piwik no script img

Tiroler Fotograf über die Alpine Ski-WM„Die Herrschaft der Mittelmäßigkeit“

Fotograf Lois Hechenblaikner über die Verunstaltung der Berge, „alpine Metastasen“ im WM-Ort Schladming und Anfeindungen von seinen Landsleuten.

"Man muss die Kraft haben, diese Kälte zu ertragen": die WM-Piste in Schladming. Bild: dpa
Interview von Markus Völker

taz: Herr Hechenblaikner, Sie schießen …

Lois Hechenblaikner: Nein, ich schieße nicht. Ich bin kein Schnellschuss-Fotograf. Das machen andere. Ich mache gezielt Werkserien mit einer gewissen Tiefengrammatik. Über Jahre.

Gut, aber es geht Ihnen um die Veränderungen und Verheerungen im Alpenraum, die von Massentourismus und Ski-Events ausgehen. Dafür fahren Sie zum Beispiel regelmäßig nach Kitzbühel zu den Hahnenkamm-Rennen oder jetzt nach Schladming, wo man in einem relativ kleinen Ort mit 4.400 Einwohnern 400 Millionen Euro für die am Montag beginnende alpine Ski-Weltmeisterschaft verbaut hat.

Ja, es geht mir um die Stilblüten, die Auswüchse. In Kitzbühel gibt es beim Hahnenkamm-Rennen eine perfekte gastronomische Orchestrierung für die Upper Class. Die haben dort ein Catering, wie es besser nicht sein könnte. Aber auch der normale Skifahrer wird hier perfekt bedient. Kitzbühel ist ein Musterbeispiel dafür, wie alle ideal bewirtschaftet werden, Großbänker, Industriebosse und Sponsoren ebenso wie ganz normale Fans. Die Nivellierung nach unten ist freilich eine Tragödie. Da kann man vieler Sachen nicht mehr Herr werden. So ein Event wie die Ski-WM oder das Rennen auf der Streif funktioniert wie ein Ablassventil für die Industriegesellschaft. Die breiten Massen finden in dem Großereignis einen Grund zu feiern. Sie könnten die Alkoholika ja auch zu Hause kaufen, aber sie trinken sie lieber in lärmender Gesellschaft. Als Götzenanbetung und Huldigungsrituale der Neuzeit könnte man diese Veranstaltungen bezeichnen.

Können Sie sich nicht trotzdem ein wenig auf die Ski-WM freuen?

Das ist für mich keine Frage des Freuens, es geht für mich um das analytische Festhalten von gewissen Szenarien. Ich sehe das ja in einem ganz anderen Zusammenhang, vor einem ganz anderen Zeithorizont. Ich lasse meine Bilder manchmal zehn, zwanzig Jahre liegen wie einen guten Wein. Ich arbeite mit Zeitverschiebung. An meiner längsten Werkserie arbeite ich jetzt seit 18 Jahren, zum Thema Fans der Volksmusikszene. Wenn Sie das so lange liegen lassen, dann reichern sich die Bilder durch die zeitliche Distanz an.

Bild: privat
Im Interview: LOIS HECHENBLAIKNER

Der Fotograf und Künstler wurde 1958 in Tirol geboren, wo er heute wieder in Reith im Alpbachtal lebt. Nach fast zwei Jahrzehnten als Reisefotograf in Asien widmet er sich seit geraumer Zeit dem Einfluss des Tourismus auf seine Heimat. Er dokumentiert Bausünden, Zerstörungen und architektonische Verirrungen. Seine Bilder werden im Steidl-Verlag veröffentlicht, etwa "Winter Wonderland", "off piste" oder "Hinter den Bergen". Aktuell werden seine Arbeiten über alpine "Intensivstationen" in Bern im Alpinen Museum gezeigt (bis 24. März).

