nicht vorbei.
Und als Campino schließlich „Forever Young“ von Alphaville anstimmt, ist es um das ohnehin dankbare Publikum gänzlich geschehen. Die rund 500 Zuschauerinnen und Zuschauer springen auf, johlen, tanzen. Die Kombination aus Harfe, Punk und Satire sitzt.
„Gleichverschiedenheit in Zusammenballung“
Die Freundschaft der Toten Hosen mit den Wells und Polt dauert mittlerweile auch schon fast 40 Jahre. Beim Anti-WAAhnsinns-Festival gegen die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf lernten sich die Punkband und die Biermösl Blosn, in der Stofferl und Michael damals noch mit ihrem Bruder Hans spielten, kennen und spielten miteinander, wenn auch zunächst nur Fußball; Polt kam später dazu. Immer mal wieder traten sie miteinander auf, am Wiener Burgtheater, an den Münchner Kammerspielen, zuletzt 2017.
Auf der Schlierseer Bühne nun beweisen alle Neune, dass Aristoteles eben doch recht hatte: Das Ganze ist mehr als seine Einzelteile. Oder um noch mal dessen Kollegen Polt zu zitieren: „Die Gleichverschiedenheit in unserer Zusammenballung verleiht uns die Pekularität!“ Die geradezu infektiös enthusiasmierte Stimmung auf der Bühne, das Jamsession-Artige, das Gaudium, das die Künstler ganz offensichtlich haben, tun das Ihrige.
Es sind 15 besondere Orte, die man sich für die einmonatige Tour ausgesucht hat. Schliersee, gut 50 Kilometer südöstlich von München, ist nicht nur das Dorf, in dem Polt lebt und wo, wie Stofferl Well singt, Jennerwein die Jäger verdross und man den Problembären Bruno erschoss; auch die Veranstaltungsstätte selbst ist speziell: Das Bauerntheater gilt als das älteste Bayerns. Einst war es so berühmt, dass sein Ensemble sogar auf Amerika-Tournee ging, in der Metropolitan Opera spielte. Polt und seine Partner ihrerseits ziehen als nächstes weiter nach Freiburg, Altusried, Spalt und Jena.
Zuletzt gab es noch Tickets für Hamburg (Stadtpark, am 26.7.), Dresden (Junge Garde, 12.8.) und Hannover (Gilde Parkbühne, 13.8.).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé