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Teilnehmerin über Grundeinkommenprojekt„Ich konnte aus dem Hamsterrad aussteigen“

Im Rahmen eines Pilotprojekts erhielt Elisabeth Ragusa drei Jahre monatlich 1.200 Euro – bedingungslos. Und tat, was sie sich ohne nie getraut hätte.

Kündigte mit 30 Jahren ihren Job und begann zu studieren: Elisabeth Ragusa Foto: Andree Kaiser
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

Eine Studie zeigt, dass 107 Beziehende von Grundeinkommen ihre Erwerbstätigkeit nicht reduziert haben – im Vergleich zu einer Testgruppe, die kein Grundeinkommen bekam. Die wöchentliche Arbeitszeit und die Bruttomonatslöhne lagen minimal unter denen der Vergleichsgruppe, was die Forschenden für statistisch nicht relevant halten. Lesen Sie den gesamten Text dazu hier.

taz: Frau Ragusa, was hat Ihnen die Teilnahme am Pilotprojekt Grundeinkommen gebracht?

Elisabeth Ragusa: Möglichkeiten und Gedankengänge, die ich sonst nicht gehabt hätte. Ich konnte aus dem Hamsterrad aussteigen.

taz: Sie nahmen während des Projekts ein Studium für das Lehramt an Grundschulen auf. Ohne die zusätzlichen Mittel des Grundeinkommens hätten Sie das nicht getan?

Im Interview: Elisabeth Ragusa

Elisabeth Ragusa lebt im baden-württembergischen Freiburg, wo sie Lehramt für Grundschulen mit den Fächern Deutsch und Naturkunde studiert. Sie ist eine von 107 Teil­neh­me­r:in­nen des Pilotprojekts Grundeinkommen, die 2021 ausgewählt wurden. Drei Jahre lang bekam sie 1.200 Euro monatlich geschenkt, unabhängig von ihren sonstigen Einnahmen.

Ragusa: Garantiert nicht. Mit fast 30 Jahren den Job kündigen, studieren und einige Jahre nur knapp über die Runden kommen, das muss man erst mal wollen. Studieren ist teuer, selbst mit elternunabhängigem Bafög. Außerdem hat man dann Schulden, diesen Gedanken mochte ich nie. Deshalb habe ich früher versucht, mich mit meiner ersten Ausbildung zufrieden zu geben, und mir nicht erlaubt, über einen anderen Beruf nachzudenken. Erst durch das Grundeinkommen konnte ich im Kopf ausreichend Geld freimachen, um in meinen zweiten Bildungsweg zu investieren.

taz: Sie haben vorher als Industriekauffrau beispielsweise in einer Druckerei gearbeitet. Da war es nicht möglich, genug zurückzulegen, um sich Ihren Traum zu erfüllen?

Ragusa: Ich lebte alleine, das ist wahnsinnig teuer, selbst wenn man 3.000 Euro brutto verdient. Die Miete, das Auto, um zur Arbeit zu kommen, und die anderen Fixkosten fraßen den größeren Teil meines Verdienstes auf. Was übrig blieb, war zu knapp, um Geld für ein Studium anzusparen.

taz: Sind Sie jetzt zufriedener als früher?

Ragusa: Mein früherer Bürojob war einfach die falsche Berufswahl – jeden Tag die gleichen Abläufe. Das ist in der Schule anders, dort fühle ich mich am richtigen Platz. Die Charaktere der Kinder sind so unterschiedlich, ihre Antworten überraschend. Und zu lernen macht mir Spaß, mit den Kindern lerne ich immer weiter. Das hält den Kopf jung.

taz: Wie haben Freunde und Bekannte reagiert?

Ragusa: Meine engen Freunde fanden, dass ich mich richtig entschieden hätte. Von anderen gab es aber auch Kommentare wie: „Ich könnte das Geld besser gebrauchen als Du.“ Oder: „Komisch, dass man es ohne Gegenleistung bekommt.“ Und: „Wer soll das bezahlen?“

taz: Was halten Sie von Grundeinkommen als gesellschaftlichen Entwurf für viele Bürgerinnen und Bürger – oder alle?

