Theaterstück über Maskulinisten: Artenschutz in eigener Sache
Im Schauspiel Köln rufen „Die letzten Männer des Westens“ zum Feldzug gegen die liberale Gesellschaft auf. Der Abend lehrt einen das Schaudern.
![Männer tragen gemeinsam einen Baumstamm Männer tragen gemeinsam einen Baumstamm](https://taz.de/picture/6904222/14/9267-maenner-klein010-1.jpeg)
„Soja-Boys“, die kein Beef wollen, und verweichlichtes „Gender-Gesocks“? Nicht mit uns! – meinen einige Typen, die sich zur Rettung der altgedienten Männlichkeit berufen fühlen. Schließlich muss man unter der Diktatur des Feminismus regelrechten Artenschutz in eigener Sache betreiben, Ausrufezeichen!
Leicht erklären lassen sich die wissenschaftlich glasklaren Zusammenhänge mit einem Overheadprojektor: Eine Folie dokumentiert, dass Frauen heute in Selbstverteidigungskursen lernen, ihrem Gegenüber direkt zwischen die Beine zu treten, was natürlich einer „Genitalverstümmelung“ gleichkäme. Es ist nur eine von vielen Szenen, die von der perfiden Verschiebung gängiger Codes durch die neue Rechte zeugt. Ein Begriff, der ursprünglich eine spezifische Gewalt an Frauen beschreibt, wird nunmehr für einen vermeintlichen Feldzug gegen Männer missbraucht.
Nachlesen kann man all dieses verschwörungstheoretische Geschwurbel in Tobias Ginsburgs gefeierter Investigativreportage „Die letzten Männer des Westens“, wofür sich der Autor über ein Jahr hinweg in unterschiedlichste neonationalistische Kreise, von spinnerten Burschenschaften bis zu Anhängern des Trumpismus in den USA, begeben hat.
Leibhaftig gewahr wird man dieser Melange aus Gekränkten, Umsturzfabulierern und hartgesottenen Ideologen in der Uraufführung des Werks am Schauspiel Köln. Regisseur Rafael Sanchez führt uns mit Witz und Zynismus durch deren Welt und zeigt, wie das einstmals in abgedrehten Zirkeln entstandene Gedankengut längst Regierungskreise und weitere Teile der Gesellschaft infiltriert hat.
Dazu läuft mal eine bräsige Bierzeltmusik, mal eine den ganzen Staub dieses Fanatismus versinnbildlichende Barockarie. Die ironische Botschaft: alles harmlos, alles nur besorgtes Bemühen um die Erlösung der Gemeinschaft von der Dekadenz.
Inszenierung im Leerlauf
Zugegeben, nachdem wir auf verschiedene „Maskulinisten“-Bünde, auf misogyne Cyber-Nerds, völkisch gesinnte Kanzleien und nicht zuletzt Rapper gestoßen sind, die sich via Kamera außerhalb des Gebäudes von der elitären und selbstredend linksgrün-versifften Kulturbourgeoisie im Inneren des Theaters abzugrenzen versuchen, gerät die Inszenierung in einen Leerlauf.
Wir haben es rasch mit einer bloßen Addition von Karikaturen zu tun. Als Recherche mag Ginsburgs Text brillieren, als Theaterstück entwickelt er dagegen keinen Drive, nicht zuletzt, weil es Sanchez sichtlich an einer Steigerungsdramaturgie mangelt. Auch die Gegenwart des Autors (stark gespielt von Nicola Gründel) als kritische Reflexionsfigur inmitten des monochromen Faschistenblocks verhilft dem Abend kaum zur nötigen Dynamik.
Überzeugend mutet derweil die vieldeutige Kulisse (Eva-Maria Bauer) an. Denn wir befinden uns in einem deutschen Hain. Einige Stämme ragen in die Höhe, andere werden an diesem Abend von starken, männlichen! Holzfällern mit Kreissäge bearbeitet. Auf den ersten Blick fällt einem die Rede vom Wald ein, den man – im Sinne der Verblendung der Protagonisten – vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.
Doch dem Bild wohnt noch eine tiefere Dimension inne. Zunächst wirft es die Frage nach der scheinbaren „Natur“ des Geschlechts auf, die heutzutage ja vornehmlich noch von Rechten gestellt wird, darüber hinaus dürfte die Bühne auf die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis anspielen. Sie waren es, die, ausgehend von der Schlacht im Teutoburger Wald, eine regelrechte Mythisierung und Politisierung der Landschaft betrieben.
Indem Sanchez diese Bildgeschichte aufruft (und seine Figuren am Schluss sogar auf der Leinwand im braunen Sumpf untergehen lässt), gelingt ihm mit seinem Werk auch der historische Brückenschlag. Hinter dem gefährlichen Populismus unserer Tage wird so der geistige Nährboden sichtbar. Ein wichtiges Stück also – auch wenn es letztlich nur begrenzt für das Theater taugt.
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