Tote Geiseln bei US-Drohnenangriff: „Präzise Schläge“ ohne Wissen
Bei einem US-Drohnenangriff sind zwei Geiseln getötet worden. Präsident Obama entschuldigt sich, verweigert aber Konsequenzen.
NEW YORK taz | Hunderte von ZivilistInnen in Pakistan, Jemen, Afghanistan und Somalia sind in den zurückliegenden 13 Jahren US-Drohnen zum Opfer gefallen. Doch erst der Tod des US-Amerikaners Warren Weinstein (73) und des Italieners Giovanni Lo Porto (39), die beide als Entwicklungshelfer von Al-Qaida entführt wurden, hat zu einer Entschuldigung des US-Präsidenten wegen des Einsatzes von Drohnen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet geführt.
Durch den Tod der beiden erfährt die Öffentlichkeit zugleich, wie wenig die CIA darüber weiß, auf wen per Fernsteuerung aus der Luft gezielt wird. Im Falle des Drohnenangriffs in Wasiristan brauchte der Geheimdienst Wochen, um herauszufinden, wen er getötet hatte. Das ist weit weg von den Washingtoner Slogans von „präzisen Schlägen“ und „Quasi-Sicherheit“ für Zivilisten.
Für Barack Obama sind die beiden toten Entwicklungshelfer ein großes Problem. Der Präsident und Friedensnobelpreisträger hat die Drohneneinsätze zur Hauptmethode im Anti-Terrorismuskampf gemacht. Zwar hat schon sein Amtsvorgänger Drohnen eingesetzt. Doch unter Obama vervielfachten sich die Einsätze – und die Zahl der Toten. Von den mindestens 2.500 Opfern us-amerikanischer Drohnen starben weniger als 500 unter George W Bush.
Am Donnerstag trat Obama vor die Presse. „Als Oberster Befehlshaber“ übernahm er die „ Verantwortung für alle Counter-Terrorismus-Operationen“. Er bat die Angehörigen der beiden Entwicklungshelfer um Entschuldigung und drückte sein Beileid und sein Bedauern aus. Er sprach von der „bitteren Wahrheit, dass im Krieg Fehler passieren können, die tödlich sind“. Und er kündigte eine Untersuchung der Geschehnisse an. Die Angehörigen der Opfer sollen Entschädigungen bekommen.
Republikaner für Obama
Das Eingeständnis und die Entschuldigung des Präsidenten sorgten im In- und Ausland für Anerkennung. Der italienische Premierminister Matteo Renzi lobte „die Art, in der Obama dies kommuniziert“. Auch von Seiten der Republikaner im US-Kongress kam Rückendeckung für Obama. Der Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, gewöhnlich ein scharfer Kritiker Obamas, findet die von Obama angekündigte Untersuchung vernünftig. Boehner sagte: „Wir brauchen alle Fakten, damit so etwas nicht wieder passiert und damit Amerikaner sicher sind“. Kritik am Drohnenkrieg äußert Boehner genauso wenig wie Obama.
Der Drohnenangriff in Wasiristan hat schon am 15. Januar stattgefunden. Bei der Auswertung der Luftaufnahmen stellte die CIA fest, dass statt vier erwarteter Leichen sechs aus den Trümmern der Anlage gezogen wurden. Die Ermittlungen ergaben, dass unter den Toten noch ein zweiter US-Amerikaner war: der Al-Qaida-Verantwortliche in Indien, Ahmed Farouq. Vier Tage später kam bei einem anderen Drohnenangriff in Pakistan ein weiterer us-amerikanischer Al-Qaida-Mann um: Adam Gadhan.
US-Präsident Obama soll bereits Anfang dieses Monats über die Panne in Pakistan informiert worden sein. Nach anderen Informationen stand schon der Wechsel an der Spitze des Counter Terrorism Centers der CIA im März im Zusammenhang mit den Toten in Pakistan.
Kritiker des Drohnenkriegs betrachten den Auftritt des Präsidenten auch als Versuch, dem Ruf nach einer Aufklärung über die Vorkomnisse zuvorzukommen. Die Drohnen-Expertin der Bürgerrechtsorganisation ACLU, Hina Shamsi, kritisiert, dass die CIA Drohnenangriffe durchführt, bei denen sie nicht weiß, wen sie treffen. „Das wirft Fragen über die Standards bei der Anwendung von tödlicher Gewalt und über die Zuverlässigkeit der Aufklärung auf“, sagt sie.
Witwe macht al-Qaida verantwortlich
Im US-Drohnenkrieg ist alles geheim: von der Auswahl der Ziele bis hin zur Identität der Opfer. Nach Recherchen der Londoner Gruppe „Bureau of Investigative Journalism“, die öffentlich zugängliche Quellen auswertet, sind bislang 38 westliche Ausländer durch US-Drohnenangriffe getötet worden. Neben zehn US-Amerikaner sind unter den Toten auch acht Briten, sieben Deutsche, drei Australier, zwei Spanier, zwei Kanadier und ein Belgier oder Schweizer. Sie alle wurden verdächtigt, Dschihadisten gewesen zu sein.
Die Witwe des in Wasiristan getöteten Entwicklungshelfers, der für die US-Regierung nach Pakistan gegangen war, Elaine Weinstein, macht Al-Qaida für den Tod ihres Mannes verantwortlich. Doch sie macht auch keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung über die ausgebliebende Hilfe ihrer Regierung. In den vier Jahren seit Weinsteins Entführung in Lahore, wenige Stunden vor dem Ende seiner Mission in Pakistan, hat die US-Regierung Verhandlungen und den von den Entführern verlangten Austausch von Gefangenen ultimativ abgelehnt.
Doch im vergangenen Jahr erlebten Elaine Weinstein und ihre beiden Töchter, wie ihre Regierung, die angeblich nie Geschäfte mit Geiselnehmern macht, fünf hochrangige Taliban-Funktionäre aus Guantánamo im Austausch für den US-Soldaten Bowe Bergdahl befreite.
Zum Drohneneinsatz äußert sich die Witwe nicht. Hingegen hofft sie in ihrer Presseerklärung, dass der Tod ihres Mannes „die US-Regierung endlich veranlasst, ihre Verantwortung ernstzunehmen und eine koordinierten und konsequenten Umgang mit Geiseln und ihren Familien zu finden.“
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