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Theaterstück über die StasiEnde einer Jugend

Von Erwachsenen im Stich gelassen: Am Berliner Ensemble inszeniert die Regisseurin Leonie Rebentisch „Gittersee“ nach dem Roman von Charlotte Gneuß.

Die besten Szenen des Abends sind die zwischen den herum­albernden Freundinnen (v. l. Amelie Willberg, Irina Sulaver) Foto: Moritz Haase

Der Roman „Gittersee“ löste bei seinem Erscheinen eine identitätspolitisch bewegte Ost-West-Debatte aus. Es ging um die Frage, ob die Autorin Charlotte Gneuß über die siebziger Jahre der DDR schreiben könnte und vor allem dürfte, da sie selbst doch nach der Wende im ziemlich westlichen Ludwigsburg geboren ist. Nun, da „Gittersee“ am Berliner Ensemble zum ersten Mal adaptiert wird, kommt man nicht umhin, die Biografien der Ensemblemitglieder zu prüfen. Das Ergebnis ist erstaunlich, zumal für eine Berliner Produktion: Nur zwei Spielerinnen, Rahel Ohm Und Kathleen Morgeneyer, haben eine Ostvergangenheit.

Wer will, kann diese Besetzung als Statement für den Universalismus interpretieren, als Plädoyer für das Versprechen, jede und jeder könne alle erdenklichen Rollen spielen. Ergibt sich hieraus an diesem Abend ein Problem? Kein politisches jedenfalls. Was die Ästhetik, was das Spiel angeht, hätte ein wenig eigene Anschauung und eigenes Erleben Regie und Spielern aber vielleicht Sicherheit gegeben.

Denn anfangs wirkt das Setting doch etwas hektisch etabliert: ein Bauernhof am Rande Dresdens, die sechzehnjährige Karin passt auf ihre kleine Schwester auf, während die Eltern mit sich selbst beschäftigt sind und die Großmutter in Erinnerungen an die guten alten Weltkriegszeiten schwelgt. Da klingelt ein fremder Mann an der Tür. Von der Stasi kommt er und stellt Fragen zu Karins Freund Paul, der Republikflucht begangen hat.

„Gittersee“

„Gittersee“ läuft wieder am Berliner Ensemble am 23./24. 11. und 7.8. und 31. 12. 2024

Diese Erstbegegnung zwischen Staatsmacht und Burger referiert eher auf all die ähnlichen Szenen in Filmen und Büchern, als dem Genre Stasi-Geschichte noch etwas Neues zu entlocken. Da springt Kathleen Morgeneyer als Mutter aufgebracht zwischen ihrer Tochter und dem von Paul Herwig gespielten Geheimdienstler hin- und her, der mit einem „Ich-stelle-hier-die-Fragen“-Blick genau diesen Satz sagt, während Amelie Willberg als Karin nur konsterniert in die Leere starrt und selbst nicht sicher ist, was hier gerade passiert.

Ein vermeidbares Unglück

Ja, was passiert? Hier endet gerade abrupt eine Jugend, hier verliert ein junger Mensch schuldlos seine Unschuld. Denn Karin wird bald darauf Inoffizielle Mitarbeiterin. Ein vermeidbares Unglück, denn sie erliegt den Anwerbeversuchen des Mannes von der Stasi nur deshalb, weil der vorgibt, sie zu sehen, während alle anderen Erwachsenen mit sich selbst befasst sind. Der Vater säuft; die Mutter ist depressiv; die derbe Oma, von Rahel Ohm sehr fein gespielt, hat ein waches Auge, aber zu wenig Herz, um der Enkelin beizustehen.

Und so sucht das Mädchen Zuflucht bei der Staatsgewalt, nimmt Zigaretten, Bierflaschen und Komplimente von dem Stasi-Mann entgegen, freut sich darüber, dass er mit ihr wie mit einer Erwachsenen umgeht, legt sogar vertrauensvoll den Kopf auf seiner Schulter ab. Nein, kein körperlicher Übergriff wird hier folgen, durchaus aber ein Missbrauch. Denn hier bemächtigt sich der Staat eines jungen ­Lebens. Schon bald wird Karin, um Anerkennung gierend, ihren Bekannten Rühle (Gabriel Schneider) und sogar ihre beste Freundin Marie (Irina Sulaver) verraten.

Hier bemächtigt sich der Staat eines jungen Lebens, das ist durchaus ein Missbrauch

Weiße Papierbahnen fallen von der Decke auf Sabine Mäders ansonsten weitgehend leere Bühne herab. Sie stehen für die Protokolle, die der Stasi-Mann anfertigt, aber auch für die Verwirrung junger Menschen, die eben noch gespielt haben und nun mit allen Konsequenzen leben müssen. Willberg irrt immer wieder durch die Streifen hindurch.

Die Politik und die Katze

An einer sehr klugen Stelle redet ihre Karin dann mit der Freundin über Kapitalismus und Sozialismus und darüber, ob auch sie rübermachen wollen würden, als Marie nur für einen Satz das Thema wechselt und fragt: „Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass die Katze von Marlene schwanger ist?“ Ja, so könnte es gewesen sein, so könnte es ausgesehen haben im Kopf einer jugendlichen DDR-Bürgerin, für die Politik, Klassengegensätze und die Verfasstheit ihres Staates genauso relevant waren wie die schwangere Katze der Freundin.

Die Szenen mit Willberg und Sulaver sind ohnehin die besten des knapp zweistündigen Abends. Die beiden albern und kichern, spinnen herum und flüstern einander Geheimnisse ins Ohr, machen also alles, was Teenagerfreundinnen eben so tun, nur mit dem Unterschied, dass die eine der beiden diese Geheimnisse dann an den Staat weiterträgt. Das war neu und interessant an Gneuß’ Roman: dass es die Schutzlosigkeit einer Generation zeigte, die von den Erwachsenen im Stich gelassen wurde. Leonie Rebentisch bringt diese Perspektive auf die DDR-Geschichte nun geschickt und einfühlsam zur Geltung. Ihre Inszenierung taugt als Beispiel einer gelungenen Adaption.

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