***

Der Wochenplan: Am Montag um 19 Uhr wird die alpine Ski-Weltmeisterschaft eröffnet. Am Dienstag (11 Uhr) findet der Super-G der Frauen statt, am Mittwoch der Super-G der Männer (11 Uhr). Am Freitag folgt die Super-Kombination der Frauen (10 Uhr Abfahrt, 14 Uhr Slalom), am Samstag kommt es um 11 Uhr zum Höhepunkt der WM: Abfahrt der Männer.

Das Dorf: Schladming richtete bereits 1982 eine alpine WM aus, doch für das aktuelle Event wurde in dem 4.400-Seelen-Städtchen im steiermärkischen Ennstal richtig geklotzt. Man hat 400 Millionen Euro verbaut. Gebaut wurden eine neue Talstation, ein Kongresszentrum, ein Parkhaus und ein neuer Bahnhof. Schladming ist kaum wieder zuerkennen.

Der Druck: Österreich befindet sich jetzt schon in nationalem Taumel. Von den rot-weiß-roten Talfahrern werden Medaillen in großer Zahl erwartet. Klaus Kröll soll bitteschön die Abfahrt gewinnen und Marcel Hirscher Slalom und Riesenslalom. Bei den Frauen wäre man mit ein paar Plaketten zufrieden, denn zu stark sind Tina Maze (Slowenien) und die US-Amerikanerin Lindsey Vonn.

In Schladming ist vieles im Zeitraffertempo passiert. Wo andere Regionen zehn, zwanzig Jahre für einen touristischen Umbau gebraucht haben, ist die Verunstaltung des Städtchens mit einem riesigen Investitionsvolumen viel schneller gegangen.

Ja, aber Schladming war vorher schon keine Perle der Baukunst. Was in Kitzbühel eher ein professionell gewachsener Prozess war, ist in Schladming offenbar im Hauruckverfahren passiert. In den nächsten Tagen befindet sich immerhin der mediale Hotspot in Schladming. Es findet ja ein großes Buhlen um die Medien statt. Eine deutsche Reiseleiterin hat mir einmal etwas sehr Treffendes gesagt: Die Tiroler sind Weltmeister im Anlocken von Gästen. Also auch von Journalisten.

Da wollen die Steiermärker in Schladming offenbar mithalten.

Absolut. Es geht um eine Ökonomie der Aufmerksamkeit. Die Fernsehanstalten sind heute die Banken einer immateriellen Währung, weil sie Aufmerksamkeit verkaufen. Das ist teilweise wichtiger als Kapital. Darum geht es: dass sich diese konkurrierenden Wintersportorte für eine gewisse Zeit zum Zentrum der Alpen erklären und so im Bewusstsein der Skifahrer hängen bleiben. Auf diese Weise wurde in Österreichs Bergen ein unglaublich hoher Professionalisierungsgrad erreicht. Sie wissen in Schladming oder Kitzbühel ganz genau, wie die Medien ticken, wie man Journalisten auf die Seite zieht und wie die Dramaturgie aussehen muss.

Schladming möchte die Nummer eins sein.

Der Ski-Zirkus ist ein mobiles Industrieunternehmen. Er zieht weiter von Ort zu Ort, von Skigebiet zu Skigebiet wie ein modernes, großkapitalisiertes Nomadentum. Bewirtschaftet wird dieses Unternehmen auch von den Medien, die scharenweise zu den Großveranstaltungen kommen. Da hängt auch Schladming seinen Bauchladen heraus und hofft auf die besten Geschäfte.

Wie weit darf man in diesem Kampf um Aufmerksamkeit gehen? Schladming hat sich einiges geleistet. Die Stadt wurde teilweise zubetoniert, ein großes Parkhaus und ein Kongresszentrum errichtet, aber ein Buchladen oder ein Kino fehlen in der Stadt. Und trotz einer Armada von Schneekanonen sprechen die Veranstalter von Nachhaltigkeit.

