Techno und die Coronakrise: Veränderung kann auch gut sein
Die Pandemie trifft die Clubs ins Herz. Aber sie könnte einen notwendigen Strukturwandel befördern – mit mehr Durchlässigkeit und mehr Teilhabe.
„Der internationale DJ-Jetset, das ist vorbei, es wird nicht mehr so funktionieren wie vorher. Jemand aus Manchester für 50 Zuhörende am Sonntagabend einfliegen zu lassen ist nicht nachhaltig, selbst wenn es für alle Beteiligten eine feine Sache war. Da ich ein Kapitalismuskritiker bin, begrüße ich das sogar, auch wenn damit eine Kulturform wegbricht.“ Ralf Köster, Gründer der legendären DJ-Reihe „MFOC“ im Hamburger Pudel Club, wird der taz gegenüber deutlich. Die Coronapandemie trifft die Clubs ins Herz; es ist eine Krise, die zusätzlich zur sowieso schon prekären Lage auch lange schwelende Debatten in der Szene neu entfacht.
Manche behaupten gar, Techno sei tot. Laura Ewert forderte in der taz, dass Techno sterben müsse, und auch der Schweizer Autor Tobi Müller kuckt auf die Kunstform aus der zwinglianischen Vogelperspektive: Im Onlinemagazin Republik.ch verstieg er sich dazu, Sterbehilfe leisten zu müssen: „Dance is dead – oder: Die Musik von morgen“ heißt der Essay, in dem Müller im Feld der elektronischen Tanzmusik Ermüdungserscheinungen auszumachen glaubt.
Aber ist die Szene wirklich tot? Sind Clubs keine schützenswerten Räume? Oder sind sie, wie manche KritikerInnen glauben, nur noch riesige Abfüllstationen, die Musik laufen lassen, um alkolholische Getränke zu verkaufen?
Die Antwort lautet: Jein. Sicherlich hat die Mainstreamisierung von elektronischer Tanzmusik, sowohl von Techno als auch von in seiner Pop-Form „EDM“ (Electronic Dance Music) genanntem Sound, dazu geführt, dass auf beiden Seiten der DJ-Kanzel „Party-Amateure“ ein Zuhause gefunden haben. Solche, die zwar wissen, wie man säuft, aber nicht, wie man feiert. So manches Techno-Festival lässt sich bloß noch am Sound von den Rock-Dino-Events Marke Hurricane unterscheiden. Immer häufiger fehlt es an Wissen um diasporische Traditionen auf dem Dancefloor.
Der Dancefloor als politischer Ort
Denn: Ehedem waren die Techno- und House-Szenen geprägt von Solidarität, die es auch Ausgeschlossenen ermöglichten, mitzufeiern, sich auszutauschen, zu kommunizieren, losgelöst von Rassismus und Homophobie zu leben. DJ Sarah Farina konstatierte kürzlich im Deutschlandfunk Kultur: „Der Dancefloor ist ein politischer Ort, an dem marginalisierte Gruppen einen Raum für sich haben – und so ein paar Stunden Weltfrieden erfahren können.“
Gepflegte elektronische Tanzclubs übernehmen häufig eine Funktion als gesellschaftliches Scharnier, die von anderen Kultur- und Sozialeinrichtungen nicht mehr übernommen werden: Sie eröffnen mehr noch als früher Schutzräume für diskriminierte Menschen. Dies ist vor allen Dingen Ergebnis einer Reflexionsphase des aufgeklärteren Teils der Techno-Szene. Offen wurde diskutiert: Hat man eigentlich genug getan, um die Sichtbarkeit von Frauen, von rassifizierten und LGBTQI-Menschen zu erhöhen? Die Sichtbarkeit weiblicher DJs, nicht-weißer, nicht-heteronormativer DJs und Live-Acts erhöhte sich nach und nach.
Die andere Seite gibt es leider auch. Und wo sollte sie prominenter sein als in Berlin, der selbsternannten „Welthauptstadt des Techno“. Zum Beispiel jener Demo-Unfall, der als die „Bötchen-Trottelei“ in die Geschichtsbücher eingehen wird. Nach einer Demo mit 3.000 Teilnehmern in etwa 400 Schlauchbooten und Schiffchen am 1. Juni auf dem Landwehrkanal hagelte es zu Recht Kritik. Der Zeitpunkt – die Demo fand gleichzeitig mit einer Black-Lives-Matter-Kundgebung statt –, das Banner mit den letzten Worten des Afro-Amerikaners George Floyd („I can’t breath“) und der Ort, direkt vor dem Eingang des Urban-Krankenhauses, führten zu heftigen Einsprüchen.
Ursprünglich wollte die Demo auf die drohende Schließung vieler Clubs in Berlin hinweisen – das Motto war: „Für die Kultur – Alle in einem Boot“; der Zweck heiligte jedoch keineswegs die Mittel. Vielmehr offenbarte sich in der Bootstour dreister, egoistischer Hedonismus.
