Tennis in der DDR: Der ungeliebte weiße Sport im Osten
Die besten Tennisspieler der DDR durften keine Karriere machen, Preisgelder durften sie schon gar nicht annehmen. Eine Doku beleuchtet ihr Leben.
Hätte auch er das schaffen können, so wie Boris Becker das Wimbledon-Finale zu gewinnen und daraufhin ein ganzes Land in eine nie dagewesene Tennisekstase zu versetzen? Konfrontiert mit diesem Gedankenspiel in der vierteiligen Dokuserie „Großes Tennis – Made in East Germany“, die in der ZDF-Mediathek zu sehen ist, wirkt Thomas Emmrich selbstbewusst genug, um der Frage die Antwort Ja nahezulegen. Wimbledon, das wäre ganz sicher sein Ding gewesen, sagt er, genau seine Spielweise sei hier gefragt gewesen.
Warum sollte er auch den Bescheidenen vor der Kamera geben? 48-maliger DDR-Meister steht da unter seinem Namen eingeblendet. 16 Jahre lang blieb er ungeschlagen und Martina Navratilova, eine der größten Tennisspielerinnen aller Zeiten, sagt, sie hätte es ihm zugetraut, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen. Millionen hätte er verdienen können, glaubt er selbst. Wenn man ihn denn gelassen hätte.
Die Dokuserie nimmt sich verdienstvoller Weise eines Themas an, das bislang weitgehend unterbelichtet blieb, trotz all der Aufarbeitungen des Sports in der DDR. Sie geht der Frage nach, warum die Funktionäre der DDR dem Sport an sich eine solche Bedeutung beimaßen, Tennis aber klein hielten. So gab das SED-Politbüro 1969 seinen sogenannten Leistungssportbeschluss heraus. Der teilte den Sport in zwei Kategorien ein: in die förderungswürdigen Disziplinen, mit denen sich bei Olympiaden Medaillen gewinnen ließen, und dann den ganzen Rest, worunter auch das damals nicht olympische Tennis fiel.
Kurz vor dem Beschluss wurde im internationalen Tennis die sogenannte Open Era eingeläutet, die den weißen Sport professionalisierte. Eine Entwicklung, die an den Tennisspielern und -spielerinnen der DDR nun völlig vorbeiging. Sie bekamen so gut wie keine Genehmigungen für Reisen ins Ausland und als Emmrich bei einem Turnier in Sofia Preisgelder erspielte, durfte er diese nicht annehmen.
Verpasste Chancen
So wie Emmrich der „Boris Becker der DDR“ war, gab es natürlich auch ein Steffi Graf-Pendant im Osten, Grit Schneider. Sie erzählt, ähnlich wie die Tennisspielerinnen Gabriele Lucke und Juliana Gorka, von ihren damaligen Träumen, vielleicht auch mal gegen die echte Steffi Graf spielen zu können. Für die angestrebte Profikarriere reichte es nach dem Fall der Mauer dann bei keiner. Und Emmrich war da bereits zu alt, um es noch als Tennisprofi zu versuchen.
Verfolgt werden die Lebensläufe von vier Tennisverrückten, die allesamt mit ihrem Schicksal hadern, nicht bekommenen Chancen nachtrauern, auf das Erreichte aber trotzdem stolz sind. Auch darauf, wie sie Widerständen trotzten. Allein schon das nötige Equipment aufzutreiben, war für sie einst nicht einfach. Die Schläger des DDR-Farbrikats Attache taugten nichts, glücklich war, wer sich von der Verwandtschaft in der BRD einen Westschläger schicken lassen konnte.
Und als Boris Becker 1985 dann schließlich Wimbledon gewann, sei es mit der Ablehnung nur noch schlimmer geworden, so Emmrich. Tennis bekam in der DDR nun endgültig das Image des dekadenten Westsports für reiche Klassenfeinde verpasst.
Im Raum steht nach all diesen Schilderungen irgendwann eine Frage, um die sich in der Doku komischerweise ständig herumgedrückt wird: Warum konnten aus den anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks Tennisstars ohne Ende hervorgehen, von Martina Navratilova bis hin zu Ivan Lendl – aber eben nicht aus der DDR? Lag es an der im Vergleich besonders ausgeprägten Angst vor Republikflucht? An einer Kontrollwut, die es zumindest beim Tennis in Rumänien oder der Tschechoslowakei so nicht gab? Das ZDF sollte unbedingt dran bleiben an dem Thema.
„Großes Tennis – Made in East Germany“, ZDF Mediathek
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