piwik no script img

Theologe über Halal-Schlachtmethoden„Betäubung theologisch zulässig“

Fleisch muss halal sein, das gilt für alle Muslime. Die Regeln dafür legen sie allerdings unterschiedlich aus, erklärt der Theologe Serdar Kurnaz.

Keine einheitlichen Zertifikate: Wo „Helal“ draufsteht, ist in diesem Fall Halal drin Foto: dpa
Jana Hemmersmeier
Interview von Jana Hemmersmeier

taz: Herr Kurnaz, wann ist Fleisch laut Koran halal?

Serdar Kurnaz: Es geht vor allem um drei Bedingungen. Zum einen darf das Tier nicht schon verendet sein, bevor es geschlachtet wird. Zum zweiten soll das Tier nicht für eine andere Gottheit geopfert werden. Um das zu unterbinden, schlägt der Koran vor, bei der Schlachtung den Namen Gottes auszurufen. Es ist umstritten, ob das wirklich verpflichtend ist. Wichtig ist auch, dass das Tier komplett ausblutet. Der Schnitt wird so angesetzt, dass er die Speise- und Luftröhre und die Halsschlagader durchtrennt.

Muss der Schlachter selbst Muslim sein?

Es gibt einige Hardliner, die darauf bestehen. Da geht es aber um die muslimische Identität und nicht um theologisch begründete Annahmen. Nach dem Koran dürfen Muslime auch Fleisch verzehren, das Juden oder Christen geschlachtet haben.

Weil sie an denselben Gott glauben?

Genau, weil sei auch Monotheisten sind. Theologisch kann man aber auch argumentieren, dass es egal ist, wer das Fleisch zubereitet, solange es keiner anderen Gottheit geopfert wird. Demnach wäre Fleisch auch halal, wenn gar keine religiöse Handlung dahintersteckt, sondern kommerzielle Fleischproduktion, sofern das Tier bei der Schlachtung ausblutet.

Gilt das Tier noch als lebendig, wenn es vor dem Schlachten betäubt wird?

Es gab in den letzten Jahren immer wieder Diskussionen, ob Tiere bei der Betäubung schon sterben, mit dem Bolzenschlag oder einem Elektroschock. Das wäre für viele Muslime ein Problem, weil das Tier dann schon vor dem Schlachten verendet. Der Koran will aber einfach nur darauf aufmerksam machen, keine Tiere zu schlachten, die tot auf dem Feld liegen, um die Verbreitung von Krankheiten zu vermeiden. Einer Betäubung steht also eigentlich nichts im Wege. Es stehen aber nicht alle Muslime dahinter. Sie wollen eine Garantie, dass das Tier nicht vor dem Schlachten stirbt.

Bild: Universität Hamburg
Im Interview: Serdar Kurnaz

31, ist Juniorprofessor für Islamische Theologie an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg.

Sehen Aleviten die Regeln strenger als Sunniten oder Schiiten?

Es gibt verschiedene Ausprägungen des Alevitentums. Es gibt Aleviten, die sich dem Koran stark verpflichtet fühlen, sie unterscheiden sich nur durch manche Praktiken von Sunniten. Für sie sind die Regeln sehr wichtig. Viele Aleviten verstehen sich wiederum als unabhängige Religion, für sie ist das relativ unproblematisch. Unter Schiiten und Sunniten ist die Sensibilität, was Halal-Fleisch angeht, sehr ähnlich.

Es gibt also gar keine so großen Unterschiede?

In den Nuancen unterscheiden sich die beiden Seiten, auch unter den Sunniten selbst. Schafitische Sunniten bestehen zum Beispiel nicht darauf, den Namen Gottes auszusprechen. Es gibt natürlich unter Sunniten und Schiiten Konservative, die das strenger sehen. Es gibt aber auf beiden Seiten auch progressivere Muslime, die sich auf andere Schlachtmethoden einlassen, solange das Tier nicht während der Betäubung stirbt oder noch stärker leidet.

Werden Tiere in Halal-Schlachthöfen heutzutage betäubt?

