piwik no script img

Theater für das Hier und Jetzt

■ Bremen hat mit dem MOKS ein wunderbares Kinder- und Jugendtheater. Auch beim Zielpublikum kommt man an. Das große Lob: „Der Film war ganz gut“

Wer Geburtstag hat, muss reden. Heute: Klaus Schumacher, schon sieben Jahren am MOKS, seit zwei Jahren als dessen Leiter.

taz: 25 Jahre MOKS. Was gibt es zu feiern?

Jubiläen bei Theatern sind ja so eine Sache – es ist nicht wie bei einer Firma. Das Gebäude ist heute ein anderes, die Menschen, die vor 25 Jahren angefangen haben, sind nicht mehr am MOKS, das Publikum wechselt natürlich noch viel schneller. Es geht also um eine Idee: Um den Enthusiasmus, mit dem am MOKS um das Publikum gerungen wird.

Wie hat sich diese Idee verändert?

1977, bei der Gründung, bestanden ganz andere gesellschaftliche Bedürfnisse. Da ging es stärker um Mitspieltheater. Der Bereich war noch nicht als eigene Kunstform etabliert. Heute gibt es in der Kinder- und Jugendtheaterszene ein größeres Selbstbewusstsein dafür, dass man nicht „nur Zweckkunst“ betreibt. Früher ging es dafür öfter um politische und emanzipatorische Inhalte.

Sind die heute nicht mehr wichtig?

Ich fände es falsch, das auszuschließen. Aber die Wege sind anders. Heute geht es sehr stark darum, den Blick für Dinge zu schärfen, die nicht auf der Linie liegen, die nicht zu objektivieren sind. Ich freue mich immer, wenn die Kinder beschreiben, dass sie bei uns etwas Neues erlebt haben.

Euer Theater ist also uneindeutiger geworden.

Ja. Das entspricht schließlich auch unserem allgemeinen politischen Empfinden und der Entwicklung im Erwachsenentheater. Dort würde ja heute auch niemand auf die Idee kommen, Geld für Waffen für den Vietcong zu sammeln, wie es Peter Stein 1970 getan hat.

In den 70ern ging es um die Veränderung „der Verhältnisse“. Wie reagiert Ihr auf politische Verhältnisse?

Zum Beispiel: Wir machen kein „Stück zu Erfurt“. Aber natürlich findet diese Katasthrophe ihren Niederschlag. „Tank 1“, unsere Plattform für junge Theatermacher, produziert zur Zeit „Dämmerung“. Da geht es um eine Gruppe von Jugendlichen in einer relativ traurigen, ausweglosen Situation. Eines der Mädchen bewaffnet sich immer mehr. Es geht um die Frage: Warum möchte jemand den Killer spielen? Die Diskussionen auf den Proben verweisen natürlich immer wieder auf Erfurt.

Also macht Ihr immer noch politisches Theater.

Ja. Aber es geht nicht um die Darstellung: Hier ist das Problem und dort ist die Lösung. Sondern: So sieht das Problem aus, und jetzt bin ich wiederum eine Erfahrung reicher und deswegen werde ich mich beim nächsten Mal anders verhalten. So funktioniert Entwicklung – in kleinen Schritten.

Gehen Sie so weit zu sagen, dass traditionelles Agitationstheater für Kinder und Jugendliche eine Überforderung darstellt, weil es sie zu eindeutigen Problemlösungen auffordert?

Nein. Aber ich würde so etwas nicht machen, eben weil es nicht einfach Gut und Böse gibt. Das MOKS hat sich schon bei seiner Gründung gegen genau solche Vereinfachungen gewandt. Da wurden den Kindern Erfahrungen vermittelt, statt sie auf eine „richtige“ politische Linien zu bringen. Von daher war der Ansatz MOKS sogar extrem gegen die Zeit.

Wie unterscheidet sich heute Eure Arbeit für Kinder von der für die Jugendlichen?

Es ist eine Wonne, für Kinder zu spielen. Um Jugendliche muss man viel mehr kämpfen, weil sie viel stärker auf Distanz gehen. Da muss man dann auf Provokation oder Irritation gehen. Wenn das gelingt, sind sie ein ganz tolles Publikum. Selbst, wenn sie mit Abneigung kommen, gelingt es sehr oft, dass sie nicht mit dieser Negativhaltung auch gehen. Manchmal ist es ein großes Lob, wenn einer sagt: „Irgendwie war's cool.“ Selbst bei Jugendlichen ist es sehr oft das erste Mal, dass sie ins Theater gehen. Und die sagen dann: „Der Film war ganz gut.“

Wie ist denn Eure Vorstellung von dem, was beim Publikum passiert?

Wenn man für eine Bühnenfigur mitempfindet, bedeutet das Respekt gegenüber Leuten, die anders sind als ich. Und: Dass man es sich nicht zu einfach macht mit den Dingen. Es gibt nicht für alles eine Lösung. Deswegen gehören auch Themen wie der Tod oder der Umgang mit einer nicht ausgelebten Sehnsucht ins Kinder- und Jugendtheater.

Sie kommen ursprünglich aus dem Erwachsenentheater. Was ist anders, wenn man Kindertheater macht?

Bei uns stellt sich die Sinnfrage nicht so oft. Im Erwachsenentheater kann man sich auf seiner Künstlerinsel manchmal etwas absurd vorkommen. Da geht es zum Beispiel sehr oft um die Frage nach „Werktreue“. Wenn wir „Cyrano“ auf der Erwachsenenbühne spielen würden, käme wahrscheinlich ständig die Frage, wo Mantel, Hut und Degen sind. Oder es werden Bezüge zur Theatergeschichte und zu den „ganz großen Themen“ gesucht. Unser Publikum fragt nur nach dem Hier und Jetzt. Es ist extrem lebendig, ein Theater zu machen, das in jedem Augenblick seine Gültigkeit beweisen muss.

Euer Publikum klatscht nicht aus Höflichkeit.

Bestimmt nicht. Wenn etwas leer ist, wenn nicht wirklich etwas erzählt wird, würden wir gnadenlos abschmieren.

Am Wochenende wird im MOKS über die Zukunft von Kinder- und Jugendtheater diskutiert. Das Schnürschuh-Theater zum Beispiel ist nicht auf dem Podium vertreten. Wie kam es zur Zusammensetzung des Podiums?

Wir können keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben. In Bremen gibt es viele Gruppen, die wir hätten einladen können. „Satyricon“ zum Beispiel machen seit Jahren sehr gutes mobiles Kinder- und Jugendtheater. Niemand will bestreiten, dass das Schnürschuh-Theater eine wichtige Rolle im Bremer Kulturleben spielt. Bei der Diskussion geht es uns nicht um Vergleiche, sondern um gemeinsame Visionen.

Wie könnten die aussehen?

Ich kämpfe darum, dass die Wahrnehmung für Kinder- und Jugendkultur wächst. Die erwachsene Öffentlichkeit muss für diesen Bereich sensibilisiert werden.

Mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung: Was heißt das konkret?

Dass sich dieser Bereich als eigene Sparte noch mehr etabliert. In vielen Städten fällt Kinder- und Jugendkultur in den Medien oft hinten runter – nämlich unter das Motto: Und dann haben die da noch was Nettes für die Kinder gemacht. So kann man das nicht abtun, das geht nicht. In Bremen allerdings wird dieser Bereich von der Presse ziemlich gut wahrgenommen.

Was gibt es also in Bremen zu wünschen?

Mein erster Wunsch ist, zwei weitere Schauspieler finanzieren zu können. Außerdem wünsche ich mir natürlich noch einen Hausautoren, einen Hausmusiker, eine eigene Probebühne, mehr Lagerräume. Das klingt immer wie der Schrei nach mehr Geld. Aber es geht einfach um mehr Wirkungsmöglichekeiten. Wir haben ein Publikum, das es braucht.

Was für Zukunfstpläne gibt es?

Ich hätte große Lust, mit „Blaumeier“ etwas zusammen zu machen, weil mich diese Truppe fasziniert. Und ich würde mit dem MOKS gerne öfter rausgehen, an Orte, die den Alltag bestimmen, auch in die Schulen. Außerdem wäre mehr Zusammenarbeit mit den Kulturwissenschaftlern an der Uni oder der Lehrerausbildung gut.

Also mehr Multiplikatorenarbeit?

Ja. Ästhetische Erziehung ist etwas, was Kinder in ihrer Persönlichkeit extrem weiter bringt, und es ist gut, wenn sie da Angebote kriegen. Letztlich ist es natürlich an uns, Stücke zu erfinden, die das auch halten. Im Zusammenhang mit diesem Jubiläum verbringe ich viel Zeit damit, darüber zu reden. Aber eigentlich müsste ich proben.

Interview: Henning Bleyl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen