Thorsten Lüthke über „Liquid Feedback“: "Warum probieren wir das nicht mal?"
Die Mitte-SPD will BürgerInnen per „Liquid Feedback“ einbinden. Bezirksverordneter Thorsten Lüthke erklärt, warum er keine Angst vor Lobbyisten hat.
taz: Herr Lüthke, Ihre SPD will in Mitte „Liquid Feedback“ einführen. Warum sollte das klappen? Selbst die Original-Verwender, die Piraten, nutzen die Plattform nur mäßig.
Thorsten Lüthke: Ich war Mitglied in der Stadtteilvertretung Turmstraße. Da debattierten wir, was mit welchem Baum passiert, wo der Fahrradweg hinkommt, wie das Umfeld der Arminius-Markthalle gestaltet wird – mit 100 Leuten. Da fragt man sich doch: Wie können wir mehr Menschen einbeziehen? Wenn wir 200 Bürger mehr dazu bringen, im Internet Stellung zu nehmen oder neue Ideen zu äußern, wäre das doch schon ein Gewinn.
Worüber soll denn online abgestimmt werden dürfen?
Das Pilotprojekt beschränkt sich auf ein Sanierungsgebiet, das Aktive Zentrum Turmstraße, wo Maßnahmen durchgeführt werden. Da geht es um konkrete Fragen: An welcher Ecke biegt die Straßenbahn ab? Wie verbessern wir den Zustand der Turmstraße? Wir werden weiter Pläne aushängen und Bürgerwerkstätten machen, könnten das aber mit Liquid Feedback ergänzen.
Können die Anwohner auch selbst Ideen vorschlagen?
Natürlich. Einen Rahmen vorzugeben wäre unattraktiv. Jede Initiative muss aber, wie bei den Piraten, eine Teilnehmergrenze überschreiten, um zur Abstimmung zu kommen.
Und wie verbindlich ist die?
THORSTEN LÜTHKE, 45, SPD, Politikberater, seit einem Jahr in der BVV Mitte, Initiator des SPD-Antrags für Liquid Feedback in Mitte.
So verbindlich wie der gesamte Prozess der Bürgerbeteiligung, den wir derzeit haben.
Also entscheidet am Ende doch das Bezirksamt?
Nein. Wir haben im Sanierungsgebiet jährlich rund 4 Millionen Euro Programmmittel. Vieles davon ist gebunden. Da heißt es: An dieser Straßenecke soll etwas passieren. Aber was genau, das könnte die erweiterte Bürgerbeteiligung bestimmen.
Und wenn die Bürger abstimmen: Baut uns eine Bibliothek?
Wir werden Schwierigkeiten haben, etwas zu schaffen, was dem Bezirk dauerhaft neue Kosten aufbürdet. Aber die Frage, wo die Bibliothek stehen und wann sie öffnen soll, kann relevant sein.
Haben Sie keine Angst, dass Lobbygruppen mit dem Portal ihre Interessen durchsetzen?
Und? Dann ist das eben so. Wenn sich eine Gruppe mit Gitarre vor die BVV setzt, reagieren wir ja auch darauf. Wenn die Gruppe statt einer Gitarre einen Laptop hat, was ist daran schlimmer? Das ist doch so in der Demokratie: Wer sich artikuliert, wird gehört. Wir wollen die Zahl derer, die sich artikulieren, erhöhen.
Und was machen Sie mit den Alten, mit Bürgern ohne Internet?
Das Internet wird nicht das Allheilmittel sein. Da müssen wir uns immer wieder neue Sachen überlegen, wie wir mehr Leute mitnehmen. Aber nur weil Oma Krause immer noch nicht abstimmt, was sie vorher auch nicht gemacht hat, müssen wir die Idee nicht gleich verteufeln. Wir brauchen auch einfach mal Mut, etwas auszuprobieren.
Und am Ende erweitert man das auf den ganzen Bezirk?
Ich glaube, Beteiligung hängt davon ab, ob ich etwas ganz konkret mitgestalten kann. Die Bezirke haben wichtige Aufgaben, aber ihre Arbeit ist häufig viel zu abstrakt. Wenn das Ganze klappt, wäre ich dafür, eine Form von Liquid Feedback einzuführen, die parallel zum Parlament Initiativen berät, wie Ausschusssitzungen. Aber erst mal sollten wir gucken, was passiert.
Wollen Sie auch ein bisschen die Piraten ärgern, indem Sie ihnen deren Idee stibitzen?
Im Gegenteil. Wir als SPD sind eine supertolle Volkspartei, die aber einzelne Bevölkerungsgruppen derzeit nicht abbildet, ein Teil davon binden die Piraten. Es geht nicht um Klauen, sondern darum, zu verstehen, was hinter dem Phänomen steckt. Ich habe bei den Piraten viele spannende Dinge entdeckt, wo ich mich frage: Warum probieren wir das nicht mal für die gesamte Gesellschaft aus?
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