Thüringen ein Jahr vor der Landtagswahl: Es geht um die Wurst
In Thüringen wurde das Deutsche Bratwurstmuseum wiedereröffnet. Die AfD war nicht da, die taz schon.
T homas Mäuer zieht die Augen zusammen. „Uh“, sagt er, als hätte ihn ein Schmerz durchfahren. Dabei war die Frage nur, wie viele Bratwürste er heute schon gegessen hat. „Zwei“, antwortet er mit gepresster Stimme. Sind das zu viele oder zu wenige? „Zu viele!“ Nicht gut für den Körper, leider. Und der Genuss leide ja auch, wenn man zu viele Würste esse.
Mäuer, groß, breit, Bratwurstbasecap, weiß, wovon er spricht. Er ist der Chef des ersten deutschen Bratwurstmuseums. Er hat es gegründet, kuratiert und gerade neu eröffnet, in Mühlhausen in Nordthüringen. Auf vier Hektar entsteht hier nicht nur ein Museum, sondern ein Bratwursterlebnispark mit einer begehbaren Bratwurst, Bratwurstminigolfanlage, Bratwurst-Segway-Parcours, Bratwursttheater, Streichelzoo, Spielplätzen, Gewürzgarten.
Das Museum gibt es seit 2006. Damals gründete Thomas Mäuer den Verein Freunde der Bratwurst und eröffnete in Holzhausen, mitten in Thüringen, das Museum. Über die Jahre sei es zu klein geworden, erzählt Mäuer. 70.000 Gäste seien zuletzt im Jahr gekommen, die Parkplätze hätten nicht gereicht. Deswegen musste ein neues Gelände her. Noch ist nicht alles fertig, aber heute wird eröffnet. Es ist Mittwoch, der 16. August, Internationaler Tag der Bratwurst.
Die Bratwurst gehört zu Thüringen wie die Lederhose zu Bayern. 15 Zentimeter geschwungenes Schweinefleisch im Brötchen, aber sie ist mehr, ein Stück Identität. Wenn man wissen will, wo Thüringen gerade steht, ein Jahr vor den Landtagswahlen, dann ist man wohl hier und heute richtig.
„Wurst und Nazis“, schrieb die Zeit
Denn auch politisch geht es in Thüringen um die Wurst. Es geht darum, ob die demokratischen Parteien es schaffen werden, eine Regierung gegen die AfD zu bilden. Momentan weiß niemand, wie die aussehen soll. Nach aktuellen Umfragen reicht es weder für Rot-Rot-Grün noch für eine Ampelkoalition, noch für Jamaika. Die AfD hingegen steht in den Umfragen stabil bei mehr als 30 Prozent Zustimmung. Sie könnte zum ersten Mal eine Landtagswahl gewinnen, Björn Höcke spricht schon davon, Ministerpräsident werden zu wollen.
Und dann?
Der Himmel ist grau, als am Mittwochmorgen das Museum eröffnet wird. Es sind eher ältere Bratwurstfans, die auf die Eröffnung warten. Kurze Hosen, karierte Hemden, bequeme Turnschuhe. Ein Countdown zählt von zehn bis null, Schuss aus der Bratwurstkanone, Applaus, Blaskapelle, die Bratwurstprominenz zieht ein: das Maskottchen Wurschti, der Thüringer Bratwurstkönig, die Nürnberger Wurstkönigin.
Die angereiste Politprominenz spricht Grußworte auf der Bühne. Wobei die ganz großen Namen fehlen. Der Ministerpräsident Bodo Ramelow lässt sich entschuldigen. Die Ministerin für Landwirtschaft verbringt den Tag auf der Ökolandfahrt in Gera, Kontrastprogramm. Dafür ist ihr Staatssekretär da und der Bürgermeister von Mühlhausen, Johannes Bruns von der SPD. Bruns, gebürtiger Westfale, sei stolz auf das Museum, erzählt er später abseits der Bühne. Nicht nur, weil es ein touristisches Highlight für seine Stadt sei. Sondern auch, weil es etwas angestoßen habe.
