Thalia-Theater Hamburg: Intervention bei Grünkohl und Bowle

Sven Regener und Leander Haußmann feiern Premiere mit „Intervention!“. Das Stück mündet in Wortgeschwurbel ohne dramaturgischen Bogen.

Eine Frau mit einer gelb-schwarzen Bluse, auf der Eisbären zu sehen sind, blickt rechts an der Kamera vorbei. Im Hintergrund sitzen zwei Männer in Sesseln. Eine Girlande auf der „Intervention“ steht hänge über ihnen

Ein Lichtblick in „Intervention!“ ist die Schauspielerin Gabriele Maria Schmeide Foto: Armin Smailovic

Jannis hat alles richtig gemacht. Er ist einfach weggeblieben, ist nicht erschienen zum traditionellen Grünkohlessen bei seiner nervigen Patchworkfamilie da irgendwo in Norddeutschland. Er tut sich das alles nicht an: Weder den penetranten Dunst von Kohl, Kassler und Pinkel, der hinter die Tapeten kriecht, noch die raumgreifende Bogenleuchte, die unbequemen Tulip-Chairs, das greige Sofaensemble, noch den hässlichen Acrylglastisch auf dem hochflorigen Rundteppich – unter den der Familiendreck gekehrt wird.

Jannis tut sich das alles nicht an. Erst recht nicht die Metadiskussionen und Mikroaggressionen zwischen seinem Altphilologenvater (Jens Harzer) und dessen Kitagründerschwager Helge (Tim Porath), die giftigen Wortduelle zwischen seiner Stiefmutter Katja (Gabriela Maria Schmeide) und seiner leiblichen Mutter Silvie (Marina Galic), nicht die Pinkelwürste der intensiven Gisela (Sandra Flubacher), nicht das bocklose Phlegma seiner Stiefschwester Gwendolin (Lisa-Maria Sommerfeld), nicht den senilen Geist seines Großvaters Robert (Norbert Stöß) und auch nicht den Aktionismus seiner therapeutisch motivierten Tante Gudrun (Victoria Trauttmansdorff).

Gudrun ist es schließlich, die für das diesjährige Familien­essen etwas Besonderes vorbereitet hat. Eine „Intervention“, eine psychologische Maßnahme – „das macht man nur, wenn man gar nicht mehr weiterweiß“ – für Jannis. Denn dieser, der verlorene Sohn, scheint auf eine schrecklich schiefe Bahn geraten zu sein. Und so soll nun die ganze Familie eingreifen, sich einmischen, auf ihn einreden.

Dafür hat Gudrun Motto-T-Shirts mitgebracht, Marcus hat eine Girlande aufgehängt und Grünkohl angesetzt, das, wie Katja findet, „asozialste aller Gemüse“. Nach und nach kommen sie zusammen, die Gäste, die Verwandten, die Immerwiederkehrer. Bringen Pinkel mit und Sticheleien, Tränen, Adorno-Zitate und Bowle in Plastikflaschen. So richtig gemütlich wird es bei diesen Zutaten natürlich nicht, so richtig lustig allerdings ebenfalls nicht.

Abründe menschlicher Familienkonflikte

„Intervention!“ heißt das Stück, das der Element-of-Crime-Sänger, Songwriter, Gitarrist und Trompeter Sven Regener gemeinsam mit seinem (Arbeits-)Freund, dem Schauspieler, Film- und Theaterregisseur Leander Haußmann, geschrieben hat. An eigene Weihnachts- und Familienfeste haben sie dabei gedacht, erzählen die beiden munter im Programmheft. Eine Komödie haben sie schreiben wollen, aber traurig sollte es am Ende schon auch sein.

Es gehe darin „um einen Einblick in die Abgründe menschlicher Familienkonflikte beziehungsweise den Abgrund der menschlichen Seele überhaupt“. Es ist hilfreich, dass man das alles nach der Aufführung nachlesen kann. Denn im Lauf der Inszenierung erzählt sich davon kaum etwas. Und wenn doch, dann vordergründig und plump.

Zähe drei Stunden lang arrangiert Haußmann seine pseudo-verschrobenen Figuren zwischen Sofa und Designerstühlen. In einem spannungsarmen Stellungsspiel lässt er sie unheilvolle Slapstickbeziehungen mit Schnüren und Beistelltischen eingehen, lässt sie Banales vor sich hin plaudern und Bedeutungsloses vor sich hin philosophieren. Meist schauen sie betroffen, mal heulen sie los, sprechen über Jazzmusik, Bowlegläser, Kinderziehung und Italiensehnsüchte. Der Familienvater Marcus ist dabei zunächst auf intellektueller Flughöhe mit Horkheimer und kurz darauf dement.

Beliebig, langatmig unentschieden

Womöglich ist das alles als tragikomische Persiflage auf das saturierte Bildungsbürgertum gedacht, bei dem die Kindheitstraumata fein säuberlich unter der Stuckdecke verklebt, die schwarzen Schafe im Flokati versteckt und die Bösartigkeiten von transitiven Verben kaschiert werden.

Die Inszenierung mag ironisch, witzig und kritisch gemeint sein, ist in ihrer ausufernden Sprachverliebtheit aber vor allem ein nicht endendes Wortgeschwurbel ohne dramaturgischen Bogen.

Tatsächlich wirkt das Ganze so, als hätten zwei sutsche Norddeutsche ein scharfzüngiges Yasmina-Reza-Stück so lange mit Nebelraketen beworfen, bis dieses nur noch im Schritttempo durch die Tiefebene schlurft. Und die Schauspielenden? „Wir sind die letzten, die noch stehen / Wir wollen immer wie es weitergeht sehen / Uns’re Neugier auf das Ende / Kennt keine Grenze“, mögen sie gedacht haben, gemäß dem Element-of-Crime-Song „Unscharf mit Katze“, den Haußmann zeitweise einspielt.

Die Dar­stel­lenden versuchen – herausragend: Gabriele Maria Schmeide – so einiges. Allein, den Abend retten können sie nicht. Dieser bleibt beliebig, langatmig unentschieden. Unscharf ohne Jannis. Der wiederum hat es richtig gemacht. Und ist der „Intervention!“ ferngeblieben.

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