Teilnehmerin über Grundeinkommenprojekt: „Ich konnte aus dem Hamsterrad aussteigen“
Im Rahmen eines Pilotprojekts erhielt Elisabeth Ragusa drei Jahre monatlich 1.200 Euro – bedingungslos. Und tat, was sie sich ohne nie getraut hätte.
Eine Studie zeigt, dass 107 Beziehende von Grundeinkommen ihre Erwerbstätigkeit nicht reduziert haben – im Vergleich zu einer Testgruppe, die kein Grundeinkommen bekam. Die wöchentliche Arbeitszeit und die Bruttomonatslöhne lagen minimal unter denen der Vergleichsgruppe, was die Forschenden für statistisch nicht relevant halten. Lesen Sie den gesamten Text dazu hier.
taz: Frau Ragusa, was hat Ihnen die Teilnahme am Pilotprojekt Grundeinkommen gebracht?
Elisabeth Ragusa: Möglichkeiten und Gedankengänge, die ich sonst nicht gehabt hätte. Ich konnte aus dem Hamsterrad aussteigen.
taz: Sie nahmen während des Projekts ein Studium für das Lehramt an Grundschulen auf. Ohne die zusätzlichen Mittel des Grundeinkommens hätten Sie das nicht getan?
Elisabeth Ragusa lebt im baden-württembergischen Freiburg, wo sie Lehramt für Grundschulen mit den Fächern Deutsch und Naturkunde studiert. Sie ist eine von 107 Teilnehmer:innen des Pilotprojekts Grundeinkommen, die 2021 ausgewählt wurden. Drei Jahre lang bekam sie 1.200 Euro monatlich geschenkt, unabhängig von ihren sonstigen Einnahmen.
Ragusa: Garantiert nicht. Mit fast 30 Jahren den Job kündigen, studieren und einige Jahre nur knapp über die Runden kommen, das muss man erst mal wollen. Studieren ist teuer, selbst mit elternunabhängigem Bafög. Außerdem hat man dann Schulden, diesen Gedanken mochte ich nie. Deshalb habe ich früher versucht, mich mit meiner ersten Ausbildung zufrieden zu geben, und mir nicht erlaubt, über einen anderen Beruf nachzudenken. Erst durch das Grundeinkommen konnte ich im Kopf ausreichend Geld freimachen, um in meinen zweiten Bildungsweg zu investieren.
taz: Sie haben vorher als Industriekauffrau beispielsweise in einer Druckerei gearbeitet. Da war es nicht möglich, genug zurückzulegen, um sich Ihren Traum zu erfüllen?
Ragusa: Ich lebte alleine, das ist wahnsinnig teuer, selbst wenn man 3.000 Euro brutto verdient. Die Miete, das Auto, um zur Arbeit zu kommen, und die anderen Fixkosten fraßen den größeren Teil meines Verdienstes auf. Was übrig blieb, war zu knapp, um Geld für ein Studium anzusparen.
taz: Sind Sie jetzt zufriedener als früher?
Ragusa: Mein früherer Bürojob war einfach die falsche Berufswahl – jeden Tag die gleichen Abläufe. Das ist in der Schule anders, dort fühle ich mich am richtigen Platz. Die Charaktere der Kinder sind so unterschiedlich, ihre Antworten überraschend. Und zu lernen macht mir Spaß, mit den Kindern lerne ich immer weiter. Das hält den Kopf jung.
taz: Wie haben Freunde und Bekannte reagiert?
Ragusa: Meine engen Freunde fanden, dass ich mich richtig entschieden hätte. Von anderen gab es aber auch Kommentare wie: „Ich könnte das Geld besser gebrauchen als Du.“ Oder: „Komisch, dass man es ohne Gegenleistung bekommt.“ Und: „Wer soll das bezahlen?“
taz: Was halten Sie von Grundeinkommen als gesellschaftlichen Entwurf für viele Bürgerinnen und Bürger – oder alle?
Ragusa: Ich finde, es ist eine gute Idee. Als ich jung war, hatte meine Familie wenig Geld. Wir mussten immer sparen. Das bleibt im Kopf, da kommt man nicht raus. Das Grundeinkommen gibt aber Sicherheit und Ruhe. Dann verhalten sich die Menschen anders, sie haben die Möglichkeit, sich selbst zu entscheiden. Besonders die Bedingungslosigkeit gefällt mir – im Gegensatz zum Bürgergeld, wo viele Einschränkungen existieren. Das Grundeinkommen würde die Freiheit verleihen, das zu tun, was man möchte und gut kann, zum Beispiel auch als Erzieher oder Erzieherin zu arbeiten – also in Berufen, die normalerweise zu wenig Geld bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Koalitionsvertrag schwarz-rot
Immer schön fleißig!
Schwarz-rote Koalition
Als Kanzler muss sich Friedrich Merz verscholzen
Anschläge vor Bundestagswahl
„Der Verdacht ist plausibel“
Starke Börsen-Schwankungen
Arroganz ist nicht links
Rechte Drohungen und mediale Ignoranz
Wo bleibt der Aufschrei gegen rechts?
Frauen in der SPD
Auftrag an Merz, Lob für Esken