Tanzverbot überspielen
Im Mantel von Politisierung wurde damit mitten in einer globalen Pandemie die eigene Dummheit zur Schau gestellt. Im selben Maße schwierig sind die verzweifelten Versuche der Dance-Szene, eigene Irrelevanz ob Tanzverbot mit Streaming-Angeboten zu überspielen. Ein paar Stunden vor einer Webcam gute Laune mimen? Es gibt da einen kleinen wirtschaftlichen Faktor, für so manchen DJ mag das der Unterschied zwischen warmen und kalten Abendessen sein, auch für Clubs entfällt ein Obolus, der aber weder maßgeblich noch bedeutend ist.
Wenn wir dies mal an dieser Stelle vernachlässigen und nur die Videos selbst sprechen lassen, offenbarten fast alle Streams die gleiche selbstgefällige Haltung, die auch die Bötchen-Fahrer vom Landwehrkanal aufs Wasser getrieben hatte: jenes bürgerliche Gebot, das Feiern zum Menschenrecht erhebt. Koste es, was es wolle.
Und dennoch ist trotz Corona nicht alles verloren; das zeigt ein Blick in die Geschichte und die letzten Jahre. Wenn Tobi Müller konstatiert, dass immer dann ein Requiem auf Techno angestimmt wurde, bevor die nächste Stufe der „Bumm-bumm-Rakete“ gezündet wurde, stimmt dies nur so halb. Als etwa die Love-Parade und die „Raving Nation“ benannte Generation der Early-Adapter Ende der 1990er in die Binsen ging, fingen lokale Szenen, selbstorganisierte Clubs, DJs und Internetforen auf, was an Kreativität und Subversion verloren gegangen war. Aus dem Rummel-Techno wurden so neue Spielarten von Deep-House und Minimal-Techno, die neben Tanzbarkeit auch romantische Einkehr bereithielten.
Neue AkteurInnen
Da war lange noch nichts von Zündung zu spüren, sondern eher ging es um den Zusammenhalt einer Szene, die sich am eigenen Zopfe aus dem Sumpf gezogen hatte. Und die EDM-Hausse der letzten zehn Jahre, die vermeintlich den Ausverkauf bedeutete – und im peinlichen David Guetta bei der Fußball-WM-Eröffnung 2018 gipfelte –, gerierte gleichsam einen elektronischen Untergrund, der so vital wie nie scheint.
Neue Spielarten von Dancesound entstehen derzeit ständig, immer in neuen Gewändern und Synthetisierungen: Japanischer Pop und Filter-House werden zu Future Funk, Hardcore- und Gabber-Dance wurden von Nekromanten als verfluchte Soundwunder wiederbelebt; und der Synkretismus, mit dem peruanische KünstlerInnen wie Dengue Dengue Dengue Cumbia-Tradtionen in langsam-wankende, klebrige House-Musik verwandelten, ist das Kennzeichen dieser Tage geworden.
Man hätte neben Kolumbien nämlich genauso gut Indonesien und Uganda als Einflusssphäre nennen können. Wo sich früher europäische KünstlerInnen der Sounds der globalen(-kulturellen) Peripherie schlicht bedient hätten, spielen die AkteurInnen aus Jakarta und Kampala nun gleich selbst auf Partys und Festivals; die Kettenreaktion der globalisierten Präsenz und Sichtbarkeit wird kaum aufhaltbar sein – und die weltweite Szene weiter profitieren vom Reifeprozess im Schatten des Ausverkaufs.
Dies wiederum führt im selben Atemzug dazu, dass die eben erwähnte Visibilität von rassifizierten Menschen größer wurde und wird, und dies wird auch in Deutschland marginalisierte Gruppen wieder in den Club spülen. Die Durchlässigkeit der Strukturen – in vielen guten Läden heißt es nämlich: Be involved! – ermöglicht im Zweifel, dass sie sich an die Plattenteller ranwagen können.
Gleiches gilt für LGBTQIs und Frauen, deren Sichtbarkeit zugenommen hat. Interessanterweise befinden wir uns damit womöglich nicht unbedingt in einer Coronakrise als vielmehr in einem bedeutenden Übergang, der durch das Virus befeuert wird – und schon lange überfällig war.
Ralf Köster orakelt jetzt schon: „Es wird ein Zurück zu den lokalen Resident-DJs geben. Das bedeutet keinen Qualitätsverlust – ganz im Gegenteil: Ich sehe das als Chance, sich neu zu definieren!“
Und diese Chance heißt es zusammen zu ergreifen, denn Techno und Dance scheinen nur dann tot, wenn man ausschließlich auf dem Friedhof der Geschichte sucht. Der Rest tanzt nebenan im aufregendsten Clubvergnügen aller Zeiten.
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