Tod nach Polizeieinsatz in Hamburg: Ein Toter und einige offene Fragen
Ein psychisch verwirrter Mann ist kurz nach seiner Festnahme in Hamburg gestorben. Eine Obduktion soll nun nach Gründen suchen.
Am frühen Mittwochmorgen war die Polizei in den Stadtteil Bramfeld gerufen worden. Ein Passant hatte beobachtet, so heißt es in der Pressemitteilung der Polizei, wie der 33-Jährige immer wieder auf die Fahrbahn der Steilshooper Allee rannte und vor fahrende Autos lief. Vor den Beamt:innen versuchte er zu flüchten, sie stellte ihn. „Hochaggressiv“ habe er sich verhalten, schreibt die Polizei, und: „Er wurde unter Einsatz körperlicher Gewalt zu Boden gebracht und gefesselt.“
Man habe ihn daraufhin „zur Behandlung seines unklaren Gesundheitszustandes“ mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus bringen lassen. Mit Gesundheitsschäden durch den Einsatz selbst habe diese Entscheidung nichts zu tun gehabt, schreibt die Pressestelle der Polizei auf Nachfrage. Anlass sei vielmehr das auffällige Verhalten des Mannes gewesen. Im Krankenhaus musste der 33-Jährige reanimiert werden – erfolglos, er starb.
Welche Maßnahmen „körperlicher Gewalt“ die Beamt*innen konkret angewandt haben und wie viel Zeit zwischen dem Einsatz und dem Tod vergangen ist, dazu gibt es keine öffentlichen Informationen – beides sei noch „Gegenstand der weiteren Ermittlungen“, sagt ein Polizeisprecher. „Wir müssen uns da die Einsatzberichte noch ganz genau anschauen.“
„Tod im Polizeigewahrsam“ kriegt mehr Aufmerksamkeit
Fälle von Tod im Polizeigewahrsam oder nach Festnahmen werden in den letzten Jahren aufmerksamer verfolgt. Genaue Zahlen sind schwer zu finden, die Fälle werden in keiner amtlichen Statistik extra erfasst. Doch die Initiative „Death in Custody“ hat sich die Mühe gemacht, Fälle in Deutschland seit 1990 zu recherchieren und auf ihrer Website zusammenzustellen. Sie zählen 188 Fälle, 23 davon in den letzten zwei Jahren.
Thomas Feltes, Kriminologe
Dass es heute nach Polizeiaktionen mehr Tote gibt, kann man daraus nicht folgern; schließlich sind weiter zurückliegende Fälle im Nachhinein schwerer zu ermitteln. In Hamburg jedenfalls gab es im vergangenen Jahr gleich zwei Tote: zum einen einen 58-Jährigen, der nach seiner Verhaftung noch im Polizeiauto Krämpfe entwickelte und starb; die Festnahme fand laut Polizei gewaltlos und „ohne Widerstand“ statt.
Zum anderen den 36-jährigen Omar K., der Ende Mai von der Polizei erschossen wurde, nachdem er offenbar beim Versuch seiner Festnahme einen Polizisten angegriffen hatte. Jeder der Todesfälle ist anders gelagert, Gemeinsamkeiten lassen sich nur in Aspekten feststellen. Dem Tod von Omar K. und dem des nun Verstorbenen etwa ist nur gemein, dass beide zuvor von der Polizei wohl als Gefahr wahrgenommen wurden.
Psychisch krank sein ist gefährlich
„Tatsächlich sind es überdurchschnittlich oft psychisch Kranke, die bei Polizeieinsätzen sterben“, schreibt Kriminologe Thomas Feltes 2021 in seinem Essay „Polizeieinsätze in Verbindung mit psychisch kranken Menschen“. Es heißt weiter: „Von den jedes Jahr von der Polizei im Einsatz getöteten Personen sind mindestens die Hälfte, wahrscheinlich sogar deutlich mehr, psychisch gestört oder verwirrt.“
Die psychische Störung mache die Handlungen der Personen für die Polizei unvorhersehbarer, Einsätze könnten leichter eskalieren. Feltes fordert in dem Essay unter anderem zusätzliche Schulungsmaßnahmen für Polizist*innen.
Ob solche Schulungsmaßnahmen im aktuellen Fall nötig gewesen wären oder geholfen hätten, dafür ist zu wenig über den Einsatz selbst bekannt. Auch ob der 33-Jährige ohne die gewaltsame Festnahme noch leben würde, ist bisher völlig unklar. Eine Obduktion soll ab Freitag mehr Erkenntnisse bringen.
Nicht immer erfüllt sich die Hoffnung auf eine Erklärung für den Tod im Gewahrsam: Im Fall des 19-jährigen Qosay K., der 2021 in Delmenhorst nach einer gewaltsamen Festnahme starb, wurden die Ermittlungen nach einer Obduktion eingestellt; für die Angehörigen bleiben erhebliche Zweifel und viele Fragen offen.
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