Tiktok-Krawalle beim Film „Creed III“: Im Kino Döner essen ist ein Frevel
Nun werden Kinosäle verwüstet anlässlich eines Boxerfilms. Bei der „Rocky Horror Picture Show“ dagegen ist Verwüsten Kult. Dabei gibt es Schlimmeres.
Die Jugendlichen sprangen über die Sitze, warfen mit Nachos und Popcorn und randalierten. Die Vorführung in einem Essener Kino musste gestoppt, der Saal geräumt werden. Auch in Bremen, Hamm, Berlin, in Frankreich und an weiteren Orten passierte es. Immer lief dabei der Boxerfilm „Creed III“. Die Polizei meint, ein neuer Tiktok-Trend sei die Ursache. Gezielt würden sich Jugendliche über die Kurzvideo-Plattform verabreden, um Krawall in Kinos zu machen, das Ganze filmen und es dann teilen.
Wer jetzt möchtegernelitär denkt – ist doch klar: Tiktok statt Mastodon, Multiplex statt Szenekino, Knallofilm statt Kunstkacke, kein Wunder, selbst schuld, wer da hingeht –, täte Beteiligten wie Leidtragenden unrecht. Denn es ist immerhin vorstellbar, dass die Randalierer wissen, dass sie Scheiße bauen. Sie tun es trotzdem (oder sogar deswegen), dabei in Kauf nehmend, dass sie die Konsequenzen tragen müssen: Filmabbruch, Saubermachen, Strafanzeige, Schadensersatz, Hausverbot.
Im Vergleich weit unverbesserlicher wirken da doch jene adretten jungen Peers mutmaßlich bildungsbürgerlicher Herkunft, die sich zu dritt mit je einem Döner in der Hand in der vollbesetzten Reihe eines Off-Kinos lümmeln. Der olfaktorische Offenbarungseid übertrifft noch die nach Stinkefüßen riechende Käsesoße, die gern zu Nachos gereicht, gespritzt oder geworfen wird. Vor Beginn des Arthouse-Films pulen sie seelenruhig die Alufolie, diesen Atommüll unter den Verpackungsmaterialien, von ihrem Schnellgericht und setzen ein grässliches Aroma frei: rohe Zwiebeln, schon vor Langem gestorbenes Nutztier und diverse Soßen aus dem Fertigkochbuch des Teufels.
Das katastrophale Antiodeur, das innerhalb von Sekunden wie eine Giftwolke durch den gesamten Kinosaal wabert, macht einzig ihnen nichts aus. Als Quelle des Übels sind sie immun, ein Phänomen wie bei Rauchern, die einander problemlos über den Aschenbechergeschmack hinweg zu knutschen vermögen.
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Das Schlimmste daran: dass sie besten Gewissens handeln. Sie kommen überhaupt nicht auf die Idee, ihr Tun oder dessen Wirkung auf ihr Umfeld zu hinterfragen. Ich und die anderen – das sind keine Kategorien, in denen sie denken. Die selbstverständliche Ausblendung aller zivilisatorischen Standards bei gleichzeitigem Fehlen eines auch nur rudimentären Unrechtsbewusstseins ist in der Psychologie als sogenannte Psychopathie bekannt. Ursachen können Störungen im Neurotransmitterhaushalt sein, schwere Defizite im Upbringing, ein durch Drogen, Unfall, Krankheit oder Social-Media-Missbrauch zerschossenes Schamzentrum sowie die besondere Fähigkeit, sich jederzeit wie auf Kommando komplett vom Rest der Welt abzukoppeln.
Döner ist eine Frischluftmahlzeit: Dieser Satz sollte im Grundgesetz verankert werden. Doch unabhängig von meinen starken Gefühlen bezüglich der Döner- oder auch Falafel-Problematik ist natürlich jegliche Störung des Kinobesuchs als äußerst heikel anzusehen – auch die Tiktok-Heinis tragen zweifelsohne schwere Schuld. Das liegt in der Natur der Sache, denn ein Kinoabend ist im Grunde ein zerbrechlicheres Sozialkonstrukt als ein Niedersachsen-Derby oder ein Weihnachtsabend mit der Familie.
Bei aller Kritik kann etwas Rückbesinnung auf die eigene Jugendzeit jedoch nicht schaden. Waren wir besser, passierte damals nichts dergleichen? Tiktok oder andere soziale Netzwerke gab es nicht. Man verabredete sich nicht und fand sich trotzdem, um andere Leute zu nerven und sinnlos Sachen kaputt zu machen, zu beschmutzen und zu entweihen. So sieht es aus. Wenn es dabei zu keiner Gewalt kam, konnte man von Glück reden. Es war nicht wirklich alles besser.
Übrigens auch nicht im Kino. Schon seit den 1970er Jahren wurden Kinos bei der „Rocky Horror Picture Show“ von den Fans regelmäßig mit Mehl, Reis, Wasser, Toilettenpapier verwüstet. Schnell pflegte man die Ausschreitungen „Kult“ zu nennen, was immer schon eine beliebte Methode war, um sozial fragwürdiges Gebaren in ein Weltkulturerbe für besonders Arme umzuetikettieren. Hierin liegt mittelfristig sicher auch die Chance für weitere gelungene Vorführungen von „Creed III“.
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