Tiktok: Beef um türkische Identität
Seit Wochen streiten türkische und deutsche Türkinnen auf Tiktok. Es geht nicht nur um das richtige Make-up, sondern um angeblich richtiges Türkisch sein.
Alles begann damit, dass sich die Türkin Meri über die Schminkkünste der in Deutschland lebenden Türkinnen lustig machte. Almancı kızlar – also Türkinnen aus Deutschland – würden zu viel Bronzer und Blush benutzen, immer künstliche Wimpern tragen und „nicht wie echte Türkinnen“ aussehen.
Meris Video ging auf Tiktok viral und zettelte einen Streit zwischen türkischen Türkinnen und deutschen Türkinnen an, der weit über einen oberflächlichen Kommentar über Make-up hinausgeht. Es löste einen Identitätskonflikt zwischen türkischen und deutschen Türkinnen aus, der beiden Seiten nur schadet.
Symbol eines tieferliegenden Konflikts
Das Thema Make-up offenbart sich eigentlich nur als Symbol für die tieferliegenden Konflikte der Streitparteien. Die türkischen Türkinnen wollen die deutschen Türkinnen nicht als „richtige Türkinnen“ anerkennen, die deutschen Türkinnen machen sich über die türkischen Türkinnen lustig und negieren dabei deren Lebensrealität. Und dabei wird generalisiert und diskriminiert. Außerdem versucht sich die eine Gruppe von der anderen abzugrenzen. Diese Konflikte existieren bereits seit Generationen.
Der Begriff Almancı wird nicht als neutrale Bezeichnung für die Herkunft genutzt, sondern als Abwertung gegenüber der türkischen Diaspora in Deutschland. Dieser wird vorgeworfen, ihr gehe es „zu gut“ im Ausland. Dass viele Türk:innen in Deutschland unter Rassismus leiden und, weil viele als sogenannte „Gastarbeiter:innen“ nach Deutschland kamen, auch unter Klassismus, wird dabei nicht beachtet.
Häufig leben sie zwischen zwei Welten: In der Türkei gelten sie als zu deutsch, in Deutschland als zu türkisch. Dabei gibt es eine eigene deutsch-türkische Kultur, die sich seit Generationen in der türkischen Diaspora entwickelt hat. Der Begriff Gurbetçi – eine Person, die ein Leben außerhalb ihrer Heimat in der Fremde führt – würde dementsprechend besser passen, kommentieren einige Tiktok-Nutzer:innen.
Wer ist Türkisch genug?
Meris Video befeuert also diesen generationenalten Konflikt, indem sie in Deutschland lebenden Türkinnen das Türkisch-Sein abspricht. Das lassen sich diese allerdings nicht gefallen und antworteten mit weiteren Videos auf Tiktok, in denen sie die Schminkgewohnheiten der Türkinnen in der Türkei beleidigen.
Mittlerweile hat der Streit auch andere migrantische Communities in Deutschland erreicht: Einige in Deutschland lebende Albanerinnen stellten sich auf die Seite der Deutsch-Türkinnen. Sie kennen diesen Identitätskonflikt ebenfalls nur zu gut. Nur leider geht die Konfliktspirale so weiter, denn auch diese Seite beachtet die Lebensrealität der türkischen Türkinnen nicht: Junge Menschen in der Türkei leiden sehr unter der hohen Inflation und Perspektivlosigkeit in einer aufsteigenden Autokratie.
Der Streit hat dazu auch noch eine rassistische Seite. Indem die Deutsch-Türkinnen als Afghaninnen oder Araberinnen bezeichnet werden – was als Beleidigung gemeint ist –, wird Colourism reproduziert. Dies ist eine Form des Rassismus, die sich auf die Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe bezieht. Je dunkler die Haut, desto stärker die Diskriminierung. Durch das zu dunkle Make-up seien Deutsch-Türkinnen keine richtigen Türkinnen, heißt es. Ihnen soll so ihre kulturelle Identität abgesprochen werden. Auch über den deutschen Akzent vieler Deutsch-Türkinnen, wenn sie Türkisch sprechen, wird sich lustig gemacht. Die türkischen Türkinnen erheben somit den Anspruch auf das „richtige“ Türkisch-Sein.
Kurdische Stimmen sehen Gemeinsamkeiten
Zu dem Diskurs äußerten sich auch einige Kurd:innen. Sie kritisieren, dass beide Gruppen versuchen, sich voneinander abzugrenzen, obwohl sie viele Dinge eint. Besonders der Rassismus gegenüber der kurdischen Minderheit in der Türkei wird in dem Kontext genannt. Die kurdische Kultur wird in der Türkei seit der Gründung der Republik unterdrückt. Kurd:innen sind also die Minderheitengruppe, die besonders stark Ausgrenzung erlebt, und das sowohl von türkischen als auch deutschen Türk:innen.
Als wäre das alles nicht genug, zeigt sich in dem Konflikt auch Sexismus. Indem sie das Aussehen der anderen abwerten, zeigt sich auch die internalisierte Misogynie bei beiden Parteien. Auch einige Männer bei Tiktok nehmen sich die Deutungshoheit, bewerten zu dürfen, welche der beiden Gruppen schöner sei, während sich die beiden Frauen-Gruppen gegenseitig heruntermachen.
Solidarität statt Beef
Mit gegenseitigen Zuschreibungen, die Klischees reproduzieren und tief verankerte Diskriminierungen aufzeigen, wird im Konflikt nicht gespart. So lautet ein Kommentar unter einem kritischen Video zu dem Streit: „Menschen aus der Diaspora erleben Kultur anders – das ist kein Makel, sondern Teil ihrer Realität. Sie wachsen zwischen verschiedenen Einflüssen auf und entwickeln ihre eigene Art, Identität zu leben.“
„Statt Spaltung braucht es mehr Verständnis dafür, dass Vielfalt innerhalb einer Herkunftsgemeinschaft normal ist. Niemand verliert dadurch seine Wurzeln – sie wachsen einfach in verschiedenen Richtungen.“ Sonst schadet der Beef nur allen Parteien.
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