Tödlicher Polizeieinsatz in Mannheim: Bisher nur Bruchstücke bekannt
In der Mannheimer Innenstadt starb ein offenbar psychisch kranker Mann nach Schlägen der Polizei. Das LKA ermittelt zu den Hintergründen des Falls.
Schnell ist von Mord der Polizei die Rede, noch am selben Abend kommt es in der Mannheimer Innenstadt zu einer spontanen Demonstration der türkischen Community, bei der der Mannheimer Polizei gewalttätiger Rassismus vorgeworfen wird.
Einen Tag später haben Passanten Blumen am Ort des Geschehens mitten in der Innenstadt abgelegt. Aber über den Hergang und die tatsächlichen Hintergründe sind bisher nur Bruchstücke bekannt.
Nach der Darstellung der Polizei wurden Beamte am Montagmittag von einem Arzt des Zentralinstituts für seelische Gesundheit über einen Patienten informiert, der Hilfe benötige. Die Polizei griff den Mann dann am Marktplatz, nicht weit vom Institut, auf. Er soll gegenüber der Polizei Widerstand geleistet haben, deshalb hätten die Beamten „unmittelbaren Zwang“ angewendet. Dabei soll der 47-Jährige kollabiert und, wie es in der Polizeierklärung heißt, dann „aus bisher ungeklärter Ursache reanimierungspflichtig“ gewesen sein. Nach Erste-Hilfe-Maßnahmen sei er bewusstlos geblieben. Rettungskräfte hätten ihn danach in die Universitätsklinik gebracht, wo er verstorben sei.
Das Video, das seit Montag bei Twitter kursiert, zeigt, was die spröde Amtssprache der Erklärung verdeckt. Zu sehen sind Polizeibeamte, die den Mann mit dem Gesicht zu Boden gedrückt haben. Von den zwei Beamten, die neben ihm knien, schlägt einer dem Mann mit beiden Fäusten mit einem Doppelschlag ins Gesicht. Dann versucht er, ihn mit Handschellen zu fesseln. Ein weiteres Video, das offenbar später und aus nächster Nähe aufgenommen wurde, zeigt, wie die Beamten den Mann regungslos auf den Rücken drehen. Er blutet aus der Nase, die Augen sind geschlossen. Rettungskräfte sind auf diesem Video noch nicht zu sehen.
Noch am selben Abend fand auf dem Marktplatz in Mannheim in unmittelbarer Nähe des Geschehens eine spontane Kundgebung statt. Die Gegend ist geprägt von Geschäften und Restaurants der türkischen Community. Die Demonstranten ziehen eine direkte Linie von dem Vorfall in Mannheim zum Polizeiversagen bei den NSU-Morden.
Die linke Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut schlägt noch schärfere Töne an: Sie fordert eine lückenlose Aufklärung des Polizeieinsatzes, dafür sei es wichtig, mit „weiterem Protestverhalten den Druck aufrechtzuerhalten.“ Der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz ist dagegen um Ausgleich bemüht. Der Polizeieinsatz werfe Fragen auf, die geklärt werden müssten. „Eine Bewertung vor dem Ende der Untersuchungen verbietet sich“, sagt Kurz.
Derweil ist das Landeskriminalamt mit den Ermittlungen offenbar noch am Anfang. Ein Sprecher betont, das LKA ermittle als „unabhängige Behörde in alle Richtungen“. Er weist den Vorwurf des Rassismus zurück und verweist darauf, dass das Opfer kein türkischer Staatsbürger sei. Welche Staatsbürgerschaft der Mann hatte, darüber gibt die Behörde bisher keine Auskunft. Ein Sprecher sagt: „Das spielt für unsere Ermittlungen auch keine Rolle.“
Das Landeskriminalamt fordert nun Zeugen auf, sich zu melden. Es können auch Handyvideos, die zur Aufklärung des Geschehens beitragen können, auf einem Onlineportal des LKA hochgeladen werden. Mit dem Obduktionsbericht sei erst im Lauf der Woche zu rechnen, heißt es. Erst dann kenne man die genaue Todesursache.
Während die Informationen bei den Behörden bisher nur spärlich fließen, ruft die Antifa für den Abend in Heidelberg zu einer Demonstration gegen Polizeigewalt auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann