piwik no script img

Theaterstück über den Tod von Halim DenerGegen das Verblassen

1994 erschoss ein Polizist in Hannover den Kurden Halim Dener und blieb unbehelligt. Jetzt kommt der Fall auf die Bühne des dortigen Schauspielhauses.

Şafak Şengül und Sebastian Brandes in „Die Geschichte von Goliat und David“ Foto: Kerstin Schomburg

Der Tatort liegt fünf Minuten Fußweg entfernt: Auf Hannovers Steintorplatz erschoss Klaus T., ein SEK-Beamter in Zivil, in der Nacht des 29./30. Juni 1994 den 16-jährigen Halim Dener – aus kurzer Distanz von hinten.

Dener war Asylbewerber, erst zwei Monate zuvor unbegleitet nach Deutschland geflohen. An jenem Abend klebte er Plakate für eine PKK-Organisation, der Polizist sprach ihn an, Gerangel, Fluchtversuch – Todesschuss. Dank der aussagenden Polizeikollegen und eines Gutachtens wurde die Tat als Unglück klassifiziert: Der Schuss könne zwar als Verletzung der Sorgfaltspflicht angesehen werden, sei aber als unwillig reflexhafte Zuckung eines Fingers des überforderten Polizisten einzuschätzen. Keine fahrlässige Tötung also.

Der Freispruch sorgt bis heute nicht nur in Hannover für Widerstand. An Deners Todestag gibt es immer wieder Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen, für Kurden ist der Jugendliche aus der Osttürkei ein Märtyrer, für Türken ein Staatsfeind. Um diesem Spannungsfeld nicht auch noch einen öffentlichen Platz zur Eskalation zu bieten, wurde die vom Stadtbezirksrat Linden-Limmer beschlossene Benennung einer Grünfläche nach Halim Dener auf behördlichen und oberbürgermeisterlichen Einspruch verhindert. Auch Gedenksteine auf dem Steintorplatz wurden immer wieder entfernt.

Gegen das Verblassen der Erinnerung an das Opfer der Polizeigewalt geht nun das Schauspielhaus Hannover in die Offensive und bringt „Die Geschichte von Goliat und David“ zur Uraufführung.

Nicht verhandelt wird die Frage, ob es vertretbare Gewalt gibt – und wer darüber richten darf

Autorin und Regisseurin Ayşe Güvendiren reizte wohl der Glutkern des Themas: Wie ist Halim Dener in dem Krieg zu verorten, den die Türkei gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden auch jenseits der Landesgrenzen führt? Immerhin ist die von ihm unterstützte PKK ein Feindbild insbesondere für nationalistische Türken und seit 1993 auch in Deutschland verboten; ihren Verbleib auch auf der „Terrorliste“ der EU bestätigte im Dezember vergangenen Jahres erst der Europäische Gerichtshof. Aus kurdischer Sicht wird die PKK im Stück indes als „revolutionäre Organisation“ bezeichnet: „Was sie machen, ist Rebellion gegen die Unterdrückung.“

Erst mal aber lässt Güvendiren ihr Ensemble – Sebastian Brandes, Servan Durmaz und Şafak Şengül – die Legende von David und Goliath erklären, also wie der pfiffige Schwächling die Zweikampf-Spielregeln neu definiert und den superstarken Hau­drauf besiegt. Das ist als Andeutung zu verstehen, dass auch mal bedrängter Freiheitsaktivismus gewinnen kann.

Nach dem biblischen Erzähltheater kommt dann die Presseschau des Falls Halim Dener auf die Bühne: Artikel mit Überschriften wie „Polizist erschießt Kurden“ werden auf ein Meinungs-Karussell projiziert, begleitet von Saz-Spieler Mikaîl Ezîz. Nun könnte der Diskurs mit dem historisch kontextualisierten Sujet beginnen. Aber das Dar­stel­le­r:in­nen­trio zitiert auf Deutsch und Türkisch ganz andere Streitgespräche: die mit Familie, Freund:innen, Kolleg:innen.

Alle nämlich raten ihr ab von einer Stückentwicklung zu Halim Dener. „Die eine Seite glorifiziert ihn, die andere dämonisiert ihn“, heißt es da. „Wie willst du das erzählen, ohne dabei eine der beiden Seiten zu enttäuschen? Du machst dich doch zum Buhmann!“

Auch Gespräche am nun die Bühne stellenden Schauspiel werden zitiert: „Wir stellen uns als Theater zwischen zwei Fronten und begeben uns damit in die Schusslinie zwischen zwei Communitys, die wir für das Theater gewinnen wollen. Also, ich denke nicht, dass wir uns damit einen Gefallen tun.“

Mitunter wird es arg persönlich: „Pack’ deine Sachen und dein Engagement gleich mit ein und hau’ ab! Wenn dir dieses Thema wichtiger ist als unsere Beziehung, dann wars das!“ „Du spielst nicht nur mit deinem eigenen Leben, sondern mit dem von uns allen“, ist aus der Familie zu hören: „Dieses Projekt ist politisch. Aber wir als Familie sind es doch nicht. Wir sind weder völkisch, noch haben wir jemals separatistisch gehandelt. Nie. Ja, wir sind kurdisch, richtig, aber niemand aus unserer Familie hat sich jemals der Regierung widersetzt.“ Und ein Bekannter warnt: „Du wirst womöglich nicht mehr in die Türkei einreisen können. Mach lieber vor der Premiere noch mal einen Abschiedsurlaub.“

Das Stück

“Die Geschichte von Goliat und David“. Weitere Termine: Mi + Do, 17. + 18. 5.; So + Mo, 11. + 12. 6., Hannover, Ballhof Zwei

Auch Güvendirens Sprach-Memos kommen zu Gehör, in denen sie von Ängsten und Zweifeln spricht. Schließlich heißt es, aus „persönlichen Sicherheitsgründen“ habe das Regieteam die Vor-Ort-Recherche gecancelt – also auch das geplante Treffen mit Deners Familie. Denn in der Türkei sei eine strafrechtliche Verfolgung aufgrund von „Kontaktschuld“ möglich, also so eines Besuchs.

Ob die privaten und beruflichen Probleme der Regisseurin derart ausführlich dem Publikum präsentiert werden müssen? Zumindest verdeutlichen sie, warum die Reißleine gezogen und anders abgebogen wurde: Nach all den Einwänden lässt Güvendiren nur noch ironisch bis spöttisch in Auszügen nachspielen, was am Tatabend und der anschließenden Gerichtsverhandlung passierte: Per damaliger „Spiegel TV“-Einspielung werden etwa falsche Darstellungen der Polizei entlarvt.

Bloß: Das ist kein investigatives Dokutheater, sondern alles seit fast 30 Jahren bekannt. Statt politisch brisanter Dramatisierung gibt es also ästhetisch eher biederes, inhaltlich problemlos abzunickendes Polizei-Bashing. Nicht verhandelt wird die aufgeworfene Frage, ob es ethisch-moralisch vertretbare Gewalt gibt – und wer darüber richten darf. Und wie der kurdisch-türkische Konflikt in Deutschland ausgetragen wird: Das müssen andere auf die Bühne holen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Mutig. Und ja, sowohl unser Umgang mit Kurd*innen als auch der mit Polizeigewalt bräuchten Aufarbeitung.