Terrorverdächtige in Berlin: In Gaza radikalisiert
Die Terrorverdächtigen wurden dem Haftrichter vorgeführt. Der Hauptverdächtige Hani N. radikalisierte sich durch den Tod seines Bruders.
BERLIN taz | Nach der Festnahme zweier Terrorverdächtiger in Berlin blieb am Freitag unklar, wie weit deren Vorbereitungen zum Bombenbau fortgeschritten waren. Welche Säure die Polizei in den Wohnungen der beiden Verdächtigen sicherstellte und in welcher Menge, dazu wollte ein Polizeisprecher nichts sagen. Am Freitagabend wurden die Verdächtigten dem Ermittlungsrichter vorgeführt.
Der 28-jährige Hauptverdächtigte Hani N., dessen Vorname ins Deutsche übersetzt "fröhlich" bedeutet, lebt seit 2003 in Deutschland, er studierte Medizin an der Berliner Charité. 2009 gerät sein Leben aus der Bahn, als sein Bruder in Palästina von Israelis erschossen wird. Zur Beerdigung reist er in den Gazastreifen und bleibt ein halbes Jahr dort. In diesem Zeitraum lernt er seine Frau kennen. Im Frühjahr 2010 wird er Vater von Zwillingen, das dritte Kind ist unterwegs.
Die Charité habe ihn wegen der langen Abwesenheit exmatrikuliert, berichtet ein Bekannter aus der Nachbarschaft. Eine Charité-Sprecherin wollte zu Hani N. am Freitag keine Stellungnahme abgeben.
Die Sicherheitsbehörden gehen nicht davon aus, dass die beiden einer terroristischen Vereinigung angehören. Den mutmaßlichen Komplizen Samir M. hatten die Behörden aber schon länger im Visier. Er wurde als sogenannter Gefährder geführt, erfuhr die taz aus Sicherheitskreisen.
Nach taz-Informationen hat Samir M. im Herbst 2009 versucht, in das pakistanisch-afghanische Grenzgebiet auszureisen. Am Flughafen Tegel wurde er aber von den Behörden aufgehalten, weil sie vermuteten, dass er in ein Terror-Ausbildungslager wollte. In jenem Jahr waren aus Berlin mehrere kleine Gruppen von jungen Männern in die Gegend gereist, zum Teil in Begleitung ihrer Frauen. Einige tauchten später in Videos der "Deutsche Taliban Mudschahidin" auf, einer ominösen Mini-Terrortruppe in Wasiristan.
Zum Umfeld dieser Gruppe gehörte demnach auch Samir M. Dies hatte im März 2011 auch ein V-Mann des Verfassungsschutzes in einem Berliner Terrorhelfer-Prozess ausgesagt. Samir M., so der V-Mann damals, habe "den Dschihad befürwortet".
"Geringfügig polizeibekannt"
Der 24-Jährige, der in Berlin-Kreuzberg wohnt, war offenbar schon zu Schulzeiten streng gläubig. So habe er Mädchen aufgefordert, ein Kopftuch zu tragen. Laut Medienberichten hat er ein libanesisches Pärchen, das sich in der U-Bahn küsste, mit Pfefferspray besprüht. Offiziell hieß es nur, er sei "geringfügig polizeibekannt".
In M.s Wohngegend sind seit ein, zwei Jahren zunehmend junge Männer in langen Gewändern und Vollbart zu sehen. "In unsere Moscheen kommen die Salafisten aber nicht", sagt Burhan Kesici, der Vorsitzende der Islamischen Föderation Berlin (IFB), die hier ihren Sitz hat.
Den Verdächtigen kamen die Sicherheitsbehörden auf die Spur, weil sie Ende Juni einen Tipp von einem ausländischen Geheimdienst bekamen. Auch zwei Firmen meldeten sich beim Verfassungsschutz, weil die Verdächtigten Säuren und mehrere hundert Kühlpacks bestellt hatten. In der Kombination kann man daraus Bomben bauen. Daraufhin wurden die beiden rund um die Uhr überwacht.
Hani N. lebt mit seiner Familie in einer kleinen Wohnung im fünften Stock eines grauen Wohnhauses in der High-Deck-Siedlung in Berlin-Neukölln. Das Viertel ist ein Problemkiez, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Zu den wenigen Anlaufpunkten in dem Viertel gehört ein Fußballplatz. Dort soll N. versucht haben, seine Mitspieler zu überzeugen, mit dem Fußballspielen aufzuhören - das lenke zu sehr von der Religion ab. Sein Lieblingsschimpfwort: "Ungläubiger".
Hani N. und Samir M. besuchten regelmäßig die Ar-Rahman-Moschee in Berlin-Wedding. Dorthin kämen aber gerade während des Ramadan viele, auch weil der Rezitator so gut sei, berichtet ein Besucher.
Am Freitagmittag kommen nur wenige Gläubige in die Moschee. Die meisten, die hastig den Klinkerbau betreten, sind junge Männer mit Bärten. Bei Fragen zu den Tatverdächtigen: nur Kopfschütteln. Gegen die Moschee wird ausdrücklich nicht ermittelt.
Unklar bleibt weiterhin, warum die Festnahmen ausgerechnet jetzt erfolgten. Eine mögliche politische Einflussnahme im Berliner Wahlkampf wies Innensenator Ehrhart Körting (SPD) zurück. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die beiden Männer wegen des Verdachts der "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" nach Paragraf 89a des Strafgesetzbuchs. Auch ein Plan zum Bombenbau kann so mit einer Haftstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren bestraft werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“