Ursprünglich sollte das Museum auf einem Grundstück nebenan entstehen. Der Stadtrat stimmte zu, ein Investor versprach Geld für den Neubau, der Bratwurstverein war glücklich. Doch dann deckten Journalisten auf: Auf dem Gelände befand sich zur NS-Zeit ein Außenlager des KZs Buchenwald. Rund 700 jüdische Frauen aus Ungarn und Polen wurden dort, im Lager Martha II, gefangen gehalten.
„Wurst und Nazis“, schrieb die Zeit, selbst die New York Times berichtete. Die jüdische Gemeinde protestierte, Politikerinnen schrieben einen Protestbrief.
Puhdys, Keimzeit, Bier
Das Bratwurstmuseum dort zu planen sei unsensibel gewesen, sagt Oberbürgermeister Johannes Bruns heute. Bruns und sein Stadtrat korrigierten die Entscheidung, sprachen dem Bratwurstmuseum das Nachbargrundstück zu und beauftragten einen Historiker, die Geschichte des Außenlagers aufzuarbeiten.
Ende Juli stellte der seine Ergebnisse vor. Mühlhausen, die hübsche Fachwerkstadt, hat jetzt ein Kapitel mehr in ihrer Chronik. Ein dunkles zwar, aber Johannes Bruns ist froh, dass es aufgearbeitet ist. „Wir konnten jedem Häftling seinen Namen zurückgeben“, sagt Bruns.
Über dem Museumsgelände hängt eine dicke Wolke Bratwurstdampf. Auf der Bühne spielt ein Musiker am Keyboard deutsche Hits: Puhdys, Keimzeit, Andreas Gabalier. An den Buden bilden sich Schlangen, es gibt Bier aus Plastikbechern und Wurst im Brot.
Wie schmeckt sie denn nun, die Mühlhäuser Wurst?
Stichprobe bei zwei Frauen im Rentenalter. „Lecker“, sagt eine. „Schön saftig“, die andere. Das Museum finden sie toll, so viel Witz dabei und die Toiletten so sauber. Und was denken sie, geht es nächstes Jahr hier auch politisch um die Wurst? „Natürlich“, schmettert eine mit aufgerissenen Augen, „gerade für uns Rentner.“ Karin Klein heißt sie, 68 Jahre alt, wohnt in einer Seniorenresidenz. Drei Kinder, sechs Enkel, der Mann verstorben. „Die AfD darf auf keinen Fall an die Macht kommen. Was dieser Höcke von sich gibt, ist unerträglich.“
Zwischen zwei Brandmauern gezwängt
Am Nachbartisch sitzt ein älteres Paar. Er kaut noch an seiner Wurst, vor ihm steht ein Thermosbecher mit Kaffee, von zu Hause mitgebracht. Und, schmeckt die Wurst? „Hervorragend“, sagt er und beißt noch mal ab. Er sei selbst Hausschlachter, das habe er von seinem Opa gelernt. Sechs Duroc-Schweine halte er zu Hause. Das Fleisch verkaufe er über einen Hofladen.
Und was hält er von der politischen Lage in Thüringen? „Da kann ich mir nur noch an den Kopf fassen.“ Früher, da habe es noch echte Politiker gegeben, den Brandt oder den Schmidt. Aber heute? „Die kannste alle in einen Sack stecken.“ Seinen Namen will er nicht sagen. Nur so viel: Er komme aus einem kleinen Ort im Landkreis Sonneberg, da, wo gerade zum ersten Mal ein AfD-Landrat gewählt wurde. „Ich kenne Robert Sesselmann persönlich. Der ist ein Anwalt par excellence, ein Mensch durch und durch. Er wird ein guter Landrat sein.“ Warum, was wird er besser machen? „Mit den Flüchtlingen zum Beispiel. Es kommen zu viele, wir schaffen das nicht.“ Und dann sagt er Dinge über Geflüchtete, die so menschenverachtend sind, dass sie hier nicht zitiert werden sollen. Er will eine Regierung, die „endlich anpackt“ und nicht die ganze Zeit nur rede. Das traut er nur einer Partei zu: der AfD.
