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Theaterautor Roland SchimmelpfennigDie Schönheit des Traurigen

Roland Schimmelpfennig gehört zu den meistgespielten Theaterautoren. Zuletzt eröffneten die Nibelungenfestspiele mit einem Text von ihm. Ein Porträt.

Wut auf das Patriarchat: Roland Schimmelpfennig Foto: Adriana Jacome

Theater sei ein „perkussiver Akt, es erinnert an Schlagzeugspielen“. Daher kommt es beim Stücke­schreiben vor allem auf den Rhythmus an, meint der Dramatiker Roland Schimmelpfennig, der seit über 20 Jahren zu den meistgespielten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart gehört, in einem Gespräch mit der taz.

Wie man den Rhythmus findet, hat er mit seinem Text „See aus Asche“, der aktuell bei den Nibelungenfestspielen in Worms uraufgeführt wird, unter Beweis gestellt. Anders als in vielen Zugriffen auf den Sagenstoff spielen die Figuren nicht vornehmlich die Handlung, sondern erzählen sie, mit lyrischer Anmutung.

Verse wie „der Himmel / ist nur noch / ein Meer aus toten Steinen“ vermitteln mit einfachen Worten ein existenzielles Pathos, das unter die Haut geht, aber das Geschehen nie im Abstrakten belässt.

Binnen weniger Zeilen kann der hohe Ton in die Derbheit der menschlichen Verkommenheit abrutschen – wenn etwa die Vergewaltigung der isländischen Königin durch den Burgunderkönig Gunter (mit der List Siegrieds) geschildert wird. „Und dann drückt er seinen Mund auf meinen, / Wein, Bier und Fett –“, berichtet die Geschändete, und „er stößt und stößt, / und flüstert, / wenn du dich jemals wieder wehrst, / dann bringe ich dich um.“

Was ist das Erfolgsrezept?

Wenn man also nach dem Erfolgsrezept des Autors fragt, der allein in dieser Spielzeit mit 12 verschiedenen Texten auf deutschsprachigen Bühnen präsent ist, dann dürfte es einerseits mit diesem stets gelingenden Wechsel zwischen den Stilregistern zusammenhängen. Andererseits greifen seine Werke immer wieder neuralgische Punkte der Gegenwart auf, darunter vor allem die misogyne Gewalt.

Auch in seinem neuen Roman „Sie wartet, aber sie weiß nicht, auf wen“ (2025), einer vielschichtigen Überschreibung von Arthur Schnitzlers „Reigen“, wird diese Gewalt zum Thema. Eine Schauspielerin sowie ein Zimmermädchen werden darin Opfer männlichen Machtmissbrauchs. Aber eben nicht nur das.

Unter den miteinander verzahnten Storys finden sich ebenso Miniaturen über die innige Suche nach dem Anderen, teilweise sogar von jenen Protagonist:innen, die sich an anderer Stelle wiederum mit maskuliner Brutalität konfrontiert sehen. So zu sehen bei der besagten Hotelangestellten, die mit einem ehemaligen Soldaten auf dem Jahrmarkt den Beginn einer intensiven Zweisamkeit erfahren wird.

Damit diese Gegensätze innerhalb eines Textes funktionieren, bedarf es eines genauen psychologischen Sensoriums, über das Schimmelpfennig verfügt. Stets mit Notizbuch unterwegs, sammelt er Sätze und Szenen auf. Künstlerische Herausforderungen bleiben dabei natürlich nicht aus, zumal es „überraschenderweise leichter [ist], über das Patriarchat zu schreiben als über das Leuchten der Liebe. Die Wut auf den Gegner hilft.“

Scheitern aus Egozentrik

Letztere treibt zahlreiche seiner Figuren an, die – genauso wie die verkommene Sippe der Nibelungenlegende – unter ihrer Einsamkeit leiden. Sei es in kleineren Werken wie der berührenden Andersen-Variation „Das Märchen von der kleinen Meerjungfrau“ (2022) über Armut oder dem Großprojekt „Anthropolis“, das 2023 geschrieben in fünf Teilen die tragische Chronik der Stadt Theben und des Herrschergeschlechts der Labdakiden nachzeichnet – das Scheitern seiner Figuren resultiert zumeist aus deren fehlender Verbundenheit, aus ihrer Isolation oder Egozentrik.

Was damit einhergeht? Das bringen etwa die scharfen Dia­loge aus dem Stück „Der Kreis um die Sonne“ (2021) auf den Punkt. Auf einer großen Party ereignet sich ein regelrechter Clash der Emotionen. Auf der Tanzfläche wird gelacht, geheult, durchgehalten bis in die Morgenstunden, um ja nicht am eigenen Verlorensein zugrunde zu gehen. „Angst hat kein Gesicht. Angst ist alles und nichts gleichzeitig, ein Schatten ohne Körper, ein Nebel.“

Schimmelpfennig schafft es mit derlei pointierten Beschreibungen immer wieder, den Menschen (und damit uns alle) in seinem kosmischen Ausgesetztsein zu erfassen. Unabhängig von der Frage, ob seine Prot­ago­nis­t:in­nen gewaltsam und ignorant handeln, oder ob sie leiden und verdrängen, kommen sie nah an uns ­heran.

Eine Erklärung für diesen Effekt liefert der Autor selbst: „Das Schreiben ist immer die Suche nach dem Schmerz oder der Verletzung.“ Diese Verwundungen aufzugreifen und sie nicht nur naturalistisch zu schildern, sondern ins Poetische, ja in eine Schönheit des Hässlichen und Traurigen zu überführen, darin besteht die besondere ästhetische Signatur dieses Schaffens. Wir haben es mit einem Dramatiker zu tun, der immer wieder neu einen unverkennbaren Ausdruck für das Allzumenschliche im Zwange der Zeiten findet.

Alice in Wunderland bis Odyssee

Aber woraus schöpft er seine Geschichten? Zum Teil vielleicht aus seinen Begegnungen auf Reisen. Als ehemaliger Journalist in Istanbul, ist der 1967 in Göttingen geborene Schriftsteller viel herumgekommen. Einen anderen Inspirationsquell stellen neben seinen Alltagsbeobachtungen aber auch die Erzählungen seiner Jugendjahre dar: „Kindheitsstoffe sind Teil des Kraftstoffs, den man zur Verfügung hat.“

Von „Alice im Wunderland“ bis zur „Odyssee“ reichen frühe Lese- und Hörerfahrungen. Dabei hat Schimmelpfennig nicht gerade wenige Hel­d:in­nen kennen gelernt. Und möglicherweise speist sich gerade aus deren Mut ebenfalls die Fähigkeit insbesondere seiner weiblichen Figuren, über so manche Widrigkeit des Daseins doch noch hinwegzukommen.

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