Ragusa: Ich finde, es ist eine gute Idee. Als ich jung war, hatte meine Familie wenig Geld. Wir mussten immer sparen. Das bleibt im Kopf, da kommt man nicht raus. Das Grundeinkommen gibt aber Sicherheit und Ruhe. Dann verhalten sich die Menschen anders, sie haben die Möglichkeit, sich selbst zu entscheiden. Besonders die Bedingungslosigkeit gefällt mir – im Gegensatz zum Bürgergeld, wo viele Einschränkungen existieren. Das Grundeinkommen würde die Freiheit verleihen, das zu tun, was man möchte und gut kann, zum Beispiel auch als Erzieher oder Erzieherin zu arbeiten – also in Berufen, die normalerweise zu wenig Geld bringen.

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14 Kommentare

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  • Ich denke die Studie hatte einen gewaltigen Nachteil, nämlich dem dass das Grundeinkommen auf 3 Jahre begrenzt war.



    Ich muss von mir selber sagen, würde ich die 1200€ im Monat bekommen, würde ich sofort versuchen nur noch halbtags zu arbeiten.



    Zu mir, ich bin Krankenpfleger, mit einem Grundgehalt von ca. 2500€ brutto. In Teilzeit würde ich ca. 1800€ bekommen, also hätte ich mehr Freizeit bei mehr Geld. Allerdings bei einer Befristung von 3 Jahren würde ich versuchen das Geld zu sparen, da ich ja nicht weiß wie es in 3 Jahren mit meiner Stelle weitergeht.

  • Grundeinkommen würde ich gut finden für alle die ein unbeschwertes Leben ohne Antragszwang bei Bürgergeld frei entscheiden können. z.B. Antrag auf Urlaub, Rückmeldungen, jährlich immer wieder neue Anträge usw.

  • Und was ist mit Personen, die Mehrbedarfe wegen Krankheit haben. Sind diese im Grundeinkommen gestrichen? Natürlich müssen diese auch im SGB zumindest bei Seltenen Krankheiten im Schnitt 10 Jahre erkämpft werden, während sie aber sofort anfallen.

    • @vulnerabel-rechtlos.de:

      Für "seltende Krankheiten" gibt es Fachärzte die einem sofort Atteste und Diagnosen ausstellen. Wenn Anträge abgelehnt werden sollten gibt es das Sozialgericht. Ich bin kein Anwalt aber das ist m.M.

  • Für die, die sich ein Bedingunsloses Grundeinkommen (oder seine Finanzierung) nicht vorstellen können, möchte ich entsprechende Seiten mit Überlegungen, Diskussionen und fundierten Musterrechnungen dazu empfehlen: www.mein-grundeinkommen.de/ und basicincome.org,



    als unterhaltsames Gedankenexperiment, wie eine Gesellschaft, die gleichzeitig absichert und sowohl Kreativität als auch demokratischen Gemeinschaftssinn fördert, den Roman "Wärmesteine" von M. D. Schuster: basicincome.org/ne...onal-basic-income/ . Sehr unterhaltsam und wirklich erhellend.

  • Fast alle BGE Modelle sehen vor, dass es nur das gibt und keinerlei andere Sozialleistungen, damit das BGE teilweise durch Abschaffung der Behörden finanziert wird. Und bei einem Arbeitslosen sieht die Rechnung anders aus, Beispiel BGE 1200€, Metropole:



    - Miete mind. 600€ (eher mehr)



    - Krankenversicherung 200€ (derzeitiger Mindestsatz)



    - bleiben 3-400€ bei einem Alleinstehenden für alles andere - Essen, Teilhabe, Telefon…



    weniger als der Bürgergeldsatz.



    Aber derjenige kann ja in die Uckermarck, da ist die Miete billig.



    Zudem ungeklärt wäre, wer es bekommt - jeder der es über die Grenze schafft? Unfinanzierbar. Jeder Deutsche? Und wie schauts aus mit Kindern? Bekommen die dann die Hälfte oder 25%

    • @Sandra Becker:

      "Krankenversicherung 200€ (derzeitiger Mindestsatz)" Die GKV ist graduell bereits ein BGE: auch wer nur wenig einzahlt, bekommt die gleiche hohe Leistung. Wenn alle gleich viel zahlen würden, wäre der Subventionsbedarf bei 400€ bis 500€. In Metropolen bleibt bei diesem BGE für arme nur 100€ für Essen, Kleidung, Medikamente übrig.



      In keinem BGE-Modell wurde die KV sauber durch gerechnet, weil dann ein Subventionsbedarf in unpopulärer Höhe offenkundig wird oder schmerzhafte Diskussionen über den notwendigen Umfang der Leistungen einer unteren Basis-KV losgetreten werden.

  • 1200 €/Monat sind natürlich schön für den, der sie bekommt.



    Andererseits sind 1200 mal 80 Millionen die Kleinigkeit von 96 Milliarden im Monat, 1,152 Billionen im Jahr.

    • @sollndas:

      Man müsste dabei sowohl die sonstigen Sozialleistungen wie Bürgergeld, Wohngeld, Sozialgeld, "Bildungsmaßnahmen" für Bürgergeldbeziehende abziehen, die dann wegfallen würden, als auch deren Verwaltung, die Unsummen frisst. Unterm Strich wäre es deutlich günstiger.

  • Es freut mich für Elisabeth Ragusa, dass sie sich dank Grundeinkommen getraut hat, „aus dem Hamsterrat auszusteigen“. Diese Erfahrung lässt sich allerdings nicht mit 80.000.000 multiplizieren. Betriebswirtschaftliche Zusammenhänge sind schließlich keine volkswirtschaftlichen.

    Das Grundeinkommen mag 107 Pilotprojekt-Probanden die Freiheit verleihen, zu tun, was sie möchten und gut können. Aber nur, weil alle anderen Bundesbürger heute noch gezwungen sind, das exakte Gegenteil zu machen. Denn wo alle ein Grundeinkommen haben, gibt es keinen Distinktionsgewinn.

    Milliarden Menschen leben in Ländern, in denen ein niedriges Durchschnittseinkommen für (relativ) niedrige Preise sorgt. Der Abstand zu den Preisen hier ist einzig der Marktlogik geschuldet. Wenn zu viele Leute zu wenig Geld haben, schadet das dem Umsatz teurer Waren - und dem Profit der Unternehmer.

    Steigt das Durchschnittseinkommen, steigen auch die Preise. Weil sie es können. Wird in Deutschland das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt, passiert genau das. Der Unterschied zwischen denen, die mehr haben als das Nötigste, und allen anderen, bleibt. Genau wie die Unfreiheit. Wäre andernfalls auch die FDP dafür? Nö.

    • @zitterbacke:

      Wie gut, dass vielen die Dopplbelastung aus Arbeit (Teilarbeitszeit) und Studium nichts ausmacht und sie trotzdem noch Zeit haben, intensiv ihren Hobbies nachzugehen. Nicht jeder wähnt sich bei einem Bürojob im



      Hamsterrad mit Erschöpfungszustand.

    • @zitterbacke:

      Für ein BEDINGUNGSLOSES Grundeinkommen ist die FDP keineswegs: www.tagesschau.de/...en-studie-108.html

      Es wäre ja schon mal ein wichtiger Schritt, ein Bedingungsloses Grundeinkommen für Kinder einzuführen. Die erschreckende Kinderarmut in einem so wohlhabenden Land ernsthaft einzudämmen, wäre vielleicht der erste Schritt, auf den wir uns einigen könnten. Selbst die Soft-Variante Kindergrundsicherung, die nicht existenzsichernd gewesen wäre, hat die FDP blockiert.

  • Alles Gute für das Grundeinkommen. Möge es möglichst schnell Realität auf dem gesamten Planeten werden.

  • Ich traue dem Ganzen nicht.



    Jetzt sind es ja nur einzelne und für den Rest ändert sich nix.



    Was wäre wenn alle 1200€ bekommen? Sind 1200€ dann das neue 0€?



    Muss ich dann die Wohnung noch für 800€ vermieten?



    Ich weiß nicht.