Tote Frau in Brandenburg: Schwere Vorwürfe gegen die Polizei
Hat die Polizei genug getan, um das Verschwinden einer Kenianerin im Kreis Elbe-Elster aufzuklären? Der Verein Opferperspektive sagt: nein.
Die Frau, die seit sieben Jahren in Deutschland lebte und einen Duldungsstatus hatte, war am 7. April aus dem abgelegenen „Dschungelheim“ verschwunden, in dem sie mit ihren 2- und 4-jährigen Söhnen lebte. Doch die Polizei sei Hinweisen des Vaters der Kinder, der eine Gewalttat durch einen Heimnachbarn befürchtete, nicht nachgegangen, sagte Martin Vesely von der Opferperspektive der taz. Erst auf Druck seines Vereins sei der Wald ab dem 11. Juni mehrere Tage durchsucht worden. Dabei wurden menschliche Überreste gefunden, die per DNA-Analyse der jungen Frau zugeordnet wurden.
„Ich glaube nicht, dass man so zurückhaltend vorgegangen wäre, wenn eine weiße Deutsche verschwunden wäre“, kritisiert Vesely das Vorgehen der Beamten. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Cottbus, die die Ermittlungen führt, weist den Vorwurf am Freitag zurück: „Die Polizei hat alles getan, was in Vermisstensachen üblich ist.“
Vesely beschreibt das ganz anders. Ihm zufolge wendete sich der Vater der Kinder am 29. April an den Verein, weil die Polizei in Elbe-Elster seine Befürchtungen nicht ernst nahm. Zunächst habe sie am 10. April seine Vermisstenanzeige gar nicht aufnehmen wollen. Erst nachdem er in Berlin, wo er lebt, zur Polizei gegangen sei und diese in Elbe-Elster angerufen habe, sei dort die Aufnahme der Anzeige erfolgt.
Dabei habe der Vater die Beamten darauf hingewiesen, dass sein 4-jähriger Sohn gesehen habe, wie die Mutter am Tag ihres Verschwindens von einem Heim-Mitbewohner geschlagen und weggeschleppt worden sei. Die Beamten seien dem aber nicht nachgegangen. „Wir haben die Polizei am 30. April erneut auf diese Spur hingewiesen und gebeten, das Kind durch einen speziell geschulten Beamten zu vernehmen“, so Vesely. Ein Polizist habe erwidert, er habe selbst einen Sohn und könne das machen.
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigte das. „Ein „erfahrener Vernehmer“ habe das Kind an jenem Tag befragt, Spezialisten für Kinder „haben wir hier nicht“. Der Junge habe bei der Vernehmung aber „widersprüchliche Aussagen“ gemacht. Auch Befragungen von anderen Heimbewohnern hätten keinen Tatverdacht gegen den Zimmernachbarn ergeben. Offen bleibt: Warum wurde der 4-Jährige erst am 30. April vernommen – und hätte dies nicht doch durch geschultes Personal erfolgen müssen?
Zudem, sagt Vesely, habe sich der Vater und nach dessen Darstellung auch die Getötete schon früher bei der Heimleitung über den Zimmernachbarn beschwert. Dieser habe Rita O. bereits länger belästigt. Die Heimleitung habe aber nichts unternommen. Ein Sprecher der Betreiberfirma „Human Care“ sagte der taz mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen, dazu könne er nichts sagen.
Fest steht, dass die Polizei bis zum 9. Mai von keinem Verbrechen ausgeht, sondern die Sache als reine Vermisstensache behandelt. Dies geht aus einem Fax an die Opferperspektive hervor, das der taz vorliegt. Laut Judith Porath, auch Mitarbeiterin von Opferperspektive, hat der Verein daraufhin bei Landespolitikern, Polizeiführung und Staatsanwaltschaft Druck gemacht, „dass das der Fall nicht nur als Vermisstenfall behandelt wird“. Erst dadurch sei es zur Durchsuchung des Waldes und dem traurigen Fund gekommen.
Der Heimnachbar wurde vorige Woche – nach Protesten anderer Heimbewohner, schreibt der Tagesspiegel – in ein anderes Heim verlegt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter in alle Richtungen, so der Sprecher. Allerdings sei die genaue Todesursache aufgrund des Zustands der Leiche womöglich nicht mehr feststellbar.
Die Flüchtlingsorganisation Women in Exile fordert angesichts der Ereignisse die sofortige Schließung des Heims. „Wieder zeigen sich ganz deutlich die Vernachlässigung und der Rassismus, die von den Geflüchteten schon so viele Jahre lang angeprangert werden“, heißt es in einer online veröffentlichen Erklärung „Für Rita, unsere Schwester R.I.P.!“
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