Todesschüsse auf Lorenz A.: Polizei versucht's mit Transparenz
Der Fall Lorenz A. beschäftigt nun auch den niedersächsischen Landtag. Viele neue Erkenntnisse ergaben sich bei einer Anhörung allerdings nicht.

Der öffentliche Druck war allerdings auch groß: Zehn „versammlungsrechtliche Aktionen“ habe es im Zusammenhang mit dem tragischen Tod von Lorenz A. in Oldenburg gegeben, referiert der niedersächsische Polizeipräsident Axel Brockmann. Zur größten Demo in Oldenburg kamen fast 10.000 Menschen.
Der Fall hat auch deshalb so viele bewegt, weil die Umstände so ungewöhnlich sind: Gleich fünf Schüsse feuerte der junge Polizeibeamte in der Nacht zum Ostersonntag ab. Drei davon trafen Lorenz A. von hinten in den Kopf, den Unterleib und die Hüfte. Eine Verletzung am Oberschenkel stammt vermutlich von einem Streifschuss, eine weitere Kugel muss ihn verfehlt haben.
Auf Antrag der CDU-Fraktion referiert Brockmann im Innenausschuss des niedersächsischen Landtages am Donnerstag, wie es dazu gekommen ist – jedenfalls so weit Polizei und Staatsanwaltschaft dies bis jetzt schon rekonstruieren konnten. Unterstützt wurde er dabei von Martin Speyer aus dem für die Staatsanwaltschaft zuständigen Justizministerium. Viele neue Erkenntnisse hatten die beiden allerdings nicht mitgebracht – das meiste war schon aus Medienberichten bekannt.
Wähnte sich der Polizist in einer Notwehrsituation?
Lorenz A. soll mit zwei Türstehern vor einer Diskothek in der Oldenburger Innenstadt gestritten haben, weil diese ihn nicht hineinlassen wollten. Er soll ein Glas geworfen und außerdem sein Pfefferspray gezückt haben. Fünf Personen wurden durch das Reizgas leicht verletzt. Dann ergriff er wohl die Flucht, soll dabei Menschen, die ihn verfolgen wollten, mit einem Messer bedroht haben.
Zwei Notrufe gingen daraufhin bei der Polizei ein, einer bei der Feuerwehr. Eine erste Streife war innerhalb weniger Minuten vor Ort, konnte ihn aber nicht aufhalten. Auf der zentralen Achternstraße kam ihm ein zweiter Streifenwagen entgegen.
Die Beamten stoppten ihr Fahrzeug mitten auf der Straße und sprangen aus dem Fahrzeug. Weil A. in seiner Jackentasche kramte und den Beamten über Funk mehrfach mitgeteilt worden war, dass er mit einem Messer bewaffnet gewesen sein soll, zogen sie ihre Waffen. So sagte es der Streifenpolizist aus, der selbst nicht gefeuert hatte. Trotz der Aufforderung stehenzubleiben, rannte A. wohl weiter auf den Streifenwagen zu – und passierte ihn an der Fahrerseite.
Dann fielen die Schüsse. Beide – der schießende Beamte und der junge Mann – gingen zu Boden. Am Tatort wurde später neben Lorenz A. sein Pfefferspray gefunden. Dem Polizeibeamten hatten die Augen ausgespült werden müssen, die Aufzeichnungen des Krankenhauses vermerken eine Bindehautverletzung oder -reizung.
Polizeipräsident weist Rassismusvorwürfe zurück
Man wird, schlussfolgert Brockmann, an dieser Stelle also prüfen müssen, ob er sich in einer Notwehrsituation wähnte und ob er noch in der Lage war wahrzunehmen, dass Lorenz A. weitergelaufen war. Dazu müsse man die weiteren Auswertungen abwarten.
Dem Landeskriminalamt liegen drei Videoaufzeichnungen vor, davon eine mit Tonspur. Mit ihrer Hilfe hofft man die zeitliche Abfolge präziser rekonstruieren zu können. Außerdem würden noch die Schmauchspuren an der Kleidung des Opfers untersucht, in der Hoffnung, daraus Erkenntnisse zu gewinnen, in welcher Entfernung der Schütze und sein Opfer zueinander standen. Auch ein ballistisches Gutachten zur Schusswinkelbestimmung steht noch aus. Ebenso die Auswertung des Handys, das man bei dem beschuldigten Polizisten beschlagnahmt hat.
Immer wieder betont Brockmann, wie tragisch dieser Todesfall sei, wie sehr er mit den Angehörigen fühle – gleichzeitig weist er Rassismusvorwürfe gegen seine Polizei zurück. Man habe in Niedersachsen viel unternommen, um Diskriminierungen zu begegnen und Diversität zu fördern.
Er verweist auf Programme wie „Polizeischutz für die Demokratie“ und die grundsätzliche Offenheit, mit der man sich auch wissenschaftlichen Untersuchungen gestellt habe – obwohl es da intern durchaus Widerstände und Bedenken gegeben habe. Er meint damit beispielsweise die Untersuchungen der Soziologin Astrid Jacobsen, die an der Polizeiakademie lehrt und die in einer Studie untersucht hat, welche polizeilichen Routinen anfällig für Diskriminierung sind. Oder die bundesweite Polizeistudie „Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten“ (Megavo), an der sich längst nicht alle Bundesländer beteiligt haben.
An anderer Stelle muss Brockmann allerdings einräumen, dass seine Statistiken für bestimmte Aspekte blind sind. So erfasst das Innenministerium zwar den Schusswaffengebrauch im Dienst: Fünf Fälle von Schüssen auf Personen zählte man im letzten Jahr – das sei doch nicht viel, angesichts von 19.000 Beamten und 1,5 Millionen Einsätzen.
In den letzten zehn Jahren seien es maximal 6 Fälle pro Jahr gewesen, eine Steigerung sei nicht erkennbar. Doch auf die Nachfrage der grünen Abgeordneten Djenabou Diallo-Hartmann, ob er denn sagen könne, in wie vielen Fällen davon Schwarze oder Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund betroffen waren, muss er passen. Das, sagt der Polizeipräsident, werde nicht erfasst. Er habe auch Zweifel, dass sich dies nachträglich auswerten ließe.
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