Tony Marshall ist tot: Leutseligkeit in Person
Er war ausgebildeter Opernsänger, wurde aber wegen seiner Schlager verlacht: Tony Marshall. Am Donnerstag ist er im Alter von 85 Jahren gestorben.

Sein entscheidendes, das heißt für die Karriere, für den weiteren Broterwerb wichtiges Lied gab es: „Schöne Maid“. Der Song war ebenso wichtig für sein Familienleben. Und er hat es, so geht die Legende, eigentlich nicht singen wollen.
Tony Marshall, geboren 1938 als Herbert Anton Bloeth in einem nicht so wohlhabenden Teil der Couponschneider- und Bourgoisie-Oase Baden-Baden, war aber ein verantwortungsbewusster Mensch. Er verzichtete als ausgebildeter Opernsänger auf fast jeglichen Kunstwillen und intonierte 1971 seinen „Schöne Maid“-Raketenschlager ins persönliche Glück.
Das Lied markierte als Tonspur die proletarisch-kleinbürgerlichen Siebziger Jahre, es ging bei ihm immer fröhlich zu, so auch in diesem Schlager, der im Übrigen vom Produzenten Jack White (Ex-Tennis Borussia-Promi) neuseeländischem Kulturgut der Maori entnommen wurde. „Schöne Maid“ war für Marshall, ebenso wie die nachfolgenden Hits, darunter „Heute hau'n wir auf die Pauke“, die Signatur einer Dekade, die viel weniger Deutscher Herbst war, als deutscher Massenwohlstand mit mehr Demokratie und Mitbestimmung, mit mehr Tourismus, mehr Feierei und Party jemals werden sollte.
Linke und Volxaufklärer hassten Leute wie Tony Marshall. In ihren Augen war er das Falsche, da half es dem Baden-Badener auch nicht, zu bekunden, dass er so gern den „Mackie Messer“ gibt und die „Dreigroschenoper“ liebt. Nein, er war die ästhetische Konterrevolution, mindestens ein ewig Gutgelaunter. Also hat er sich nie eines anderen Delikts schuldig gemacht als dessen, das sich als „Leutseligkeit“ und „Popularität über die eigene Bubble hinaus“ charakterisieren lässt.
Marshall konnte über alle Jahre seither von diesen wichtigsten Hits gut leben, vor allem mit Live-Performances. Niemand nahm ihm am Ende übel, dass er nur weiter auf der Bühne stehen wollte, was ja auch alle Musiker*innen aus allen Undergrounds dieser Welt gut verstehen können. Marshall nahm immer wieder Alben auf, auch eines, das er „Senioren sind nur zu früh geboren“ nannte. Er hatte Familie, Kinder, war ein karitativ umtriebiger Mensch. Und alles in allem, was man aus dem German Entertainment-Business so hörte, der freundlichste Kumpan unter allen ZDF-Hitparadensonnen: Ein Mann, ein Leben, als sei es dem Frohsinn gewidmet.
Am Donnerstag ist Tony Marshall an den Folgen verschiedener Erkrankungen kurz nach seinem 85. Geburtstag verstorben.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“