Oliver Mommsen und Sabine Postel als "Tatort"-Ermittler im Hafen vor einem Schiff

Gesichter für Bremen: Oliver Mommsen und Sabine Postel als Ermittler im „Tatort: Stille Tage“, 2006 Foto: Jörg Landsberg/Radio Bremen

„Tatort“ und die Wahl in Bremen:Bremer Ermittlung

Wie macht sich Bremen im Fernsehen, und was lernt man von der Stadt im Krimi kennen? Eine „Tatort“-Begehung vor der Bremer Bürgerschaftswahl.

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11.5.2023, 14:39  Uhr

Warum nicht der „Tatort“? Warum sollte man nicht dieses so lange Gemeinschaft stiftende Sonntagabend­ritual heranziehen, um Bremen zu verstehen? Das kleinste unter den Bundes­ländern, diesen stolzen Han­seat*in­nen­stadt­staat, in dem demnächst gewählt wird. Das leuchtet doch mindestens so sehr ein wie, sagen wir, die Ge­schicke örtlicher Fußballvereine zu berücksichtigen, das internationale Containeraufkommen oder den Zustand der ­Röstkaffeebranche. Wie also sieht die Stadt, das Bundesland aus, betrachtet ei­ne*r es durch die Linse dieses TV-Format gewordenen Gradmessers fürs ­Normale?

Vier Er­mitt­le­r*in­nen beziehungsweise -teams haben seit 1973 in Bildschirm-Bremen das fiktive Verbrechen bekämpft. Oder fünf. Oder auch nur drei, je nach Zählweise. Dazu aber später mehr. Jedenfalls überstrahlt alle anderen dabei die Paarung Lürsen/Stedefreund, schon wegen deren Langlebigkeit: Von 2001 bis 2019 waren die beiden zusammen im Bildschirmeinsatz. Erzählt das etwas über Bremen? Oder wenigstens über seinen öffentlich-rechtlichen Sender?

Aber zurück zum Anfang: 1973 wurde die Freie Hansestadt zum ersten Mal Schauplatz des (west)deutschen Fernsehlagerfeuers, das war im dritten Jahr der langlebigen Krimireihe. Da hatten andere Sender – und Schauplätze – schon mehrere Folgen hinter sich, selbst Kiel war zweimal Schauplatz geworden. „Ein ganz gewöhnlicher Mord“ erreichte bei seiner ersten Ausstrahlung deutlich über 50 Prozent der an jenem Abend Fernsehenden – es waren andere Zeiten.

Mit dem Einstieg groß vorgelegt

Der Film legte aber durchaus groß vor, mit Günter Strack, Peter Schiff und Hans Brenner in tragenden Rollen, aber auch etliche Nebenfiguren machten dann noch jahrzehntelang das die deutschen Bildschirme be­völkernde Personal aus. Regie führte Dieter Wedel, damals noch nicht der „Meister der TV-Mehrteiler“, ein Titel, den ihm seine Arbeit in den 1990er Jahren verschaffte; aber halt auch noch nicht Deutschlands pro­minentester #MeToo-Verdachtsfall.

Avantgarde sei der produzierende Sender Radio Bremen damals gewesen, sagt ein filmbeflissener – allerdings auch Bremer – taz-Kollege. In der Tat: Der kleine ARD-Sender brachte nicht viel später auch Loriot zur vollen Blüte. Und bereits vorher hatte Radio Bremen von 1965 bis 1972 den „Beat-Club“ produziert, also ein für deutsche Verhältnisse nicht selbstverständliches Interesse an Popkultur bewiesen.

Bremenwahl Am 14. Mai wählt Bremen einen neuen Landtag. Und auch wenn nicht ganz unwahrscheinlich ist, dass die seit 1946 ununterbrochen regierende SPD auch weiterhin den Bürgermeister stellen wird, ist diese 21. Bürgerschaftswahl kein Selbstläufer. Immerhin hatten die Sozialdemokraten im Mai 2019 mit gerade mal 24,9 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg eingefahren. Sie regieren seitdem mit den Grünen und der Linken in rot-grün-roter Koalition.

Zweistädtestaat Bremen und Bremerhaven sind zwei getrennte Wahlbereiche. Um in die Bürgerschaft einzuziehen, reicht es, in einer von beiden Städten die Fünfprozenthürde zu nehmen. Laut Prognosen ist neben der aktuellen Koalition auch eine große zwischen SPD und CDU denkbar, eine Ampel ist derweil kein Thema. Seit Ende März ist zudem sicher, dass die zerstrittene Bremer AfD nicht zur Wahl zugelassen ist. Zwei konkurrierende Landesvorstände hatten je eigene Wahllisten eingereicht.

„Tatort“ Die seit 1970 laufende Krimiserie ist mit über 1.100 Folgen der wohl greifbarste mediale Ausdruck des deutschen Föderalismus. Die ARD-Rundfunkanstalten produzieren je eigene Folgen, die sich auch als Porträt ihrer jeweiligen Städte verstehen. Der „Tatort“ des kleinsten ARD-Senders Radio Bremen war vor allem wegen des langjährigen Ermittlungsduos Lürsen/Stedefreund“ (Sabine Postel und Oliver Mommsen) beliebt. Seit 2020 ermittelt das Trio Mads Andersen, Linda Selb und Liv Moormann.

