„Titanic“-Chef über „Charlie Hebdo“: Im Tod den Humor nicht verlieren
Satire muss möglich sein, ohne dass man erschossen wird, sagt „Titanic“-Chef Tim Wolff. Nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ sollten weiter Witze gemacht werden.
taz: Herr Wolff, bei dem Anschlag auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo wurden 12 Menschen getötet, darunter der Chefredakteur. Macht Ihnen das Angst?
Tim Wolff: Ich würde eher sagen, dass ich persönlich entsetzt und betroffen bin. Aber professionell, als Satiriker, ist das anders. Man darf keine Angst haben, das schadet der Satire.
Charlie Hebdo hat in den vergangenen Jahren immer wieder Mohammed-Karikaturen gedruckt. Den Anus des Propheten, Mohammed mit Bombe als Turban. Ist die Zeitung damit zu weit gegangen?
Nein, natürlich nicht. So etwas muss möglich sein, ohne dass man dafür erschossen wird. Ich will aber auch vorsichtig dabei sein, das rein als Sache des Islam zu deuten. Wenn Menschen mit Raketenwerfern in eine Redaktion eindringen und Menschen töten, ist das ein hochprofessioneller Vorgang, der nicht ohne politische Dimensionen vorstellbar ist.
Wird das für die Titanic Konsequenzen haben?
Wir lassen uns durch so ein Ereignis nicht unsere schöne Freiheit rauben, das zu machen, was wir für relevant und lustig halten. Bisher kommt der Berufsstand der Satiriker ja gut weg, man wird recht selten ermordet. Bis heute jedenfalls.
Sie ändern Ihre Arbeit also nicht?
Andere können es sich auch nicht leisten, ihr Verhalten nach so einem Ereignis zu ändern. Es wurden doch in der Vergangenheit viel mehr Polizisten erschossen als Satiriker. Die anderen Beamten machen trotzdem weiter. Und sicher wurden auch mehr Priester ermordet als Satiriker. Und die predigen auch noch.
Jahrgang 78, ist seit 2013 Chefredakteur der Satirezeitschrift Titanic. Zuvor arbeitete er dort als Onlineredakteur.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Satire-Verständnis von radikalen Muslimen?
Deutsche Muslime können sehr gut mit Satire umgehen. Entweder sie ignorieren uns einfach – Helmut Kohl hat das jahrelang vorgemacht – oder sie haben Humor. Wir haben jedenfalls noch nie Todesdrohungen oder ähnliches von Muslimen erhalten. Und wir haben durchaus genügend Witze gemacht, bei denen man so etwas hätte erwarten können.
Wird sich die Titanic jetzt noch intensiver mit dem radikalen Islam beschäftigen?
Es scheinen mir schon die meisten grundsätzlichen Islam-Witze gemacht worden zu sein. Aber natürlich gibt es mit dem Anschlag ein neues, relevantes Thema, mit dem wir uns beschäftigen werden. Und wir werden den Kollegen Respekt erweisen, in welcher Form auch immer. Wir werden da einen Umgang finden, auch wenn die Titanic nicht dazu da ist, das Selbstverständliche zu wiederholen.
Die Titanic hat wenige Stunden nach dem Anschlag auf der Homepage gewohnt zynisch reagiert. „Wir machen weiter Witze – gleich nach der Mittagspause“ steht da und „Erste Versehrte sind zu beklagen, Kopfschmerzen nach lästigen Anrufen“. Im Netz gab es viel Kritik dafür...
...wir haben ja keine Witze über die Toten gemacht. Wir setzen uns vor allem damit auseinander, wie mit uns Satirikern nach dem Anschlag umgegangen wird. Und außerdem ist das nicht die einzige Reaktion, unser Header ist vorerst als Zeichen der Trauer schwarz statt rot. Ganz grundsätzlich gilt aber: Witze taugen dazu, sehr ernste Geschehnisse erträglich zu machen.
Weiter Witze machen ist also der beste Umgang mit so einem Ereignis?
Ja, es ist der richtige Umgang. Ein Kollege sagte am Nachmittag: Wenn ich erschossen werde, macht Witze darüber. Man sollte selbst im Tod den Humor nicht verlieren.
Die Anteilnahme nach dem Anschlag ist riesig. Tausende sind auf die Straßen gegangen, solidarisieren sich etwa durch „Je suis Charlie“-Plakate. Wünscht man sich als Satiriker so einen Rückhalt auch im Alltag?
Das ist natürlich erstmal gut, dass die Menschen auf die Straße gehen. Aber Satire, wie sie in der Titanic oder der Charlie Hebdo betrieben wird, ist kein Massenprodukt, das ist ein Ding für die Nische. Da wehrt sich ein kleiner Teil gegen die Zumutungen der Masse. Wenn etwa die Titanic millionenfach verkauft würde, dann könnten wir vieles nicht machen, weil es zu häufig missverstanden werden würde. Letztlich brauchen wir Satiriker also nicht ständige Solidarität, es ist schon in Ordnung, dass wir ein kleines schmutziges Kampfblatt sind.
Schon 2011 gab es heftige Proteste und einen Brandanschlag auf die Redaktionsräume von Charlie Hebdo wegen des Nachdrucks der dänischen Mohammed-Karikaturen...
...und Charlie Hebdo hat womöglich nun dafür bezahlt, standhaft geblieben zu sein. Diese aufrechte Haltung ist sehr ehrenhaft. Die Titanic ist bisher nicht in diesen Fokus geraten, obwohl wir damals auch ein paar der Karikaturen nachgedruckt und komik-kritisch betrachtet haben. Ich hoffe natürlich, dass es so bleibt. Aber ich glaube auch nicht, dass das ein reines Problem der Satire ist. Es kann auch seriösen Zeitungen passieren, wenn sie den Propheten nach Ansicht Radikaler mit Worten schmähen. Das ist eine Tat von Wahnsinnigen, letztlich kommt man da rational nicht ran.
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