Thüringer Polizei behindert Journalisten: Presse in Gefahr
Das Thüringer Innenministerium verteidigt das Vorgehen der Polizei gegen Journalisten am Rande einer Neonaziveranstaltung. Katastrophal!
In Zeiten, in denen Politiker mutmaßlich von Rechtsextremen abgeknallt werden und andere auf Feindeslisten stehen, lautet die existenzielle Frage für die Freiheit der Presse: Wie frei kann man über gewaltbereite Neonazis berichten? Das Thüringer Innenministerium hat sich erstmals zu Maßnahmen der Polizei gegen Journalisten am Rande einer Neonaziveranstaltung im November letzten Jahres geäußert. Die Verlautbarungen zeigen, dass die Antwort auf diese Frage schnell sehr düster ausfallen kann.
Rückblende: Am Abend des 8. November 2018 – wenige Stunden vorm Jahrestag des gescheiterten Putschversuchs 1923 und der Pogromnacht 1938 – versammelten sich rund 100 Neonazis in Fretterode, einem winzigen Dorf im Thüringer Eichsfeld. Auf dem Grundstück des ranghohen NPD-Funktionärs Thorsten Heise trat der ehemalige SS-Mann Karl M., ein verurteilter Kriegsverbrecher, als Redner auf. Für zwei Fotografen und ein NDR-Kamerateam Grund genug, an diesem Abend in Fretterode dabei zu sein.
Wie das NDR-Magazin „Zapp“ schon damals berichtete, ließ die Polizei die Rechtsextremen gewähren, als diese die Arbeit der Journalisten behinderten, etwa indem sie in die Kameras griffen. Stattdessen forderte eine Polizeibeamtin die Journalisten auf, das Fotografieren einzustellen: „Es gab bei uns Beschwerden, dass sie Personen fotografiert haben. Man möchte das nicht, und damit haben sie das zu unterlassen.“ Zudem drohte ein Polizist an, die Fotos der Journalisten zu löschen.
Der schwerste Angriff auf die Arbeit der Journalisten war jedoch eine weitere Drohung: Die Beamten sagten, sie würden die Privatadressen der Journalisten an die gewaltbereiten Neonazis weitergeben. Das Innenministerium in Erfurt teilt nun in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Katharina König-Preuss (Die Linke) mit: „Eine nachfolgende Weitergabe der Personalien wäre nach Gesetz nur bei berechtigten Ansprüchen erfolgt.“
Private daten bei Neonazis: Risiko sei „spekulativ“
Im Gegensatz dazu klang die Drohung bereits wie beschlossene Sache. Auf NDR-Aufzeichnungen ist zu sehen, wie eine Polizistin sagt: Ein Neonazi, der sich über die Fotografen beschwert habe, „bekommt nun von Ihnen, zum Schutz privater Rechte, ihre Daten“. Erst durch die Intervention des Anwalts der Fotografen wurde das Herausrücken der Daten gestoppt.
Im von Georg Maier (SPD) geführten Innenministerium scheint man nicht zu verstehen, wie ungeheuerlich der Vorgang ist. „Eine Aussage, inwieweit eine Weitergabe von Daten im Sinne der Frage ein potenzielles Risiko darstellt, ist spekulativ“, heißt es nun in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage.
Einer der Fotografen, der im November in Fretterode dabei war, wurde bereits im April 2018 ebendort von zwei Neonazis angegriffen. Die mutmaßlichen Täter waren damals ebenfalls zu Besuch bei Thorsten Heise. Während ihrer Attacke mit einem großen Schraubenschlüssel und einem Messer fügten sie dem Fotografen einen Schädelbruch und Stichverletzungen zu. Mindestens einer von ihnen war auch auf der Veranstaltung mit dem SS-Mann im November.
Was könnte wohl passieren, wenn Neonazis aus dem Umfeld von Thorsten Heise an die Privatadresse des Fotografen kämen? Es ist verständlich, dass man im Thüringer Innenministerium nicht darüber spekulieren will. Die Vorstellung ist zu hässlich.
Eine Katastrophe für die Demokratie
Trotzdem gibt es aus dem Thüringer Innenministerium keine Anzeichen, dass es als Problem gesehen würde, wenn Polizisten Journalisten androhen, ihre Adressen an womöglich gewaltbereite Neonazis weiterzugeben, die sich treffen, um einen SS-Mann als Zeitzeugen zu feiern. Eigentlich müsste das Innenministerium als Aufsichtsbehörde der Polizei nun überlegen, wie man die Aus- und Weiterbildung der Beamten in Sachen Presserecht verbessert.
Dass sich der Innenminister, der die Antworten persönlich unterzeichnet hat, stattdessen vor die Einsatzkräfte stellt, ist eine Katastrophe. Man muss es so deutlich sagen: eine Katastrophe. Ohne eine freie Berichterstattung über gewaltbereite Neonazis gibt es keine Pressefreiheit.
In Fretterode stand also nichts weniger als die Demokratie auf dem Spiel. Katharina König-Preuss hat das Thema ins Innenministerium in Erfurt getragen. Und verloren. Schlimmer wird es noch, wenn man sich nun Folgendes vor Augen führt: Wenn Polizisten schon unter einer rot-rot-grünen Regierung solche Drohungen im Rahmen ihres Dienstes aussprechen können und dafür vom Ministerium in Schutz genommen werden, was soll dann erst nach der Wahl in Thüringen passieren, bei der die Höcke-AfD stärkste Kraft werden könnte? Rosige Aussichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“