„Tatort“ aus Mainz: Die Duftnote des Mordes
Am Anfang ist beim Mainzer „Tatort“ so gut wie nichts zu sehen. Und doch gibt es eine Ohrenzeugin eines Überfalls. Heike Makatsch muss ran.
Es ist so eine Sache mit den Nur-ab-und-zu-„Tatorten“. Also den Krimis, die mit Stars bestückt nur einmal im Jahr oder noch seltener laufen. Wer kann sich schon an den Vorgängerfilm erinnern? Okay, an sich ist das ja egal. Jeder Fall/Film sollte für sich stehen und verstanden werden. Warum aber – und ich wollte das immer schon mal hier schreiben –, müssen solchen Gast-Ermittler:innen immer auch ein Privatleben oder ganz besondere Macken zugeschrieben werden, und man kapiert nichts!?
Um mal zum konkreten „Tatort“ zu kommen: Wer erinnert sich denn schon daran, dass Kommissarin Ellen Berlinger, von Heike Makatsch hübsch nüchtern-lakonisch gespielt, eine kleine Tochter hat? Und schon zweimal für die ARD ermittelte: erst in Freiburg, dann in Mainz – äh, warum noch mal ist sie umgezogen? Der dazugehörige Fall „Zeit der Frösche“ von 2018 lief vergangene Woche als Wiederholung und steht aktuell in der ARD-Mediathek.
Der neue Fall „Blind Date“ beginnt ungewöhnlich, weil die Anfangssequenz aus Sicht der Hauptdarstellerin gefilmt wurde. Es ist so gut wie nichts zu sehen. Alles ist dunkel, hier und da sind schemenhafte helle Flecken auszumachen. Rosa Münch (Henriette Nagel) ist blind – doch gegen den Begriff wehrt sich die junge Jura-Studentin vehement: „Ich bin nicht blind, ich habe ein Prozent Sehkraft.“
Also war sie nicht Augen-, sondern Ohrenzeugin eines Tankstellenüberfalls. Binnen kurzer Zeit schon der zweite, nun gab es einen Toten: Der Tankwart wurde erschossen. Rosa hilft bei der Ermittlung, weil sie hörbare, riechbare und auch gefühlte Details zum Tathergang beisteuern kann. Und so kommt es zu ungewöhnlichen Ermittlungsansätzen: Die Kommissarin geht mit der Ohrenzeugin in eine Parfümerie für Duftproben, die alle nichts bringen, bis ein richtig teures Duftwasser gefunden wird, das vor Öffnung der Packung aber zu bezahlen ist.
Grenzen ausloten
Der Film entwickelt eine eigene Faszination, weil er so unkonventionell daherkommt und irre Wendungen bietet. Das liegt auch am Figurenensemble jenseits der Ermittler:innen. Die Eltern von Rosa benehmen sich merkwürdig. Die Tatverdächtigen, die wir in der Zeit sehr gut kennenlernen, haben ein Ding an der Waffel, sind emotional neben der Spur – okay, Rosa offensichtlich auch.
Dieser Tatort lotet Grenzen aus: Was ist noch Spaß? Und wo hört er auf? Was machen die Gefühle mit einem? Wo kippt der Drang nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung ins Gefährliche, ja Kriminelle?
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