Thüringer Grünen-Abgeordnete mit Baby: Kinder im Parlament nicht erwünscht
Eine Thüringer Grünen-Abgeordnete wird des Plenarsaals verwiesen, weil sie ihr Baby dabei hat. Nun prüft ihre Fraktion, ob das verfassungswidrig ist.
Carius verwies Henfling am Mittwoch des Saals: Kleinkinder hätten hier „nichts zu suchen“, sagte er. Die Geschäftsordnung sehe Mütter mit Kindern im Parlament nicht vor. Schon des Kinderschutzes wegen würde er Abgeordneten empfehlen, sich um eine Kinderbetreuung zu kümmern.
Grüne und Linke im rot-rot-grün regierten Thüringen protestierten, die Landtagssitzung musste unterbrochen werden. Doch nach etwa einer halben Stunde bestätigte der Ältestenrat die Entscheidung des Präsidenten – denn der, so die Geschäftsordnung, entscheidet letztlich, wer den Raum betreten darf. Nun prüft die Fraktion der Grünen, inwieweit Carius’ Entscheidung verfassungswidrig ist, weil er Henfling damit in ihrem Mandat einschränkt. Und die Koalitionsfraktionen diskutieren darüber, die Geschäftsordnung zu ändern.
„Dass Carius mit Kindeswohlgefährdung argumentiert, trifft mich persönlich schon etwas“, sagte Henfling der taz. Sie sitze nun in ihrem Büro im Landtag und verfolge die Sitzungen online. Bei ihr ist ihre Mutter – damit, wenn Abstimmungen anstehen, Henfling schnell rausrennen und ihre Stimme abgeben kann. Rot-Rot-Grün regiert in Thüringen mit nur einer Stimme Mehrheit.
Rechtssicherheit gibt es nicht
Tatsächlich sind Babys in der Politik nicht vorgesehen: Elternzeit für Abgeordnete gibt es weder in Landtagen noch im Bundestag. In vielen Bundesländern war es in der Vergangenheit allerdings kein Problem, Babys bei Abstimmungen dabei zu haben. Auch im Bundestag gebe es zwar keine offizielle Regelung, aber ein „Agreement“, dass das in Ordnung sei, sagte Henfling. Die Sitzungen seien schließlich Pflicht. Und auch wenn sie mit Hilfe ihrer Mutter abstimmen könne – in die Debatten im Landtag könne sie sich so natürlich nicht einbringen.
Landtagspräsident Carius sieht darin kein Problem. Abgeordnete könnten „völlig frei mit ihrer Zeit umgehen“, sagte er der taz. „Sie haben keinen Arbeitgeber oder Vorgesetzten. Sie können daher auch frei entscheiden, ob sie an einer Sitzung teilnehmen oder nicht.“ Weder könne er erkennen, dass durch solche Ausschlüsse vor allem junge Mütter benachteiligt würden, noch dass dadurch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwert würde.
Babys ins Parlament!
Wenn eine Abgeordnete trotzdem an den Sitzungen teilnehmen wolle, könne sich währenddessen „eine Mitarbeiterin“ um das Kind kümmern. Alternativ könnten ein Kollege oder eine Kollegin einer anderen Fraktion ebenfalls nicht abstimmen, um die Mehrheitsverhältnisse zu wahren. Das sei üblich.
Rechtssicherheit allerdings gibt es damit nicht: „Dann bin ich auf den guten Willen der anderen angewiesen und gefährde im Ernstfall die Koalitionsmehrheit“, sagte Henfling. „Und wer weiß, wie lange die anderen das mitmachen? So lange, bis ich nicht mehr stille?“, fragte sie.
Selbst Exfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) wandte sich gegen die Entscheidung ihres Parteifreunds: „In der Geschäftsordnung geht es immer nur darum, eine Störung des Parlamentsbetriebs zu vermeiden“, twitterte sie. „Und den stört kein schlafender Säugling.“
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