Thinktankchef zu Klimaschutzzielen: „Kohlekraftwerke müssen vom Netz“
Um die Ziele zu erreichen, muss der Staat schnell reagieren, sagt Patrick Graichen. Der Ausstieg aus der Kohlekraft kostet Milliarden.
taz: Darf der Staat Kohlekraftwerke stilllegen?
Patrick Graichen: Ja, es ist rechtlich zulässig, dass der Staat hier eingreift. Denn Treibhausgase aus Kohlekraftwerken, vor allem Braunkohlekraftwerken, heizen die Erdatmosphäre erheblich auf. Das steht dem Gemeinwohl entgegen. Es ist aber Aufgabe des Staates, dieses zu sichern.
Wie teuer wird das?
Kraftwerke können ohne Entschädigungen stillgelegt werden, wenn sie abgeschrieben sind und es eine angemessene Übergangsfrist gibt. Viele sind schon alt – 40 Jahre und mehr, sie haben sich längst amortisiert. Außerdem wird der größte Teil der Stilllegungen erst nach 2023 stattfinden und sich bis Mitte der 2030er Jahre hinziehen. Damit gibt es keinen Anspruch auf Entschädigung.
Reicht dieses Tempo, um die Klimaziele zu schaffen?
Nein, Deutschland hat schon 2007 versprochen, die klimaschädlichen Emissionen bis 2020 um 40 Prozent unter den Wert von 1990 drücken. Davon sind wir weit entfernt. Die jetzige Regierung hat im Koalitionsvertrag aber bekräftigt, dem Ziel so nahe wie möglich kommen zu wollen. Deshalb müssen einige Kohlekraftwerke auch kurzfristig vom Netz. Das ist allerdings nicht ohne Entschädigung möglich.
Um wie viel Geld geht es?
Da gibt es ein Vorbild: Die Bundesregierung schickt schon jetzt acht Braunkohle-Kraftwerksblöcke mit insgesamt 2,7 Gigawatt bis 2020 nach und nach in den bezahlten Stand-by-Modus. Vier Jahre lang stehen so etwa das Kohlekraftwerk Buschhaus bei Helmstedt oder Blöcke des Kraftwerks Frimmersdorf in Grevenbroich nur für den Notfall bereit, bevor sie dann ganz stillgelegt werden. Pro Gigawatt zahlen die deutschen Stromkunden dafür insgesamt rund 600 Millionen Euro. Auf der Stromrechnung macht sich das mit 0,2 Cent die Kilowattstunde aber kaum bemerkbar.
Wie viele Kraftwerke sollten noch bis 2020 vom Netz?
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bei den Sondierungen über eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen vorgeschlagen, die Kohlekraftwerksleistung von derzeit rund 45 Gigawatt um 7 Gigawatt zusätzlich zu vermindern. Darum muss es jetzt auch wieder gehen, das heißt um 15 sehr alte und ineffiziente Braunkohle-Kraftwerksblöcke. Dafür müsste der Staat dann rund 4,2 Milliarden Euro zahlen.
Was steht den Besitzern der Tagebaue in der Lausitz und dem Rheinischen Revier zu, die auch geschlossen würden?
Der Plan: Demnächst startet die Kommission für „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ mit ihrer Arbeit am „Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung“.
Der Grund: Die Bundesregierung verspricht, den Ausstoß klimaschädlicher Gase so zu reduzieren, dass die Erderwärmung in Grenzen bleibt. Dafür müssen vermutlich alle Kohlekraftwerke stillgelegt werden.
Die Folgen: Der Kohlebergbau spielt vor allem in der Lausitz, in Sachsen-Anhalt und im Rheinland eine Rolle. Tausende Jobs stehen auf dem Spiel.
Betroffen sind der Essener Energiekonzern RWE und die tschechische EPH-Gruppe, zu der die ostdeutschen Bergbauunternehmen Mibrag und Leag gehören. Mit diesen wird sich die Politik einigen müssen, wer für die sogenannten Ewigkeitskosten und die Renaturierung aufkommt. Es wird Jahrzehnte dauern, bis die Gruben gesichert und mit Wasser gefüllt sind. Das ist ähnlich der Entsorgung des Atommülls, auch wenn es dort um 40 Milliarden Euro geht und bei den Tagebauen eher um 4.
Wie geht es nun weiter?
Die Kommission, die die Bundesregierung zum Kohleausstieg einsetzt, wird jetzt Vorschläge machen. Am Ende gibt es hoffentlich eine Vereinbarung der Bundesregierung mit Unternehmen, Gewerkschaften und den Ländern, in denen noch Braunkohle abgebaut wird, und einen Strukturwandelplan für die betroffenen Regionen. Für den Erfolg der Kommission ist wichtig, dass sich alle Beteiligten gegenseitig vertrauen können. Während der Zeit ihrer Arbeit sollte keine Seite Fakten zum eigenen Vorteil schaffen.
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