Die meisten versuchen, die Tiere ohne Betäubung zu schlachten. Nach den traditionellen Methoden setzt man einen Schnitt, sodass das Tier schnell ausblutet. Es gibt aber auch viele, die ihr Fleisch trotz Betäubung als halal ausgeben. In Deutschland ist das Schlachten ohne Betäubung ja auch verboten.

Ist es unter Muslimen verbreitet, Fleisch aus anderen Ländern zu importieren?

Ja, aber es gibt eine Tendenz, auch bei deutschen Händlern zu kaufen. Vor allem bei Geflügel greifen viele Muslime auf Discounter zurück, weil das Schlachten nicht so problematisch ist. Bei anderem Fleisch denkt man mehr nach.

Es gibt ja auch in Deutschland muslimische Anbieter.

Eben. Viele fühlen sich dort wohler, oder sie wollen kleine Anbieter unterstützen. Große Konzerne haben sich mit Halal-Fleisch noch nicht durchgesetzt, weil eine Grundskepsis da ist. Sie könnten ja auf die Idee kommen, einfach ein Halal-Siegel draufzukleben.

Wer kontrolliert die Halal-Siegel?

Es gibt keine zentrale Instanz, die die Zertifikate verteilt. Deshalb sind sie nicht einheitlich, sondern haben nur die Regeln aus dem Koran als gemeinsamen Nenner. Das geht darauf zurück, dass es in der islamischen Kultur keine Kirche gibt, die darüber entscheiden könnte.

Konsumierende müssen also selbst entscheiden, welchem Siegel sie vertrauen?

Ja. Deshalb ist es nicht ausreichend, dass nur das Siegel drauf ist. Meistens gibt es auf der Webseite oder in Döner­imbissen an der Wand eine Liste der Klauseln. Sie erklärt, an welche Regeln sie sich gehalten haben und was sie genau unter Halal-Fleisch verstehen.

Diskutieren Muslime viel darüber, was als Halal-Fleisch gilt?

Früher ist man einfach davon ausgegangen, dass Fleisch halal ist, wenn es so deklariert war. In den vergangenen zehn Jahren ist die Diskussion intensiver geworden, ich sehe aber eine abnehmende Tendenz. Man ist sich mittlerweile sicher, wann Fleisch halal sein kann und wann nicht und dass auch Betäubungen aus theologischer Sicht in Ordnung sind. Eigentlich ist die Diskussion um Halal-Fleisch eine der unproblematischsten, die wir haben. Aber wenn die CDU so einen Vorschlag macht, könnte das Thema wieder Brisanz bekommen.

Wenn eine Betäubung möglich ist, warum gibt es überhaupt Ausnahmen zum Opferfest?

Eigentlich gibt es keine besonderen Bedingungen für das Opferfest. Aber die meisten Muslime sehen da einen Unterschied, weil das Fest für sie ein Gottesdienst ist, das gewöhnliche Schlachten aber nicht. Deshalb wollen sie den unproblematischsten Weg gehen, und so nah wie möglich am Wortlaut des Korans handeln.

Welche Folgen hätte eine Abschaffung der Ausnahmen?

Viele Muslime würden darauf sehr allergisch reagieren, vor allem konservative Gruppen. Ältere wären deutlich verärgerter als jüngere. Die Mehrheit der Muslime in Deutschland schlachtet das Tier aber ohnehin nicht mehr selbst. Für sie wäre es irrelevant, weil Vereine das Schlachten übernehmen und die Betäubung ja zulässig ist.

Aber Muslime würden sich trotzdem angegriffen fühlen?

Die Atmosphäre ist in Deutschland für Muslime generell nicht angenehm. Deshalb finde ich den Zug der CDU nicht nachvollziehbar. Man kann statt einem Verbot das Gespräch suchen. Muslime lassen sich auch davon überzeugen, dass andere Wege möglich sind. Durch ein Verbot klammert man sich aber erst recht an die Praxis, auch wenn sie nicht so wichtig wäre. Man identifiziert sich auf einmal damit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!