„Tatort“ aus Dresden: Nichts fürs gruselscheue Publikum
Ein graues Haus, ein Mädchen, das Geister sieht und tote Frauen mit strähnigen Haaren. Der Tatort als Psychothriller statt als klassischer Krimi.
Die 14-jährige Talia sieht Geister. Jede Nacht suchen sie tote Frauen heim und kriechen auf sie zu, strecken ihre Hände nach ihr aus und blicken sie an mit Gesichtern ohne Augen. Sie alle wohnen in dem Haus, in das Talia und ihr Vater vor Kurzem eingezogen sind. Und in dem sie am ersten Tag einen toten Mann entdeckt hat. Die Kommissarinnen Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) ermitteln. Sie stehen mit nichts da als den Erinnerungen von Talia, die den Täter gesehen haben könnte.
Es ist ein großes, graues Haus, in dem Vater und Tochter nun wohnen, eins, das knarrt und wispert. Nachts schleicht Talia darin herum, mal weil sie schlafwandelt, mal weil sie Durst bekommt. Immer hat sie dann ihre etwas seltsame blaue Taschenlampe dabei. Talia benutzt sie, um die Geister zu verscheuchen – und ihre Angst.
Alle zentralen Motive im neuen Dresdner „Tatort“, der eher ein Psychothriller als ein klassischer Krimi ist, sind bekannt: das gruselige Haus, das zu leben scheint und geradewegs einem Edgar-Allan-Poe-Gothic-Roman entsprungen sein könnte. Tote Frauen mit langen, strähnigen Haaren. Das eigenbrötlerische Kind, das wie in „The Sixth Sense“ scheinbar übernatürliche Fähigkeiten hat.
Und doch ist „Parasomnia“ spannend wie lange schon kein „Tatort“ mehr und beweist, dass man für ein gutes Drehbuch das Rad nicht neu erfinden muss. Es ist leicht, mit Talia zu fühlen, so sehr, dass viele Zuschauer*innen versucht sein dürften, ihr in manchen Szenen wie in guten Horrorfilmen „Geh da nicht rein, warum gehst du da rein“ zuzurufen. Dazwischen führen Plot-Twists die Zuschauer*innen in die Irre. Drehbuchautor Erol Yesilkaya („Exit“, 2020) hat es geschafft, eine Handlung zu erfinden, die Erwartungen der Zuschauer*innen wieder und wieder unterläuft und übertrifft.
Dresden-„Tatort“: „Parasomnia“, So., 20.15 Uhr, ARD
Anders als in anderen „Tatort“-Folgen gibt es in „Parasomnia“ keine Szenen, die wirken, als müssten sie Leerstellen überbrücken, weil die Kommissar*innen zum Beispiel immer wieder dabei zu sehen sind, wie sie durch die Stadt fahren. Einzig wiederkehrendes Motiv ist das graue Haus, dessen Anblick allein das Potenzial hat, den Zuschauer*innen Schauer über den Rücken zu jagen. Grandios auch die Filmmusik (Thomas Mehlhorn), die in solchen Szenen anschwillt wie mächtige Gewitterwolken und über der angeknacksten Beziehung von Talia und ihrem Vater, dem Haus und den Ermittlungen schwebt.
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