„Todos os mortos“ bei der Berlinale: Die Geister der Vergangenheit
Der Film „Todos os mortos“ von Caetano Gotardo und Marco Dutra verhandelt das Erbe der brasilianischen Sklaverei mit viel Symbolik (Wettbewerb).
Als mit Josefina die letzte Hausdienerin der Familie Soares stirbt, realisieren Isabel und ihre erwachsenen Töchter María und Ana, dass ihr privilegiertes Leben auf der Kaffeeplantage endgültig der Vergangenheit angehört. Längst wohnen die drei Frauen nach dem Bankrott des ländlichen Familienbesitzes in der nun prosperierenden Stadt São Paulo.
„Todos os mortos“ (dt.: All die Toten), der erste gemeinsame Spielfilm von Caetano Gotardo und Marco Dutra, erzählt vom gesellschaftlichen Wandel Brasiliens zum Ausklang des 19. Jahrhunderts – zehn Jahre nach der endgültigen Abschaffung der Sklaverei. Er verbindet die dekadente Entwicklung der Frauen Soares mit dem Schicksal der ehemaligen Sklavin Ida und ihres frei geborenen Sohnes João im urbanen Umfeld São Paulos.
Doch Gotardo und Dutra entscheiden sich im Drehbuch dafür, die Konflikte dieses historischen Umbruchs in eher spirituelle Bereiche zu verlagern und symbolisch mit Bedeutung aufzuladen. Um „all die Toten“ (Sklaven) der Vergangenheit zu vertreiben, die der psychisch instabilen Ana regelmäßig im Haus erscheinen, sieht sich ihre Schwester María – eine Nonne und Lehrerin – gezwungen, Ida (Mawusi Tulani) zu Hilfe in die Stadt zu holen.
24. 2. Haus der Berliner Festspiele
24. 2. Friedrichstadtpalast
29. 2. CinemaxX 7
1. 3. Friedrichstadtpalast
Die religiösen Rituale ihrer afrikanischen Vorfahren, in denen die Verbindung zu den Geistern gesucht wird, sollen die auch sonst labile Schwester beruhigen. Ana, die ihre Tage am Piano verbringt, das Haus nie verlässt und für eine Heirat nicht mehr vorgesehen ist, gibt in ihrer vermeintlichen Entrücktheit dem tief empfundenen Rassismus ihrer Klasse eine Stimme.
Kammerspielartiges Setting
Trotzdem bleibt ihre Figur, dargestellt von Carolina Bianchi, recht oberflächlich gezeichnet. Und auch die übrigen Protagonisten in„Todos os mortos“ treten kaum als wirkliche Individuen, sondern vor allem als Vertreter der ihnen zugewiesenen Rollen in Erscheinung. Das wirkt in dem kammerspielartig angelegten Setting trotz inhaltlich interessanter Details eher hölzern und vorhersehbar. So steht Idas Rückbesinnung auf die Religion ihrer Vorfahren vor allem für die Selbstbehauptung einer eigenen afrobrasilianischen Identität in einer sich neu formierenden städtischen Gesellschaft.
Auch den Kunstgriff der beiden Regisseure, die historische Erzählung mit der Szenerie des zeitgenössischen São Paulo zu kombinieren und dadurch auf die Kontinuität der Geschichte zu verweisen, konnte man überzeugender zuletzt in „Transit“ erleben, Christian Petzolds Wettbewerbsbeitrag auf der 68. Berlinale.
Zusammen mit Juliana Rojas erhielt der Regisseur Marco Dutra 2017 für das Horrordrama „As boas maneiras“ den Silbernen Löwen in Locarno. Vermutlich hat ihn dies mit seinem neuen Spielfilm für die Teilnahme am Berliner Wettbewerb empfohlen. Schließlich nimmt auch in „Todos os mortos“ die Handlung gegen Ende zunehmend dunkle Züge an. Nicht ohne unfreiwillige Komik verwandelt sich die schon blutarm wirkende Ana in der Schlusssequenz in eine Art Gothic-Wesen aus der Unterwelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!