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Thunberg als GastchefredakteurinWirkt der „Greta“-Effekt?

Greta Thunberg war für einen Tag Chefredakteurin bei Schwedens größter Tageszeitung. Für die einen ist das PR, für andere ein Hoffnungsschimmer.

Die Klimaaktivistin selbst kommt zwei mal in der Ausgabe vor: im Editorial und als Interviewerin Foto: Virginia Mayo/Ap/dpa

Stockholm taz | Dagens Nyheter (DN) hatte es spannend gemacht. Nachdem Schwedens auflagenstärksten Tageszeitung vor einigen Wochen mitgeteilt hatte, Klimaaktivistin Greta Thunberg werde das Blatt für einen Tag als „Chefredakteurin“ übernehmen, war nicht viel mehr zu erfahren gewesen, als dass sie mit einem Redaktionsteam eine spezielle Klimaausgabe vorbereite.

Mit der Ausgabe vom 6. Dezember war es so weit. 58 der 96 Seiten der Sonntagszeitung drehen sich um das Klima. Kleine Auswahl: Eine Reportage aus einem russischen Ort auf der Halbinsel Kola, wo es in diesem Jahr so warm war wie noch nie; welchen Zusammenhang es zwischen der Abholzung des Regenwalds und der Entstehung neuer Pandemien gibt, was das Pariser Klimaabkommen macht und welche Folgen die Klimakatastrophe für die Urbevölkerung der Samen hat. Umfangreiche Statistiken, Fotostrecken, ein Essay von Margaret Atwood. Was man vermissen konnte, sind Lösungsvorschläge.

Thunberg, im Impressum als „Gastchefredakteurin“ genannt, taucht nur an zwei Stellen selbst auf. Im Gespräch mit Naturforscher David Attenborough und im Editorial. In dem wiederholt sie ihre Botschaft, dass Veränderung heute und nicht erst 2025 oder 2030 beginnen müsse: „Die Verantwortung für Schwedens größte Tageszeitung einer minderjährigen Laiin und Aktivistin zu überlassen, ist völlig unverständlich. Es ist verrückt. Wenn der Grund dafür nicht die absurde Tatsache wäre, dass wir uns in einer existenziellen Krise befinden, die von unserer Gesellschaft noch immer ignoriert wird.“

Dass es zwar womöglich eine gelungene PR-Aktion, aber für einen seriösen Journalismus unverantwortlich sei, Greta Thunberg die Chefredaktion einer Zeitung zu überlassen, meinten vorab viele schwedische Medien.

Ein großes Versprechen

In Expressen wurde vor einer „Havarie sondergleichen“ und einer Verwischung „zwischen Journalismus und Fake News“ gewarnt. Anna Careborg, Chefredakteurin des konservativen Svenska Dagbladet, bezeichnete es als „völlig undenkbar“ für ihre Zeitung, „Thunberg oder einem anderen Aktivisten“ die Entscheidung über den Inhalt des Blattes zu überlassen. Denn „um das Vertrauen in den Journalismus aufrechtzuerhalten“, sei „Integrität von ausschlaggebender Bedeutung“. Was DN mache, sei eine „Niederlage für den Nachrichtenjournalismus“.

Wobei sich allerdings die Frage stellt, wie relevant solche Kritik bei einer Zeitung ist, die bislang dem Kleinreden der Klimakrise gern breiten Raum einräumte. So wunderte sich Johan Rockström, nun Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung vor einigen Jahren schon, „ob Svenska Dagbladet die Inhalte in irgendeiner Form journalistisch überprüft, bevor sie solche Texte veröffentlichen“. Viel von der Kritik, die unter dem Deckmantel der Verteidigung journalistischer Unabhängigkeit daherkomme, gelte eher der Klimabotschaft selbst, vermutet deshalb sicher nicht zu Unrecht die grüne ETC.

Die Einladung für ihr Gastspiel als „Chefredakteurin“ war ergangen, nachdem sie bei einem Redaktionsbesuch im September eine Gardinenpredigt gehalten hatte: „Ihr sagt, ihr berichtet über die Klimakrise, aber das tut ihr nicht. Ihr berichtet über Klimaaktivisten mit Zöpfen und gelber Regenjacke, die ein paar unbequeme Sachen sagen, die Zitate bringen, die sich gut klicken. Aber das hat nichts mit der Klimakrise zu tun.“

Chefredakteur Peter Wolodarski hat versprochen, dass sich das ändern soll. Nicht nur mit der Klima-Themenausgabe. DN wolle die Klimaberichterstattung insgesamt ausbauen. Werde diese Zusage nicht gehalten, bleibe es wirklich bei einem bloßen PR-Coup meint ETC und empfiehlt vielen KritikerInnen, ihre eigene Glaubwürdigkeit beim Thema Klima zu überprüfen.

Wird es einen „Greta-Effekt“ geben? Svenska Dagbladet sah sich jedenfalls veranlasst, der DN das Feld nicht kampflos zu überlassen, und hatte in seiner Samstagausgabe drei Seiten für ein Thunberg-Interview freigeräumt.

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8 Kommentare

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  • "Ihr sagt, ihr berichtet über die Klimakrise, aber das tut ihr nicht. Ihr berichtet über Klimaaktivisten mit Zöpfen und gelber Regenjacke, die ein paar unbequeme Sachen sagen, die Zitate bringen, die sich gut klicken. Aber das hat nichts mit der Klimakrise zu tun.“



    Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen.

