Theaterstück zur Klimakrise: Der vierte See ist Nihilist
Eine deutsch-tschechische Koproduktion über Klimawandel: „Ufer des Verschwindens“ läuft im Studio A Rubin Prag und am Berliner Theater unterm Dach.
„Sie sind ein See. Möchten Sie gerettet werden? Was erwarten Sie sich von der Zukunft?“ Alexandra Finder peitscht diese Fragen vier Mal über die Bühne. Ingo Tomi antwortet als Personifizierung der Seen auf die erste Frage drei Mal mit „ja“.
Was die Zukunft betrifft, haben die Gewässer unterschiedliche Erwartungshaltungen: Der erste See wünscht sich, dass es endlich regnet, der zweite wirksame Investitionen gegen Klimafolgeschäden. Der dritte See hofft auf das Ende von Menschheit und Kapitalismus. Der vierte See ist Nihilist. Zukunft wird nicht mehr stattfinden, ist seine Ansicht. Darum lehnt er jegliche Rettung ab, zeigt aber Empathie für die „armen Fische“, die dann keinen Lebensraum mehr haben.
Matthias Naumann und Dagmar Fričová haben „Ufer des Verschwindens“ gemeinsam erarbeitet. Die Prager Autorin und der Berliner Dramatiker kennen sich seit 2019 und haben ihr Projekt, ein Theaterstück über den Klimawandel zu verfassen, langsam reifen lassen.
Schreibprozess im selben Raum
Beide saßen während des Schreibprozesses im selben Raum und reagierten in einem auf zwei Rechnern geöffneten Textdokument aufeinander. Für Fričová, die hier begonnen hat, auf Deutsch zu schreiben, war der besondere Glücksmoment dieser sich ständig wiederholende Moment der Überraschung, wenn Naumann etwas geschrieben hatte, dass sie so nicht erwartet hatte und auf das sie nun reagieren musste.
„Ufer des Verschwindens“ läuft wieder am 23. und 24. November 2024 im Berliner Theater unterm Dach
Herausgekommen ist ein dystopisch-poetischer Text, der im Mikrokosmos See und an seinen Ufern spielt. Der die Menschen vor Ort, den See und Bäume reden lässt. Im Heute verortet, wagt sich der Text in alle drei Zeitebenen vor. Das ist spannend und trägt in sich einen Hauch verträumter Situationskomik, wenn Fričová/Naumann einen Jugendlichen der Jetztzeit auf seinen Urururopa treffen lassen. Der 1866 Geborene taucht auf einmal auf. Er war nur „kurz“ im „Garten der Fische“ bei den Seegeistern, bis ihn eine Plastikflasche, die in den See gefallen ist, an das „oben“ erinnerte.
Herzstück der Szenenmontage, in der es immer wieder um den Generationskonflikt geht, ist ein Mädchen, das aussteigt – aus Protest gegen eine Gesellschaft, die die Realität des Klimawandels bewusst ignoriert bzw. negiert, um den eigenen Lebensstil beibehalten zu können.
Der Wald trocknet aus
Das Mädchen geht in den Wald, der immer mehr austrocknet, und will erst wieder zurückkehren, wenn sich diese Gesellschaft fundamental ändert. Ihr Manifest erzeugt eine Massenbewegung von Jugendlichen, die ihre Familien und die von den Erwachsenen geschaffenen Realitäten verlassen.
Einen leisen, traurigen Witz trägt in sich der Zukunftstext, der den Schlussakkord des Stücks bildet. Er versucht sich an einer Analyse der Überreste unserer Epoche, deutet die zahlreichen Plastikflaschen als transparente Opfergefäße und die Skelette vieler jung verstorbener Menschen als Opfer für die Götter: „Wir vermuten, das die Situation gegen Ende des Aeternitas-Zeitalters eskaliert ist.
Die Aeternitas-Kultur war patriarchal, so dass es nicht möglich war, die älteren und vor allem männlicheren Mitglieder der Gesellschaft, die mächtig waren, zu opfern. Es erscheint einleuchtend, dass sie zunächst einzelne Kinder und Jugendliche in der Natur geopfert haben … Und als die Veränderungen immer stärker wurden, wurden ganze Gruppen junger Menschen geopfert.“
Soziale Frage diskursbeherrschend
Die „Fridays for Future“-Bewegung war auch in Prag sichtbar, erinnert sich Fričová. In der tschechischen Provinz aber sei Klimawandel kein Thema, dort beherrsche die soziale Frage den Diskurs, sagt sie. Und so wird die tschechische Übersetzung des Textes in der Prager Freien Szene, im A Studio Rubin, vor einem überwiegend studentischen Publikum aufgeführt.
Naumann bringt den Text mit seinem Theaterkollektiv „Futur II Konjunktiv“ im Berliner Theater unterm Dach auf die Bühne. Vorige Woche trafen beide Inszenierungen beim Festival für deutsche Dramatik Prag im A Studio Rubin aufeinander. Im Januar kommt die Prager Inszenierung nach Berlin. Möglich gemacht durch die Projektförderung des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds.
In der Prager Inszenierung stürzen sich Jana Kozubková, Tereza Hof, Halka Třešňáková spielfreudig auf die Situationskomik, die dem Text eingeschrieben ist. Im Vergleich dazu ist das Spiel von Alexandra Finder und Ingo Tomi steriler. In Berlin hat der Text über weite Strecken die Aura einer etwas trockenen Versuchsanordnung, während er in Prag Fleisch ansetzt und lebt.
Die kluge Verbindung von Unterhaltung und Ernsthaftigkeit ist hier der Türöffner zum Text. Den Schlussmonolog, der aus der Zukunft zu uns spricht, lässt Lucie Ferencová auf die Bühnenrückwand projizieren, davor simulieren kleine Säulen einen Museumsraum. Der Regisseurin gelingt hier das Bild einer gespenstischen Zukunft, das sich einbrennt. In Berlin machen die vereinzelten Kunstbäume, die auf der Bühne rumstehen, depressiv. Vor dem Theater, im Prenzlauer Berg, rasen die Autos durch die Nacht.
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