Es stimmt ja, in der Thüringer Landesregierung ist in den vergangenen drei Jahren viel geredet worden. Musste auch, weil es keine stabile Mehrheit gab nach der letzten Landtagswahl 2019. Der Linke Bodo Ramelow führt eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung an, die sich für jedes Vorhaben neue Mehrheiten suchen muss. Das funktioniert mal besser, mal schlechter, aber einig sind sich die meisten in der Regierung, dass so eine Regierung nicht noch einmal kommen soll. Nur, was dann?
Eine regierungsfähige Mehrheit der demokratischen Parteien zeichnet sich nicht ab. In den letzten Umfragen liegen CDU und Linke jeweils bei rund 20 Prozent, die SPD bei 10, FDP und Grüne müssen fürchten, aus dem Landtag zu fliegen.
CDU und Linke tragen derweil innere Kämpfe aus. Die Thüringer CDU hat sich durch den Beschluss der Bundespartei, weder mit der AfD noch mit der Linken zu koalieren, zwischen zwei Brandmauern gezwängt. Ob die nächstes Jahr noch zu halten sind, wird im Landesverband kontrovers diskutiert. Und in der Thüringer Linken beobachten sie mit Sorge, was Sahra Wagenknecht macht. Gründet die gebürtige Thüringerin ihre Partei, könnte das die Linke hier viele Stimmen kosten.
Klingt nicht nach guten Aussichten.
„Jetzt ist die Zeit der Demokraten“, sagt deswegen Johannes Bruns, der Oberbürgermeister von Mühlhausen, auf einer Bierbank neben dem Bratwurstmuseum. Im Gegensatz zur Landes-SPD hat Bruns großen Rückhalt. Knapp 63 Prozent bekam er bei der letzten Wahl, seit 2012 ist er im Amt. Er hat in dieser Zeit mit seiner Verwaltung Schulden abgebaut, das Naherholungsgebiet ausgebaut, eine große Solarthermieanlage in die Region geholt, in wenigen Jahren soll ein autonomer Shuttle durch die Stadt fahren. Wenig Grund für Frust, eigentlich.
Die AfD ist kaum präsent
Auf der politischen Landkarte nach der letzten Bundestagswahl stach Mühlhausen dann auch als rote Insel hervor, umzingelt von Blau und Schwarz. Das Direktmandat für die Region ging aber trotzdem an einen Mann von der AfD, Klaus Stöber. Der bestritt seinen Wahlkampf mit Björn Höcke und sitzt jetzt für Mühlhausen im Bundestag.
Auch im Stadtrat sitzen vier Vertreter der AfD. Die seien unauffällig, sagt Johannes Bruns. „Ich arbeite nicht mit ihnen zusammen. Nicht bei Anträgen, nicht bei Abstimmungen.“ Das solle auch so bleiben.
Bruns Antwort auf die starke AfD ist: „Da sein, zuhören, reden.“ Im Bratwurstmuseum wird er immer wieder angesprochen, „hallo, Herr Bürgermeister“. Der AfD-Abgeordnete aus dem Bundestag ist nicht da, auch andere AfDler treten hier nicht in Erscheinung. Dabei könnte man meinen, so ein Volksfest mit Bratwurst sei wie gemacht für die Partei. Bruns sagt, auch in den Mühlhäuser Vereinen und Verbänden sei die AfD kaum präsent.
Vor dem Schweinestall neben dem Museum steht ein Mann mit goldener Krone, in blauem Umhang und weißer Schärpe. „Thüringer Bratwurstkönig“, steht darauf. Norbert Abt – Norbert I. – hat mit seinem Verein, den Suhler Grillzwergen, einen Bratwurstwettbewerb gewonnen. Nun reist er als Botschafter der Bratwurst durch Deutschland. Er esse täglich eine Bratwurst, erzählt er, und hier im Museum sei die Wurst schon besonders gut. „Sie hinterlässt im Nachgang eine gewisse Endschärfe“.
Und wie blickt er auf die politische Lage im Land der Bratwurst? Er überlegt. Er sei Bratwurstkönig, kein Politiker. Deswegen könne er nur für die Kulinarik sprechen. Genuss brauche Vielfalt, sagt er. Das Schönste sei doch, wenn alle am Holzkohlefeuer zusammenkämen. Der eine mit seiner Bratwurst, der andere mit anderem Essen. Genuss verbinde. Wie schlimm wäre es, wenn diese Vielfalt verloren ginge?
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