Tierschutzpartei in den Niederlanden: Mitregieren wird denkbar
In den Niederlanden steht die Partij voor de Dieren vor dem besten Ergebnis ihrer Geschichte. Ein Grund dafür ist die Coronapandemie.
Coronabedingt finden die Wahlen dieses Jahr an 3 Tagen statt. Am Montag öffnete ein Fünftel der Wahllokale schon mal für Menschen, die den Risikogruppen angehören, Hauptwahltag für alle ist aber der Mittwoch.
Auf die Auszählung besonders gespannt ist man bei der Partij voor de Dieren (PvdD). Bislang verspürten die Tierschützer:innen keinerlei Ambitionen zum Regieren. Vor wenigen Wochen allerdings signalisierte Fraktionschefin und Spitzenkandidatin Esther Ouwehand: „Wenn Rutte bereit ist, den Tierbestand um 50 Prozent zu reduzieren, ist das ein guter Beginn, dann lasst uns reden.“
Ouwehands Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr: 19 Jahre nach ihrer Gründung könnte die PvdD das beste Ergebnis ihrer Geschichte einfahren. Manche Umfragen sehen sie bei 7 der 150 Sitze. Ouwehand, die eine der beiden Pionier:innen war, als die PvdD 2006 als weltweit erste Tierschutzpartei in ein Parlament einzog, peilt für dieses Mal „8, 9 oder 10 Sitze“ an. Gegenwärtig sind es 4 – eine der 2017 gewählten Abgeordneten ist abtrünnig geworden.
Ökozid soll strafbar werden
In großen Dimensionen ist auch das Wahlprogramm angelegt: als „planetenweite Vision“ oder auch als „Plan B, weil es keinen Planet B gibt“. Tierrechte sollen in die Verfassung aufgenommen, Massen-Tierhaltungsbetriebe verboten und die Viehbestände um 75 Prozent reduziert werden. Geplant sind ein ambitioniertes Klimagesetz und die Förderung regionaler Bio-Landwirtschaft. Man strebt nach weniger Luftfahrt sowie besseren Zugverbindungen. Ökozid, also die Zerstörung von Ökosystemen, soll strafbar werden. In ihrem Kerngeschäft ist die PvdD ambitioniert wie eh und je.
Das Wahlprogramm hat aber auch eine soziale Komponente. Die Partei will einen um 40 Prozent höheren Mindestlohn, den jährlichen Anstieg der Wohnungsmieten durchbrechen und einen Spitzensteuersatz von 60 Prozent durchsetzen. Im Gesundheitsbereich soll mehr Lohn gezahlt werden, die umstrittene Eigenbeteiligung zur Krankenversicherung will man streichen. Weitere Ziele sind eine „menschliche Flüchtlingspolitik“ und ein Ende des niederländischen Status als „Steuerparadies für multinationale Konzerne“.
Dass die PvdD in den Niederlanden vor allem zu Beginn oft als Ein-Punkt-Partei belächelt wurde, liegt nicht nur an dem Schwerpunkt, den Tierschutz und Ökologie innerhalb des Programms bilden. Vielfach fehlte der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit auch das Bewusstsein, wie dringlich und relevant eine solche Agenda heutzutage ist. Das könnte sich nun geändert haben. Und das liegt an der Coronapandemie, die im Wahlprogramm als „Wendepunkt“ bezeichnet wird: „Nie zuvor standen so viele Weichen auf Grün, um dem fossilen Denken definitiv ein Ende zu setzen.“ Wenn man so will, klingt die Agenda wie ein Wahlprogramm gewordenes So-geht-es-nicht-weiter.
Zoonosen im politischen Diskurs
Wie relevant die PvdD derzeit im politischen Diskurs des Landes ist, zeigt die Entwicklung eines Begriffs, mit dem sie in den Anfangszeiten vielfach auf Unverständnis stieß: Zoonosen. Solche Erkrankungen, die zwischen Menschen und Tieren hin- und herspringen, rissen die Parlamentarier:innen lange ebenso wenig vom Hocker wie die Rolle von Massentierhaltung und Zerstörung von Ökosystemen. Bis Covid kam.
Ouwehand hat diesen neuen Schwung im Februar mit ihrem neuen Buch strategisch genutzt. „Tiere können die Pest kriegen“, heißt es wörtlich, was im übertragenen Sinn so viel wie „Scheiß auf die Tiere“ bedeutet. Den Titel komplett macht die Frage „und dann?“
Interessant wird freilich, ob ein Wahlerfolg eine interne Diskussion der PvdD wieder ins Rollen bringt, die zuletzt intern für einige Aufregung gesorgt hatte. Etwa zur Hälfte der nun auslaufenden Legislaturperiode hatte sich die Abgeordnete Femke Merel van Kooten-Arissen aus der Fraktion verabschiedet. Anlass war ein Richtungsstreit. Sie plädierte für einen stärkeren Fokus auf Menschenrechte. Die damalige Parteichefin Marianne Thieme dagegen setzte verstärkt auf die Kernwerte: Die PvdD werde sonst mit Sozialdemokraten oder Grünen verwechselbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen