Tobias Schulze über Merkels Besuch in Kairo: Bittstellerin mit Alibi
Sie haben die Rollen getauscht: Als der ägyptische Diktator Abdel Fattah Sisi 2015 zum Staatsbesuch nach Berlin kam, war er noch Bittsteller. Der Ägypter warb in Deutschland um Investitionen in sein Land, von Angela Merkel musste er sich dafür eine Lektion in Sachen Menschenrechte anhören. 2017 kommt Merkel dagegen als Bittstellerin nach Kairo: Sie möchte den Ägypter als Partner in der Flüchtlingsabwehr gewinnen. Ein paar Alibisätze zu den Menschenrechten hat sie zwar erneut dabei. Es wäre aber ungewöhnlich, wenn sich Sisi davon noch einmal beeindrucken ließe.
Das Beispiel Türkei zeigt in diesen Tagen schließlich, wozu eine Migrationspolitik führt, die auf der Zusammenarbeit mit angehenden oder etablierten Despoten basiert. Die Bundesregierung beteuert bei jeder Gelegenheit, dass sie das Flüchtlingsabkommen mit Ankara für unverzichtbar hält, und verharrt damit in einer Haltung der Abhängigkeit. Derweil möchte die türkische Regierung erst die deutsche Justiz für ihren Feldzug gegen die Gülen-Bewegung einspannen, setzt dann türkische Imame als Spitzel auf Kritiker in Deutschland an und bringt schließlich sogar den Korrespondenten einer deutschen Zeitung per Haftbefehl zum Schweigen.
Der türkische Präsident Erdoğan fürchtet aus Berlin keinen ernsthaften Widerstand, deswegen wird er immer dreister. Ein Deal mit Sisi – als EU-Abkommen zu Auffanglagern oder als bilaterale Absprache zur Rücknahme abgelehnter Asylbewerber – würde diese Rollenverteilung auf die Beziehungen zu Ägypten übertragen und verbietet sich schon deswegen.
Natürlich, die Alternativen sind auch nicht verlockend. Wer auf Hilfe aus Nordafrika verzichtet und Flüchtlinge trotzdem von Mitteleuropa fernhalten möchte, müsste im Extremfall Italiens Nordgrenzen abdichten. Im Sinne des europäischen Gedankens wäre das nicht. Vor Diktatoren zu kuschen hat mit Europas Werten aber noch weniger zu tun.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen