Thalia-Theater unter neuer Leitung: Vieles neu am Alstertor
Mehr Farbe, mehr Frauen: Die neue Leitung des Hamburger Thalia-Theaters hat die erste von ihr verantwortete Spielzeit vorgestellt.

Es hatte sich angekündigt. Beziehungsweise sie hatten es angekündigt: „Große Kontinuität“ stellte spät im vergangenen Jahr Nora Khuon gegenüber der taz in Aussicht, designierte Chefdramaturgin und also Teil der künftigen künstlerischen Leitung des Hamburger Thalia-Theaters, zusammen mit Intendantin Sonja Anders und der Regisseurin Anne Lenk: die erste weibliche Thalia-Spitze in den 182 Jahren von dessen Existenz. „Große Kontinuität“, aber doch auch Veränderung: So würden in der neuen Ära auch deutlich mehr Regisseurinnen engagiert, sagte Khuon damals; mehr als es der scheidende Jochaim Lux zuletzt für nötig gehalten hatte, möchte man hinzufügen.
Bis zur neuen Spielzeit dauert es noch etwas: Sie beginnt im September mit einer Woche Programm draußen vor dem Großen Haus, auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz. Drinnen stiftet dann ein Shakespeare die erste Premiere: „Was ihr wollt“ unter der Regie von Anne Lenk. Es hat ja auch niemand behauptet, man werde nun keine Kanon-Boys mehr spielen: Auch Goethe, Kafka oder de Laclos finden sich im Spielplan. Ebenso, wie Aristophanes, Andersen und Ende.
Neues Logo, neue Schrift
Schon jetzt, am Freitagvormittag, traten sie vor die – reichlich gekommene – Presse: Erstmal stellte der künftige, mit dem Leitungs-Trio aus Hannover nach Hamburg kommende Pressesprecher Nils Wendtland die möglicherweise spektakulärste (und zugleich am wenigsten bedeutende) Neuerung vor: Das Thalia kriegt ein neues Logo, gestaltet immerhin von Johannes Erler, der einst unter Vor-Vorgänger-Intendant Ulrich Khuon schon mal ein sehr einflussreiches entworfen hatte.
Auch die, gelinde gesagt, manchen kulturbeflissenen Abendbrottisch entzweiende, dann unter Lux angeschaffte Marotte mit den kontraintuitiven – von Deutschlehrer:innen-Warte aus schlicht falschen – Worttrennungen auf Plakaten und in Programmheften ist vorbei. Runder ist die Schrift geworden, es darf bunt zugehen, wo lange nur Schwarz und Weiß auftraten; parallel zur existierenden gibt es nun auch eine neue Homepage im neuen Design.
Wichtiger, aber halt nicht so sichtbar sind andere Neuerungen, die dann Anders, Khuon und Lenk präsentierten: Im Ensemble treffen 18 neue Darsteller*innen auf 18 schon bekannte (darunter Barbara Nüsse, Lisa Hagmeister und Victoria Trauttmansdorff).
Mehr Frauen im Kalender
Überhaupt die angekündigten „mehr Frauen“ im Spielplan, sowohl was Autorinnen angeht als auch die Regie. Besonderes Augenmerk legte Anders unter anderem auf die erste Uraufführung im Kalender, „Marschlande“ von Hannah Zufall, nach dem Roman von Jarka Kubsova. Mit Jorinde Dröses Inszenierung von Mareike Fallwickls „Die Wut, die bleibt“ kommt ein dort erfolgreiches, explizit feministisches Stück aus Hannover nach Hamburg, mit Florian Fiedlers „Momo“ das an der Leine seit langem erfolgreichste Familienstück. Kontinuität UND Neuerung, halt.
Diskurs ist den drei Neuen erkennbar wichtig, das Theater als Raum für demokratische Debatte, „gerade jetzt, in einer Zeit des Falschsprechens, der Angstmacherei und Abgrenzungsreflexe“, so Anders. Eine Folge: Eine fürs Thalia neue Gesprächsreihe „Wir müssen reden“ mit Sascha Chaimowicz (Zeit Magazin). Auch setzt die neue Neben-Neben-Spielstätte, die „Box“ in der Altonaer Gaußstraße, auf „Experimente“ und „kooperative Formate“.
Gut, es kamen am Freitag auch ein paar Männer zu Wort: Der kaufmännische Geschäftsführer Tom Till sprach über Auslastungszahlen, die in der Spielzeit 2024/2024 rund 70 Prozent betrug, also Vor-Pandemie-Niveau. In der laufenden Saison liegt man sogar noch etwas darüber, bei knapp 77 Prozent. Sanierungsbedingt fällt sie aber auch etwas kürzer aus, so werden etwa die Ferien im Sommer verlängert um zwei Wochen – man rechne, sagte Till, also mit einem etwas schlechteren Ergebnis insgesamt.
Neue Preise, neues Abo
Umso begeisterter wirkte er angesichts eines neuen Ticketing-Systems, das dem Publikum mehr Flexibilität ermöglichen soll. Auch wird es künftig eine differenziertere Preisgestaltung geben und ein zusätzliches, nur fünf Stücke umfassendes Abo-Modell.
Der Bühnenbildner, aber zunehmend auch Regisseur Ran Chai Bar-zvi stellte sein Projekt im kommenden Spielplan vor: „Frommer Tanz. Abenteuer einer Jugend“, eine Adaption des Romans „Der fromme Tanz“, dem 1926 veröffentlichten, aber noch heute auf Höhe queerer Debatten spielende Debüt des Größtliteratensohns Klaus Mann.
Und Matthias Lilienthal sprach kurz über die – absehbar nur dies eine Mal – von ihm verantworteten Lessing-Tage Anfang 2026: Unter anderem wird Milo Rau da einen „Prozess gegen Deutschland“ führen. Er verspreche gute Zusammenarbeit, so Lilienthal, aber möglicherweise nicht ausschließlich gutes Theater.
Es bleibt spannend am Hamburger Alstertor.
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