So ist auch „Ein ganz gewöhnlicher Mord“ gerade kein ganz gewöhnlicher Fernsehkrimi mit seiner verschachtelten Struktur und dem Spiel mit Erzähl­perspektiven.

Aber vor allem legt diese eindeutig fiktionale Geschichte um einen erdrosselten und beraubten Vertreter für Damenoberbekleidung es darauf an, für abgebildete Realität gehalten zu werden. Immer wieder unterbrechen da Rückblenden den eigentlichen Plot, Beteiligte sind erklärend im Off zu hören oder sprechen direkt in die Kamera, ihre Namen und Funktionen werden eingeblendet, auch mal Ortsangaben – ein wenig „Stromberg“, nur halt weniger komisch.

Blick auf die Bremer Sielwallkreuzung

Beliebter „Tatort“-Schauplatz: die Sielwallkreuzung im Bremer Viertel Foto: Nikolai Wolff

Von größerem dokumentarischem Wert mögen andere Facetten gewesen sein: Als die Leiche gefunden ist, bricht im Polizeirevier Betriebsamkeit aus – von den offenbar knappen Einsatzfahrzeugen ist kein Dienstwagen frei. Ein Taxi nehmen hieße sich schrecklich viel Papierkram aufhalsen, und außerdem bekommt man gerade eh kein „Amt“, keine Leitung, um irgendwo anzurufen. Dafür verstehen sich Polizei und Staatsanwaltschaft „hier sehr gut miteinander“, sagt Kommissar Böck (Hans Häckermann). Und auch mit der Lokalpresse besteht ein gut geöltes Geben und Nehmen: Die „Bremer Zeitung“ – gedreht hat Wedel einige Einstellungen in den Räumen des heutigen Platzhirschen Weser Kurier – druckt, wenn es der Polizei hilft, deren Fotos ab, „dafür müssen wir es ja auch ertragen, dass jeden Tag Lauscher im Haus sind“, so Böck.

Dieser Ermittler blieb eine „Tatort“-Eintagsfliege, Darsteller Hans Häckermann immerhin durfte ein paar Jahre später noch einen Fall aufklären – allerdings in Lübeck und unter dem irritierenden Rollennamen Beck. So blieb der erste Bremer „Tatort“ für eine ganze Weile schon wieder der letzte. Betrachtet man es durch die Brille der ARD-Sender-Logik, war die Pause sogar noch länger. Denn 1980 und 1984 ermittelte mit Jochen Piper (Bernd Seebacher) zwar wieder ein Bremer Kriminalist am Sonntagabend, produziert allerdings wurden beide Filme vom NDR, ebenso der manchmal als Bremerhaven-„Tatort“ bezeichnete „Wat Recht is, mutt Recht bliewen“ von 1982. Darin reist der Kommissar aus Bremens Seehafen an, die Handlung selbst trägt sich aber in einem fiktiven Örtchen an der Elbmündung zu.

Richtig weiter – oder eigentlich wieder los – ging es erst 1997, da war Henning Scherf zum ersten Mal Bremer Bürgermeister, seit 1995 und nach schon fast zwei Jahrzehnten als Senator. Bis 2005 stand der sozialdemokratische Zweimetermann an der Spitze des politischen Bremen, die nun eingeläutete „Tatort“-Ära sollte erheblich länger dauern: Ihren Einstand gab Inga Lürsen (Sabine Postel) mit einem, ehrlich gesagt, ziemlich trashigen Fall zwischen teils ziemlich hölzernen Ne­ben­dar­stel­le­r*in­nen. In die Herzen des lokalpatriotischen Fernsehpublikums hatte Postel sich durch die Radio-Bremen-Familienserie „Nicht von schlechten Eltern“ gespielt, mindestens so bekannt wie sie dürfte allerdings der Darsteller von Lürsens Assistent gewesen sein: Rufus Beck. Dem ersten von Lürsens Assistenten, um genau zu sein.

„Drei Mal ist Bremer Recht“, das ist so eine sprachliche ­Bremensie, unter deren Erklärungen sich juristische finden – ein Rechtsweg mit drei Instanzen, drei Zeugen für die Beweiskraft, dreimalige Proklamation zur Erlangung der Rechtsgültigkeit, so was in etwa. Aber auch eher diffus Bremer Liberalität bemühende: Demnach steht es Bre­me­r*in­nen zu, eine Sache nach zwei Fehlschlägen stets noch ein drittes Mal versuchen zu dürfen. Was mit – zugegeben ein wenig gutem Willen – auf „Tatort“-Kommissarin Lürsen und ihre Personallage passt: Auf zweimal Stefan Stoll (Rufus Beck) folgte als Assistent einmal Henning Kraus (Heikko Deutschmann) sowie zweimal Tobias von Sachsen (Heinrich Schmieder). Erst ab 2001 hatte sie Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) an ihrer Seite, das dann aber 18 Jahre und 33 Fälle lang.

Kaum ein Blick für die Markenzeichen

Dass Präsidium und Pier manchmal ein einziger Schnitt trennt, dass aber schon so manches Mal auch innerhalb Bremens die Geografie der wirklichen nicht mal entfernt entspricht: geschenkt. Da geht es Bremer Zu­schaue­r*in­nen nicht anders als denen in Münster oder München, und ein Problem ist das ja immer nur für die relativ wenigen Ortskundigen vor den Geräten. Durchaus unterschiedlich ist aber, wie der Bremer „Tatort“ das einsetzt, worauf vielleicht die erwähnten Ein­woh­ne­r*in­nen stolz sind, sicher aber die Marketing- und Touristikverantwortlichen: Die allzu naheliegenden Markenzeichen und Hotspots kommen eher selten vor, das ist etwa in Münster anders. Wer will, mag daran Bremer Bescheidenheit ablesen. Aber vielleicht auch das Gegenteil, eine Art Sauber-halten-­Wollen von Dom und Stadtmusikanten von niederer Unterhaltung? Immerhin: Wer heutzutage Bremen besucht, kann gleich aus mehreren Stadtrundgängen mit sanftem Gruselfaktor auswählen, da ist von realem Deutschen Herbst bis historischer Giftmörderin alles drin, auch ein Schlenker zu, wenigstens, einzelnen „Tatort“-Locations.

Oliver Mommsen und Sabine Postel schauen an einem Hochhaus nach oben

Stedefreund und Lürsen ermitteln im sozial sensiblen Umfeld: „Tatort: Abschaum“, 2004 Foto: Jörg Landsberg/Radio Bremen

Die haben sich, glaubt man dem Weser-Kurier, nur relativ selten wiederholt – und doch bekommt, wer den „Tatort“ verfolgt, sicher nicht alle Bremer Ecken und Quartiere gleichermaßen vor Augen – ein paar pittoreske Straßen und die eine, ganz nach hippem Berlin aussehende Kreuzung (die Sielwallkreuzung) umso öfter, und, wenn’s etwas sozial sensibler sein sollte, auch noch ein, zwei 70er-Jahre-Großwohnsünden. Ein sehr spezifisches Highlight viel­leich­t: In „Requiem“ (2005) wird die Investitionsruine „Space Park“ – auch eine Hinterlassenschaft des Bürgermeisters Scherff – zur Wirkstätte eines B-Movie-tauglichen skrupellosen Wissenschaftlers.

Lürsens Sidekick Stedefreund, einst Nachwuchshoffnung bei Werder Bremen, hatte es nach Bremerhaven verschlagen, karrieremäßig eine Sackgasse, weshalb er dringend wegwollte, zurück nach Bremen; das wog schwererer als die erkennbaren teaminternen Startschwierigkeiten. Die kleinere Stadt im Bundesland, der vom Strukturwandel arg gebeutelte Hafen, norddeutsche Mittelstadttristesse, gekreuzt mit Ruhrgebiets­ambiente: Bremerhaven also kam im Bremen-„Tatort“ lange einzig als Kaimauer mit Kränen vor. Hier bestieg man mal ein Boot oder erfragte einen Containerinhalt. Dass hier auch Häuser standen mit Menschen drin, die kriminell werden können, und das vielleicht sogar mit etwas höherer Wahrscheinlichkeit: Am Krimisonntagabend wurde das nur sehr selten abgebildet über die Jahrzehnte. Der vorerst letzte Bremer „Tatort“, Anfang April auf Sendung, spielt allerdings in Bremerhaven in der dortigen Autoposerszene.

Ein Brokdorf-gestähltes Leben

Lürsens Lebenslauf indes dürfte in vielen Ohren noch spezifischer bremisch klingen: friedensbewegt und Brokdorf-gestählt – dass so jemand zu Kripo geht?! Wer nur einen Bremer „Tatort“ ansehen könnte, dem wäre „Schatten“ zu empfehlen aus dem Jahr 2002: Da holt ein Quartett alter Freun­d*in­nen eine Jahrzehnte zurückliegende Bluttat ein. Aber mindestens so sehr geht es um linke Biografien und darum, welchen Preis ­ein­e*r­ zu zahlen bereit ist fürs Ankommen im einst verhassten Establishment: Nicht alle der Ge­nos­s*in­nen sind Star­anwalt geworden oder Kriminalhauptkommissarin oder gar Staatssekretär in Berlin. Einer nahm einst Schuld auf sich und opferte die Karriere und muss heute – diskret – unterstützt werden von seinem New-Economy-Unternehmer-Sohn.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

So eine Konstellation, so eine (west)deutsche Geschichte wäre auch an anderen „Tatort“-Standorten vorstellbar, ­Frankfurt am Main etwa oder Berlin. Aber sie anzusiedeln im linksliberalen Justemilieu an der Weser, in einer Stadt der kurzen Wege und schnell eingeschlagenen Hände, wo auch manch blutige, nämlich kolonial verdiente Mark etwa in die erst 1971 eröffnete und lange als rot verschrie­ne Universität floss: Das war besonders stimmig – zumal für den, der die Stadt eben kaum anders kennt, als aus dem „Tatort“.

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