    • @Running Man:

      Ja, ich weiß auch nicht, was manche Zeitgenossen (so gut wie immer Cismänner, daher kein-*innen) treibt, Frau Thunberg als "geisteskrank" oder so zu verleumden. Ich finde sie ziemlich gesund, und ihr pointierter, cleverer Humor ist einer der wenigen Lichtblicke bei diesem sehr traurigen Thema.



      Großartig auch, wie sie im Frühling norwegische Wissenschaftler interviewen wollte, aber nicht einreisen durfte wegen Corona, und sie sich dann an der Grenze zum, Interview trafen und zur Begrüßung exakt auf der Grenzlinie mit den Schuhsohlen abklatschten. Da muss man auch erst mal drauf kommen :D

      • @Ajuga:

        Ich bin auch ein Cis-Mann, sogar ein "alter Weißer" und halte Frau Thunberg keineswegs für verrückt (das müsste jetzt ein Lichtblick für Sie sein). Im Gegenteil, Frau Thunberg weiß, dass sie nur als PR "Cover Girl" zu Wort kommt. Und sie nutzt diesen Status, um genau dieses Phänomen anzuprangern und eine inhaltliche Diskussion einzufordern. Wir könnten ihr helfen, indem wir alle von dieser Held*innen Verehrung wegkommen.

  • taz: „Die Verantwortung für Schwedens größte Tageszeitung einer minderjährigen Laiin und Aktivistin zu überlassen, ist völlig unverständlich. Es ist verrückt. Wenn der Grund dafür nicht die absurde Tatsache wäre, dass wir uns in einer existenziellen Krise befinden, die von unserer Gesellschaft noch immer ignoriert wird.“

    Was hätte denn eine "journalistische Laiin" wie Greta Thunberg in Schwedens größter Tageszeitung falsch machen können? Die Politiker dieser Welt verbeugen sich doch immer noch vor dem klimaschädlichen Wirtschaftswachstum und wollen nicht einmal darüber nachdenken, dass es mit den steigenden CO2-Emissionen (momentan 418 ppm) so nicht weitergehen kann. Eine schwedische Schülerin hat das erkannt und die jungen Menschen aus der FFF-Bewegung auch; aber Politiker, Wirtschaftsmanager und die Bürger anscheinend immer noch nicht. "Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen“, ließ zum Beispiel Christian Lindner (FDP)über die FFF-Bewegung verlautbaren.

    Die "jugendliche Klimaaktivisten mit Zöpfen und gelber Regenjacke" (Greta Thunberg) fand 2019 vor dem UN-Klimagipfel für solche Politiker wie Christian Lindner aber schon die richtigen Worte: „Wir stehen am Anfang eines Massenaussterbens. Und alles, worüber Ihr reden könnt, ist Geld und das Märchen von einem ewigen Wirtschaftswachstum – wie könnt Ihr es wagen?“

    Greta Thunberg hat nur die Aufgabe, der Jugend und auch uns Erwachsenen die Augen zu öffnen, aber die Lösungen, wie wir wieder aus dem Klimawandel herauskommen, können wir weder einer Greta Thunberg noch Tausenden von anderen jungen Menschen aus der FFF-Bewegung aufbürden. Weltweit haben sich viele Wissenschaftler (in Deutschland ca. 26.8000 Wissenschaftler) mit der FFF-Bewegung solidarisiert - und jetzt sind die mal am Zug.

  • 9G
    91491 (Profil gelöscht)

    "Die Verantwortung für Schwedens größte Tageszeitung einer minderjährigen Laiin und Aktivistin zu überlassen, ist völlig unverständlich. Es ist verrückt."



    Sicherlich weniger verrückt, als die Verantwortung für eine Ausgabe, Frederik von Anhalt zu überlassen.



    Nicht waa Taz?

  • "Die Verantwortung für Schwedens größte Tageszeitung einer minderjährigen Laiin und Aktivistin zu überlassen, ist völlig unverständlich. Es ist verrückt" So und was ist denn unverständlicher als die Welt den Wahnsinnigen zu überlassen, die sie Ihrer Gier wegen im Eiltempo zerstören? Eine Tageszeitung, die das Thema Klima so aufnimmt, macht einen guten Schritt. Auch wenn Gretas Einsatz PR-lastig ist, gibt es daran nichts zu kritisieren. Ich wundere mich immer noch, warum so viele sich dem Thema widersetzen. Zufällig alles SUV-Fahrer?

  • Schon interessant, wenn unseriöse Aktivisten des neoliberal-pseudokonservativen Raubrittertums, die mit ihren Milliarden Medienoligopole zusammengerafft haben für ihre tendentiöse einseitige Scheinberichterstattung, Vertretern anderer, sogar durch Fakten wissenschaftlich belegte Meinungen nun als Aktivisten und damit als 'Laien' und 'unseriös' versuchen zu labeln.



    Wer glaubt, Journalismus sei neutral, der glaubt sicher auch, wir lebten jetzt im Paradies.



    Tatsache ist jedenfalls: Die Bewertung von Tatsachen unterliegt immer der politischen Grundauffassung des jeweiligen Eigentümers einer Zeitung. Das zeichnet die Medienvielfalt aus.

    Hier nun jetzt einen Schaden für 'seriösen' Journalismus sehen zu wollen, nur weil mal ein Tag lang in einer Sonderausgabe anderen Meinungen Raum geboten wird, ist gänzlich abwegig und disqualifiziert nur diejenigen, die so einen Vorwurf erheben.

  • Ein dickes Kompliment an den Dagens Nyheter für soviel journalistischen Mut, und ein großes Kompliment an Greta für ihren Einsatz für das Projekt, neben ihren zahlreichen anderen Verpflichtungen.