Theater übers Erben in Wiesbaden: Arbeitest du noch oder erbst du schon?
Das Hessische Staatstheater bringt im geldigen Wiesbaden Kapitalismuskritik auf die Bühne. Das Stück zeigt: Eigentum verpflichtet – zu gar nichts!
Wir alle kennen dieses Problem: Wie vererben oder verschenken wir eine Milliarde, ohne dafür Steuern zu zahlen? Einer, von dem man lernen kann, heißt Mathias Döpfner. Um den Fiskus bei der Übertragung von Anteilen am Medienkonzern Springer zu umgehen, hat er sich verschiedener rechtlicher Kniffe bedient. „Begünstigtes Vermögen“ und „Verschonungsbedarfsprüfung“ machten es möglich, dass Friede Springer ihren Vorstandsvorsitzenden – abzugsfrei – zu einem reichen Mann werden ließ.
Am Hessischen Staatstheater begnügt man sich bei der Uraufführung des Stücks „Unser Erbe: Tax me if you can“ jedoch nicht nur mit der Nacherzählung dieses pikanten Falls. Vielmehr erscheinen gleichzeitig Titel der Bild-Zeitung, also des Springer-Verkaufsschlagers, wie „Bürgergeld weg für Faule“. Die einen haben’s, die anderen eben nicht. So lautet die Vereinfachung einer politisch bislang kaum ausreichend beachteten Ungerechtigkeit, die das deutsche Erbschaftsrecht verursacht.
In Intervieweinspielern bringen Expert:innen, die sich größtenteils für dessen Reform engagieren, dazu Zahlen aufs Tapet. Demnach sind sechs Generationen nötig, bis Mitglieder armer Familien das allgemeine Durchschnittseinkommen erreichen; jährlich gehen dem Staat durch Gesetzeslücken und fehlende Kontrollen über 222 Millionen verloren; 3.000 Personen verfügen allein in Deutschland über 100 Milliarden US-Dollar.
Das krasseste Beispiel: Auf einem Blatt Papier zeichnet eine Schauspielerin die Vermögenskurve der deutschen Gesellschaft auf, wobei der Privatbesitz der Pharmadynastie Boehringer Ingelheim bei Weitem nicht mehr von dem Graphen erfassbar ist. 35.000, bis zu zehn Kilometer Höhe aufgestapelte DIN-A4-Seiten bräuchte es, um diese Summe zu visualisieren. Oder man lässt einen Spieler in Frack und Zylinder an der Bühnendecke schweben.
Von derlei parodistischen Momente finden sich viele in den so kurzweiligen wie erhellenden Szenentableaus: Sei es das Come-Together der Wohlhabenden im 5-Sterne-Hotel, wo eine Ministerialbeamte (außerdienstlich, versteht sich) über Steuerschlupflöcher informiert oder die steinreiche Familie, die vor einem goldenen Vorhang befürchtet, einen Teil ihrer Millionen für öffentliche Kitas abgeben zu müssen – Regisseur und Autor Helge Schmidt sparen nicht an Spott und Häme
Kein Glück in der „Spermalotterie“
Dass dieses erwartbar kapitalismuskritische und letzthin aktivistische Theatermanöver gelingt, verdankt sich insbesondere den pointierten Bildern auf der Bühne. Sehr eindringlich mutet etwa eine Waage an. Trägt sie auf der einen Seite ein überdimensionales, das Erbe repräsentierende Ei, bildet auf der anderen ein Mensch das entsprechende Gegengewicht. Steht hier Leistung Besitz gegenüber? Oder soll die Person dafür Sorge tragen, dass der Besitz ja nicht zu Bruch geht? Mehrere Deutungen scheinen möglich und geben die Komplexität der Gesamtdiskussion preis.
„Unser Erbe: Tax me of you can“ läuft wieder am 21 November. Außerdem am 1., 15. und 18. Dezember am Staatstheater Wiesbaden
Zu ihr gehören mithin ebenso die demokratiegefährdenden Effekte. Klar, wer eben kein Glück in der „Spermalotterie“ hat, wähle aus seiner benachteiligten Position, so die Spielenden, eher rechte Parteien. Andere haben in der Geschichte bereits von derart extremistischen Kräften profitiert.
Man denke an die Quants oder Verena Bahlsen, die hier im Hochzeitskleid verkörpert wird. Erwirtschaftet durch Zwangsarbeitende unter dem NS-Regime, konnte das Keks-Imperium wachsen und der Tochter ein komfortables, „braunes Erbe“ bereitstellen. Na ja, liege ja alles vor ihrer Zeit, wie sie schließlich betont.
Während übrigens fast zur selben Stunde unweit von dem Theater die grüne Bundespartei über die Erhöhung des Freibetrags bei Erbrecht diskutiert, macht das Ensemble mit Sarkasmus und Gesangseinlagen auf einen skandalösen Missstand aufmerksam. Allen voran starke Lobbys sorgen noch immer dafür, dass eine Menge Geld ohne die damit einhergehende Verantwortung übertragen werden kann. Ultrareiche können also am Ende angstfrei in einer Hüpfburg auf der Bühne feiern. So ein bisschen Gaudi muss schon drin sein.
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