Tauben in der Stadt: Gentrifizierung aus der Luft
Die Städte sind ideal für die Körnerfresser. Außerdem ist es dort wärmer als auf dem Land. Am liebsten halten sie sich inmitten von Menschen auf.
HAMBURG taz | Es gibt immer mehr Krähen in der Stadt, dazu einige Turmfalken, Bussarde und Eulenvögel. Vor allem die Krähen haben die Tauben dezimiert: Man sieht kaum noch verletzte oder kranke. Jahrzehntelang hat man sie als Plage bekämpft: Mit Verunglimpfungen, heimlichen Erschießungen und Vergiftungen, mit Nesträubereien, Gipseiern im Gelege, mit Drahtnetzen, Seilsystemen und Anti-Tauben-Spikes.
Es gibt immer noch einige Taubenabwehr-Shops in der Stadt, aber die Taubenplage ist eigentlich kein Thema mehr, obwohl die tierschutzpolitischen Sprecher der Senatsfraktionen sie noch auf der Tagesordnung haben. Wenn die Krähen sich weiter so schnell ausbreiten, wird man sich noch Taubenschutzmaßnahmen überlegen müssen – oder die Krähenpopulation eindämmen wie es die Bürger in einigen Städten und Dörfern Schleswig-Holsteins bereits fordern.
Die Stadt- oder Straßentaube stammt von verwilderten Haus- und Brieftauben ab. Diese wurden einst aus der Felsentaube gezüchtet, die an und auf den Klippen des Mittelmeeres lebt, sich aber durch Vermischung mit den Stadttauben fast über die ganze Erde ausbreitete. Daneben halten sich hier auch noch die scheuen Türkentauben – vor allem in Waldstreifen auf dem Land und in den Gärten am Stadtrand. Um diese Jahreszeit hört man hier und da das ausdauernd wiederholte HuHuuuHuh der Männchen.
Türkentauben, Turtelauben, Friedenstauben
In der Türkei lebten die Türkentauben vorwiegend von gebrochenem Mais. Als der auch in Nordeuropa geschätzt wurde, folgten sie den Eisenbahnschienen – und auf einmal waren sie da. Aber seitdem hier nur noch Silomais angebaut wird, müssen sie wieder zurück oder sich auf andere Nahrung umstellen. Ähnliches gilt für die immer seltener werdende Turteltaube, sie ist schlanker und gurrt nicht, sondern schnarrt eher. Den Menschen ist die Turteltaube ein „Glücks- und Liebessymbol“ (Wikipedia). So wie auch die speziell gezüchteten weißen Tauben, die zu bestimmten Events, wie z.B. Papstwahlen, „aufgelassen“ werden. Gern werden sie als Hochzeitstauben angeboten, um statt der Braut laut jubelnd freigelassen zu werden.
Der Bahnhof an sich – und im Moment besonders der in Altona – gehört zu den bevorzugten Orten der Stadttaube, denn hier gibt es für sie immer genug zu futtern:
Wer derzeit durch den Altonaer Bahnhof geht, muss schon mal den Kopf einziehen: Aufgescheucht durch die Umbaumaßnahmen flattern die Tauben zwischen den vorbeieilenden Passanten umher. Und das wohl noch bis Ende des Jahres.
Eigentlich sollte das Zwischengeschoss des Altonaer Bahnhofs bereits im Mai im neuen Glanz erstrahlen. Zum Leidwesen der Bezirkspolitiker verzögert die Deutsche Bahn die Fertigstellung aber weiter hinaus.
Dieses taubenfreundliche Ambiente nennt Sven Hielscher von der CDU-Fraktion einen „Dauerschreck für die Bürger“.
Dass es auf Hamburgs öffentlichem Grund verboten ist, verwilderte Tauben zu füttern und Futter- oder Lebensmittel auszulegen, dürfte den Vögeln im Altonaer Bahnhof egal sein, dort finden sie auch so genug Nahrung.
Im Ostblock, der auf Bürgerkrieg und Klassenkampf statt auf Vernichtungs- und Eroberungskriege abonniert war, züchtete man sie massenhaft als Friedenstauben, die selbst bei Truppenparaden in Massen „aufgelassen“ wurden.
Neben den Flamingos sind die körnerfressenden Tauben für die Aufzucht ihrer Jungen nicht auf tierisches Eiweiß angewiesen, denn sie füttern sie mit ihrer Kropfmilch, einem fettigem Sekret aus abgelösten Epithelzellen. Deswegen sind die fast mücken- und fliegenfreien Städte, die zudem wie Felsen aufragen und mit Imbissbuden durchsetzt sind, ideal für sie. Außerdem ist es dort wärmer als auf dem Land und auch nach Sonnenuntergang noch hell.
Besonders in den gut beleuchteten Bahnhöfen treiben sie sich oft noch abends herum, sogar auf den untersten Bahnsteigen suchen sie zusammen mit Spatzen nach Brotkrümeln. Da trauen sich die Krähen (noch?) nicht hin, die Raubvögel erst recht nicht. Ihre Scheiße hinterläßt dort lauter fiese weiße Flecken – auch das nimmt die egomanisch hygienisierten Städter gegen sie ein.
Das Täubchen schützte den Philosophen vor der Verzweiflung
Der in Westberlin lebende japanische Philosoph Makoto Ozaki fand auf der Fußmatte vor der Tür seiner Wohnung im dritten Stock eine junge Taube – just an dem Tag, an dem er seinen Job an der Freien Universität verloren und seine Freundin ihn verlassen hatte. Das Täubchen schützte ihn vor der Verzweiflung – und er sie vor dem Hungertod. Es forderte viel Aufmerksamkeit und machte viel Dreck. Flügge geworden ließ er es aus dem Toilettenfenster frei. Es war ein Täuberich und er kam immer wieder zu Ozaki zurück. Im darauffolgenden Frühjahr mit einer Taube. Diese brütete dann auf einer kleinen Zwischendecke in der Toilette. Bald flogen mehrere Tauben bei Ozaki ein und aus. Die Toilette blieb jedoch Felsenhöhle seines Täuberichs.
Der Philosoph hatte 1981 ein Buch über Dressur („Artikulationen“ im Merve Berlin) veröffentlicht und deswegen auch einen gewissen Ruf zu verlieren, so dass er nicht gleich klein beigab, als sein Hausbesitzer ihm das Halten von Tauben („fliegende Ratten“) verbot. Als ihm zuletzt eine Kündigung drohte, musste er jedoch schließlich einlenken – und sich von seinem Lebensretter auf Gegenseitigkeit trennen: indem er das Toilettenfenster verschloss. Eine traurige Taubengeschichte.
Eine lustige erlebte ich neulich im Kaufhaus. Ein Kunde nervte alle Verkäuferinnen mit einem ausgefallenen Mantel-Wunsch. Ich entschied mich schnell und ging vor die Tür, um eine zu rauchen. Als der Mann rauskam, hatte er den neuen Mantel an. Es dauerte keine Minute, da schiss ihm eine Taube auf die Schulter. Er fluchte und versuchte hektisch den Dreck abzuwischen, aber ich wußte, dass der Fleck nicht mal in der Reinigung weg geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“