In der Tourismuswirtschaft behält man die kulturelle Dimension viel zu wenig im Auge. Wenn genug Geld zur Verfügung steht, treten die Bauphallomanisten, so will ich sie mal bezeichnen, auf den Plan. Es gibt ja eine ganze Armada von kulturell unterkonditionierten Architekten. Ich wäre ohnehin für Massenverhaftungen von Architekten.

Aha.

Ich habe mich sehr viel mit Architektur beschäftigt. Man müsste sehr viele Touristiker zwei Jahre aus ihrem Alltag herausnehmen und einem Bildungsprozess zuführen, damit sie sich neu kalibrieren und verstehen: Was ist überhaupt Architektur?

Sagen Sie es uns.

Architektur ist eine Mitverantwortung für die Gestaltung des Lebensraumes für weitere Generationen. Es gibt leider zu viele Architekten mit einer abgeschlossenen Halbbildung, die in der Pose der provinziellen Nettigkeit agieren und dabei die Unwissenheit und Eindimensionalität der Gastronomen und Eventmanager bedienen.

Wenn das Ski-Event und der Tourismus oberste Priorität genießen, welchen Platz hat dann noch die „Heimat“?

Sie wird zur Kulisse. Schauen Sie, die Almhütte ist ja die letzte Bastion des Bauernstandes in den Alpen, die letzte Bastion des Authentischen. Im großstädtischen Milieu gibt es eine unheimlich große Sehnsucht nach dem Authentischen und Ursprünglichen. Die Alpen sind ein Stück dieser Projektionsfläche. Jeder würde sich wünschen, in den Bergen eine Almhütte zu haben als Gegenentwurf zu seinem durchrationalisierten, eingeengten Lebensraum in der Stadt.

Die Suche nach Authentizität birgt Gefahren. Man dringt dabei ja in immer neue Räume vor, die noch nicht touristisch besiedelt wurden.

Ja. Der Einfachheit halber hat man die Almhütte ins Dorf heruntergezerrt. Das ist eine Verluderung. Letztlich baut man potemkinsche Dörfer. Kulissenwände.

Ist diese WM das Schlechteste, was Schladming passieren konnte?

Ich muss mir erst ein genaueres Bild machen. Ich bin mir aber sicher, dass eine Heerschar von Dummheiten passiert ist, dass sich alpine Metastasen gebildet haben. Durch die Bausünden nimmt man sich ja selbst die idyllischen Perspektiven. Man kannibalisiert sich selbst. Das wird auch Schladming irgendwann verstehen.

Sind Sie akkreditiert für das wichtigste Ereignis dieses Jahres in Österreich?

Ich war zu spät dran, und man hat mich nicht mehr genommen. Da gibt es einen obersten Pressechef, der einen Blutrausch kriegt, wenn er meinen Namen hört. Ich werde aber auch ohne Akkreditierung meine Bilder machen können, ich hab meine Sherlock-Holmes-Methoden.

Wie kommen Sie klar mit der Rolle des Nestbeschmutzers, Sie werden ja seit Jahren wegen Ihrer entlarvenden Bilder in Österreich angefeindet und geschnitten?

Man muss Kraft haben, diese Kälte zu ertragen, die einen umgibt. Das, was man macht, muss auch einer absoluten Hinterfragung standhalten können im künstlerischen Sinne. Mit den Jahren habe ich gelernt, mich gegen meine Kritiker zu verteidigen. Wenn man so oft angegriffen wird wie ich, fängt man ja irgendwann an, sich selbst in Frage zu stellen. Aber ich habe zum Glück die Bestätigung von außen bekommen.

Ihre Fotografie provoziert unmittelbar. Sie ziehen mit Ihren Bildern den Schleier des Erhabenen und Idyllischen mit einem Rutsch weg.

Für meine Bilder braucht man kein Studium der Kunsttheorie. Auch ein touristisches Einfältigkeitshirn erkennt den Gehalt.

Haben Sie noch Hoffnung auf einen durchdachten Tourismus und durchdachte Ski-Events in Österreich?

Sie ist gering. Wir leiden unter der Herrschaft der Mittelmäßigkeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!