Tiktok-Verbot im EU-Parlament: „Halte ich für aktionistisch“
Zum Datenschutz hat das EU-Parlament Tiktok auf Dienstgeräten verboten. Der Grünen-Abgeordnete Malte Gallée will die App trotzdem weiter nutzen.
taz: Herr Gallée, das Europäische Parlament hat wegen Datenschutzbedenken die Social-Media-Plattform Tiktok seit dem 20. März auf allen Diensthandys und -computern verboten. Abgeordneten wie Ihnen wird empfohlen, Tiktok auch vom Privathandy zu löschen. Sie wollen aber vom Privat-Smartphone aus weitermachen. Warum?
ist mit 29 Jahren der jüngste deutsche Abgeordnete im EU-Parlament. Auf seinem Tiktok-Kanal hat der Grünen-Politikerr und 38.000 Follower undberichtetin kurzen Videos über seine Arbeit in Brüssel.
Malte Gallée: Für mich ist Tiktok die wichtigste Plattform, um Bürger:innen und Wähler:innen zu erreichen. Ich will vor allem für junge Menschen Politik verständlich und nahbar machen. Und da das nun einmal die Plattform ist, auf der die meisten jungen Menschen aktiv sind, sehe ich es eigentlich fast als meine Pflicht, dort zu kommunizieren. Außerdem habe ich jetzt von meinem Arbeitshandy auch alle andere Social-Media-Plattformen wie Instagram und Twitter verbannt.
Das Privat-Smartphone, mit dem Sie Tiktok benutzen, haben Sie wahrscheinlich auch immer dabei. Und als Politiker schreiben Sie vielleicht manchmal auch über das Privathandy arbeitsrelevante Nachrichten. Dann wäre die Trennung nicht mehr so klar.
Aber Tiktok hat jetzt keinen Zugriff mehr auf das Netzwerk des EU-Parlaments, auf das Intranet, auf meinen E-Mailaccount, auf meinen Kalender. Was mein privates Handy angeht, wenn die Bedrohung tatsächlich so groß wäre, dann fände ich es inkonsequent, Tiktok nur für Politiker:innen zu verbieten, und nicht für alle Bürger:innen. Dann geht es ja darum, alle Bürger:innen vor Abhörung zu schützen.
Neben dem EU-Parlament und der EU-Kommission wurde Tiktok auch in Großbritannien, den USA, Kanada und weiteren Ländern auf Dienstgeräten von Regierungsmitarbeitenden verboten. Könnte also an den Befürchtungen etwas dran sein, dass der chinesische Staat durch den chinesischen Mutterkonzern Bytedance möglicherweise Zugriff auf Daten von Tiktok-Nutzer:innen hat?
An den Datenschutzbedenken ist auf jeden Fall etwas dran. Diese Datenschutzbedenken muss man aber bei allen Social-Media-Kanälen haben. Ich halte es für aktionistisch, nur Tiktok zu verbieten. Mit dem Tiktok-Verbot unterstellen wir ja dem chinesischen Staat Böswilligkeit. Wenn China an irgendwelche Daten von uns will, könnte sich dieser Staat aber genauso in die Daten von Facebook oder Twitter hacken und hätte dadurch Zugang. Da wird dieses Tiktok-Verbot nichts dran ändern.
Warum haben diese Länder und die EU dann nur die Nutzung von Tiktok auf Dienstgeräten verboten? Ihre Datenschutzbedenken scheinen da größer zu sein als bei US-amerikanischen Unternehmen wie Meta, dem Mutterkonzern von Facebook und Instagram, die auch wegen ihres Umgangs mit Nutzer:innendaten immer wieder in der Kritik stehen.
Der Verdacht ist deshalb größer, weil man es bei China mit einem autokratischen Regime zu tun hat und bei den andern Konzernen mit den USA. Ich halte es generell für ein Problem, dass wir Nutzer:innen eigentlich keine Ahnung haben, welche Daten von uns zu welchem Zeitpunkt wofür verwendet werden. Wenn wir eine App das erste Mal nutzen, müssen wir zustimmen zum Zugriff auf die Kamera, auf das Mikrofon, auf die Fotos und Standortdaten. Aber ich sehe da auch die Betreiber der Betriebssysteme, also Android und Apple, in der Pflicht, technisch dafür zu sorgen, dass ich selbst darüber entscheiden kann, welche Plattform zu welchem Zeitpunkt welche Daten wofür verwendet.
Dann sollen die Hersteller der gängigen Smartphone-Betriebssysteme, Google mit Android und Apple mit iOS, bei der Gerätesoftware das Problem lösen, das die Apps mit ihrer Gier nach Daten verstärkt haben?
Die Apps bedienen sich dessen, was möglich ist, und ich möchte gerne, dass das Mögliche so eingeschränkt wird, dass wir die volle Kontrolle darüber haben.
Auch Google und Apple werden dafür kritisiert, weil sie viele Daten der Nutzer:innen sammeln.
Ja, total. Und genau das ist die Aufgabe von uns als Gesetzgeber:innen. Da einzuschreiten und zu sagen, was die genauen Regeln sein sollen, um Verbraucher:innen zu schützen. Dass das Europäische Parlament und die EU-Kommission das Thema Datensicherheit mit dem Verbot jetzt noch einmal auf die Agenda rufen, finde ich gut. Ich habe eine offizielle Anfrage an die EU-Kommission gestellt, was sie plant, damit Betriebssysteme wie iOS oder Android den Nutzer:innen die Möglichkeiten geben, selber zu entscheiden, welche Daten sie hergeben. Jetzt warte ich auf eine Antwort.
Geht es Ihnen bei Tiktok auch darum, dass Sie mehr als 38.000 Follower:innen verlieren würden, wenn Sie die Plattform verlassen?
Wenn wir feststellen, dass Tiktok tatsächlich böswillig ist und wir dafür klare Indizien haben, dass es eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft ist, und wir die App wirklich für alle verbieten, da bin ich dabei. Und trotzdem hat es wahnsinnig viele Vorzüge.
Welche denn?
Man erreicht sehr schnell die Leute, für die ein bestimmtes Thema auch relevant ist, und man ist nicht so sehr in seiner eigenen Echokammer gefangen wie zum Beispiel bei Instagram. Bei Instagram sieht man die ganze Zeit Beiträge von Leuten, denen man folgt. Und bei Tiktok sieht man viel mehr Beiträge von Leuten, denen man nicht folgt. Im Europaparlament haben wir generell ein großes Problem damit, Leute zu erreichen. Deswegen bin ich sehr happy darüber, das über Tiktok so gut machen zu können.
EU-Politik gilt oft als trocken und kompliziert. Schaut man Ihre Videos an, scheint es Ihr Ziel zu sein, auf lockere Weise verständlicher zu machen, was in Brüssel passiert.
Ich finde die Politik hier in Brüssel überhaupt nicht trockener als irgendwo anders. Ob etwas trocken ist oder nicht, kommt ja sehr auf die Zielgruppe an. Für irgendwelche EU-Nerds ist das natürlich gar nicht trocken, vielleicht bin ich jetzt auch schon selber einer. Wir haben vor Kurzem geschafft, dass in einigen Jahren in der Europäischen Union Gerätebatterien austauschbar sein müssen. Das heißt, dass Handyakkus herausnehmbar sind. Wir regeln hier Sachen, die sehr nah an den Bürger:innen sind. Und das transportiere ich einfach gerne zu den Leuten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind