Tiefbahnhof-Kontroverse: Gutachter streiten in Stuttgart
Nicht nur zu den ursprünglich geplanten Kapazitäten von Stuttgarter 21 gibt es unterschiedliche Angaben. Jetzt ist Grünen-Bürgermeister Kuhn gefordert.
STUTTGART taz | Rund um die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart kommt auch neue Dynamik in den Streit um das Milliardenprojekt Stuttgart 21. Wenn der neue OB Fritz Kuhn (Grüne) im Januar sein Amt antreten wird, darf er noch im gleichen Monat in der nächsten Sitzung des Lenkungskreises für den geplanten Tiefbahnhof mitmischen.
In dem Gremium sitzen die Projektpartner mit der Deutschen Bahn AG. Für genügend Gesprächsstoff sorgen derzeit neue Gutachten. Die Dauerthemen: Kosten, Sicherheit und die Kapazität des geplanten Tiefbahnhofs.
In seiner aktuellen Ausgabe berichtet das Magazin Stern über Dokumente aus dem Jahr 1994, die belegen, dass die Kapazität des unterirdischen Bahnhofs ursprünglich deutlich geringer eingeschätzt wurde. Demnach ging einer der Väter des Projekts, Gerhard Heimerl, in einer ersten Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsstudie von 35 Zügen pro Stunde aus – das ist deutlich weniger als die bis zu 52 Züge, die die Bahn gerne propagiert.
In späteren Studien sprachen die Autoren sogar von nur noch 32 Zügen. Als Voraussetzung dafür, dass der Verkehr mit 35 Zügen auf den geplanten acht Gleisen funktioniere, nahm man eine Haltezeit von gerade mal zwei Minuten pro Zug an.
30 Prozent mehr Züge
Die Kapazität war eine der wichtigsten Fragen während der Schlichtung vor zwei Jahren. Mit dem Schlichterspruch sagte die Bahn AG zu, dass sie in einem Stresstest nachweisen werde, dass der neue Durchgangsbahnhof in der Spitzenstunde zwischen sieben und acht Uhr morgens 30 Prozent mehr Züge abwickeln kann als der jetzige Kopfbahnhof.
Nur mit Ach und Krach bestand sie den Test. Allerdings legte dieser für den bestehenden Kopfbahnhof die im Fahrplan 2010 angegebenen 37 Züge in der Spitzenstunde zugrunde – nicht die mögliche Höchstauslastung.
Weiteren Streit verursachen auch die Kosten von Stuttgart 21. Am Montag hatte die Bahn nach der Sitzung des Lenkungskreises erklärt, dass der Flughafenhalt 224 Millionen Euro mehr kosten werde als bisher angenommen.
Die Kosten entstehen durch eine neue, im sogenannten Filderdialog mit den Betroffenen und der Bürgerschaft erarbeiteten Variante. Damit wäre der Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro für das nach Bahn-Sprech am besten geplante Projekt aller Zeiten endgültig gerissen.
Ähnlich wie bei den Mehrkosten für Änderungen, die sich aus der Schlichtung ergaben, beharrt die Bahn AG auf neue Finanzierungsvereinbarungen, denn die Änderungen seien nicht Bestandteil der ursprünglichen Verträge. Stadt und Land hingegen lehnen weitere Kostenbeteiligungen strikt ab.
Eklatante Brandschutzmängel
Das Projekt weiter verteuern dürfte auch ein notwendiger verbesserter Brandschutz. Vor zwei Wochen war ein im Auftrag der Bahn erstelltes Gutachten bekannt geworden, das dem Brandschutzkonzept eklatante Mängel bescheinigt. So würde die Evakuierung des Tiefbahnhofs im Katastrophenfall viel zu lange dauern, zudem seien die Fluchtwege zu lang und zu schmal.
Auch an diesem Punkt lehnen die grün-rote Landesregierung sowie der neu gewählte OB die Beteiligung an Mehrkosten ab. „Es gibt keinen Rechtsanspruch der Bahn auf weitere Geschenke“, sagte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) am Montag. „Es ist unwahrscheinlich, dass Stadt, Land und die Flughafengesellschaft über ihre finanziellen Zusagen hinaus noch was drauflegen.“
Damit rückt die sogenannte Sprechklausel in den Fokus, die in den Finanzierungsverträgen vereinbart worden war. Demnach würden die Projektpartner neu verhandeln, wenn der Kostendeckel gesprengt werden sollte. Doch immer wieder wird darüber gestritten, wie die Klausel genau auszulegen ist. Womöglich kommt es deshalb zu einer gerichtlichen Klärung. „Die Sprechklausel wird im Lauf des kommenden Jahres geprüft werden“, sagte Bahn-Vorstand Volker Kefer.
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